- Kapitel 5 -

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DIEGO

Nachdem ich Norah abgeladen habe, fahre ich zurück zur Wache. Ich kann nicht glauben, dass sie einfach weiter arbeiten wollte, obwohl sie gerade so etwas erlebt hat. Klar, es ist nichts passiert. Aber so eine Situation stellt etwas mit dem menschlichen Körper an.
Ich habe sowas schon öfter erlebt und trotzdem erwischt es immer wieder meine Nerven. Nicht mehr so schlimm wie am Anfang, aber trotzdem fühle ich mich, als wäre ich beinahe vom Tod überrannt worden.
Das gehört zu meinem Job.

Ich bin aber auch überrascht, dass ich so schnell reagiert habe, als ich das knacken hinter Norah gehört habe. Es hätte schließlich auch nur ein Reh sein können. Dann hätte ich mich zum Affen gemacht. Aber ich habe richtig gehandelt und es ist alles gut gegangen.
Mein Kollege hat zum Glück genauso schnell reagiert wie ich, denn es waren zwei Männer da, welche uns umzingelt hatten.

Und auch wenn es eine außergewöhnliche Situation war, kann ich nicht vergessen, wie sich Norah's Körper an meinem angefühlt hat. Wie sich ihre Brüste bei jedem Atemzug gegen meinen Unterarm gepresst haben.
Wie sie gerochen hat.

Scheiße. Ich muss ganz schnell an etwas anderes denken.

Ich fahre auf den Parkplatz an unserem Revier und steige aus dem Polizeiwagen. Dann gehe ich hinein und hole mir erstmal eine Portion Salat, damit ich irgendwas gegessen habe, bevor der nächste Einsatz reinkommt. Ich möchte mich gerade ein wenig hinlegen, als mein Chef wieder durch die Tür kommt.
„Díaz! Kommen Sie in mein Büro!", ruft er mich, was mich kurz genervt aufstöhnen lässt.
Auf dem Weg in sein Büro überlege ich angestrengt, was ich wohl falsch gemacht haben könnte.

Ich gehe ins Büro und tue dabei auf cool, denn meiner Meinung nach habe ich nichts falsch gemacht. Trotzdem bin ich verunsichert. Aber das sieht man mir natürlich nicht an.

„Sie haben mich gerufen.", sage ich, als ich sein Büro betrete.
„Ich möchte, dass Sie mir genau schildern, wie es zu der Situation mit meiner Tochter gekommen ist.", grummelt er.
Ach ja, natürlich. Die Prinzessin wieder.

Ich erzähle ihm genau, wie alles abgelaufen ist. Dabei lasse ich kein Detail aus. Er schreibt währenddessen mit, was mich etwas verunsichert. Als ich fertig erzählt habe, bleibt es eine Weile still im Büro. Gerade will ich gehen, doch er sagt doch noch etwas.
„Gut. Danke. Auch, dass du meine Tochter nach Hause gebracht hast. Trotzdem will ich, dass es das erste und einzige Mal war, dass ich dich in meinem Haus hatte, klar?"
Ich nicke. „Klar."
„Gut. Dann an die Arbeit.", murrt er und scheucht mich aus seinem Büro.

So ein Grummel.

Nun möchte ich mich aber wirklich kurz hinlegen. Aber da habe ich die Rechnung ohne die Außenwelt gemacht. Denn es kommt ein unnötiger Einsatz nach dem anderen rein. Erst fahren mein Kollege und ich zu einer Frau, die der Meinung war, sie wäre bestohlen worden. Aber als wir da waren, hat sie ihr Portmonee in ihrer Handtasche gefunden. Dann sind wir zu einem Mann gefahren, der betrunken eine Kinderrutsche versperrt hat. Als Nächstes waren wir bei einem angeblichen Einbruch, bei dem aber offensichtlich war, dass niemand eingebrochen ist, sondern die Dame einfach nur vergessen hat, ihre Haustür abzuschließen, weshalb sie „einfach so" aufging. Und zum krönenden Abschluss wurden wir von einer Frau gerufen, die sich und ihren Partner beim Sex mit Handschellen am Bett gefesselt hat und nun nicht mehr loskommt, weil sie den Schlüssel verloren hat. Das war also ein ziemlich interessantes aufeinandertreffen.

Nachdem die Schicht beendet ist, falle ich totmüde ins Bett. Ich bin momentan wieder in meiner eigenen Wohnung, denn meine Mutter ist der Meinung, dass sie wieder alleine klarkommt. Das ist natürlich praktisch für mich, denn auch wenn ich meiner Mom gerne helfe, liebe ich es auch, meine Ruhe zu haben und nichts tun zu müssen, wenn ich nach Hause komme.

Mitten in der Nacht klingelt mein Handy. Ich schrecke hoch und gehe direkt ran, ohne überhaupt zu schauen, wer mich stört.
„Was?", frage ich genervt.
„Diego! Diego! Ich....uhhhhhh uhhhhh. Ich habe Schmerzen. Myles ist nicht da. Uhhhhh. Ich glaube... Ich glaube das Baby kommt!", tönt die schmerzerfüllte Stimme meiner Schwester aus meinem Handy.
Sofort bin ich hellwach. „Alles ist gut, Vera. In welchen Abständen kommen die Wehen?", frage ich und ziehe mir währenddessen schnell eine Jogginghose und ein Tshirt an.
„Circa sieben Minuten oder so. Vielleicht auch 10. Aber sie sind regelmäßig. Kannst du zu mir kommen? Bitte."
Ich greife nach meinem Autoschlüssel. „Klar. Bin schon auf dem Weg. Beruhige dich. Alles wird gut, okay? Hast du Myles schon angerufen?"
„Ja. Aber er... uhhhhhh. Er geht nicht ran."

Der Ehemann meiner Schwester arbeitet auf Schichtdienst. Und es scheint, als hätte er heute eine Nachtschicht.

Während der fünfminütigen Autofahrt bleibe ich am Telefon und rede mit meiner Schwester. Das Baby sollte eigentlich erst in 2 Wochen kommen. Aber die halten sich ja eh selten an Termine.

Als ich bei ihr ankomme, ist es mir egal, dass ich im Halteverbot parke und laufe schnell hoch. Ich schließe auf und finde meine große Schwester auf der Couch wieder.
„Hey.", begrüße ich sie und drehe direkt um, um ihr ein Glas Wasser aus der Küche zu holen.
„Endlich bist du da. Ich will das nicht alleine durchmachen.", murmelt sie.

Die Arme sieht völlig fertig aus.
„Ich mache dir kurz ein Bad. Wenn die Wehen nicht weggehen, fahren wir ins Krankenhaus, okay?"
Sie nickt und ich gehe los, um ihr ein Bad einzulassen. Gerade, als ich ein Handtuch hinlege, ruft sie mich. Ich komme direkt zu ihr.
„Sie kommt. Jetzt. Ich spüre das. Wir haben keine Zeit mehr.", meint sie panisch.
„Okay. Wir fahren jetzt los ins Krankenhaus.", sage ich und will nach meinem Schlüssel greifen.
„Nein. Wir schaffen es nicht ins Krankenhaus, Diego. Sie kommt. Jetzt!", schreit sie schon fast. Langsam steigt Panik in mir auf. Scheiße. Ich kann doch nicht. Nein.
„Leg dich hin.", murmle ich und wähle den Notruf.

„Díaz hier. Meine Schwester bekommt gerade ein Kind und wir schaffen es nicht mehr ins Krankenhaus.", melde ich mich und nenne unmittelbar danach die Adresse meiner Schwester.

Ich hole so schnell ich kann die Dinge, die mir am Telefon genannt werden.
Ich muss eine fucking Hausgeburt mit meiner Schwester machen. Ich kann es nicht glauben.

Ich lege das Sofa mit Handtüchern aus und Knie mich auf den Boden. Wenn ich Vera nicht gerade dabei helfen würde, ihr Kind zu bekommen, wäre das eine ziemlich unangenehme Position. Und ich... ich sehe den Kopf. Ich lege meine Hände gerade noch rechtzeitig unter den Kopf den Babys, da fällt es auch schon in meine Hände.
Ich habe es garnicht richtig mitbekommen.
Wieso ging das so verdammt schnell?

Meine Schwester fängt an zu weinen. Ich habe Tränen in den Augen. Meine Nichte ist geboren. Und ich war von Sekunde eins dabei.

just stay Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt