Kapitel 8

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NORAH

Ich wache auf und mein Kopf pocht wie die Hölle. Ich fühle mich, als wäre ein LKW über mich drüber gefahren. Ich wusste, als Jamie angefangen hat, über den Club zu reden, dass es ein Absturz wird, wenn ich mitkomme. Und ja, was soll ich sagen, es war ein Absturz.

Ich öffne langsam die Augen. Und schließe sie direkt wieder. Das helle Licht tut meinem Kopf nicht gut. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so viel getrunken habe. Ich weiß nur, dass es das letzte Mal war.
Ich starte einen neuen Versuch und sehe eine weiße Wand mit einer Kommode plus Fernseher vor mir. Rechts neben mir ist ein großes Fenster, durch das helles Licht in den Raum scheint. In den Raum, den ich nicht kenne. Ich versuche nachzudenken.

Scheiße. Wo zur Hölle bin ich? Was habe ich gestern getan?
Ich setze mich auf. Panisch schaue ich mich um. Die andere Seite des Bettes ist leer. Ich schaue an mir runter. Ich trage nichts, außer Unterwäsche.

Ist das ein gutes Zeichen? Oder hatte ich Sex?

Ich stehe auf. Etwas wackelig auf den Beinen, greife ich nach meinen Klamotten, die über den Boden verstreut liegen. Ich ziehe mich schnell an und öffne die Tür, welche aus dem Zimmer heraus führen müsste. Und schon stehe ich in einer Küche. Am Esstisch sitzt niemand geringeres als... Diego?!

Ach du Scheiße. So langsam kommen die Erinnerungen zurück. Ich habe mit Diego rumgemacht. Und zwar richtig.
Und wahrscheinlich hatte ich sogar Sex mit ihm.
Mein Kopf dröhnt nun noch sehr viel mehr als vorher.

Diego schaut zu mir. Er sieht völlig erschöpft aus. „Morgen", begrüßt er mich und seine heisere Stimme jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken.
„Guten Morgen", gebe ich zurück und weiß überhaupt nicht, wie ich mich verhalten soll.

Ich bleibe stehen und starre ihn an. Warum weiß ich nicht.
Er steht auf. „Willst du ein Wasser? Und eine Ibu?", fragt er, woraufhin ich nicke. Er stellt ein Glas Wasser auf den Tisch und legt eine Tablette dazu. Ich bediene mich dankbar.

Wir reden kein Wort miteinander, bis ich mein Glas Wasser austrinke. Er räuspert sich. „Du findest den Weg alleine raus, oder?"
Ich schlucke. Autsch.
„Ja, klar.", murmle ich und mache mich wortlos aus dem Staub.

Die gesamte Situation war unangenehm. Schließlich weiß ich nicht, ob ich Sex mit ihm hatte. Ich kann es mir vorstellen. Aber ab dem Punkt, an dem wir den Club verlassen haben, sind meine Erinnerungen weg.

Ich fahre so schnell wie möglich nach Hause. Als ich die Haustür aufschließe, steht schon eine grinsende Jamie vor mir.

„Sag nichts, James.", sage ich und lege meinen Schlüssel auf die Kommode.
„Du siehst aus, als hättest du eine heiße Nacht mit einem unangenehmen Morgen-danach gehabt.", kommentiert sie dennoch.
„Ich weiß nicht, was ich hatte. Ich weiß nur, dass es heute Morgen wirklich unangenehm war.", gebe ich zurück, weil ich das ganze dann doch nicht für mich behalten kann.

„Du erinnerst dich nicht?", fragt sie erschrocken. „Manno, ich wollte unbedingt wissen ob er so gut fickt wie er aussieht und wie groß sein Schwa-"
„Jamie! Selbst wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht erzählen."
„Ach komm schon, ich bin deine beste Freundin!", meint sie.
„Jep, aber wir sind nicht mehr 17."
„Was hat das denn damit zutun?", fragt sie genervt.
„Das bedeutet, dass wir zu alt sind, um Schwanzvergleiche zu machen. Ich weiß ganz genau, dass du mir immer wieder unter die Nase reiben würdest, was ich mir entgehen lassen würde, wenn du wüsstest wie gut er ausgestattet ist - wenn er gut ausgestattet ist.", sage ich und gehe ins Bad, um mir die letzte Nacht vom Körper zu waschen.

Als ich aus der Dusche trete, suche ich meinen Körper nach eventuellen Sexspuren ab, damit ich Gewissheit habe. Aber ich finde nichts.
Ich ziehe mich an, koche mit Jamie und lege mich wieder hin, damit ich etwas Schlaf nachholen kann.

———

„Puls ist stabil.", sage ich und schiebe den Patienten von der Straße in den Rettungswagen. Mein Kollege übernimmt an der Stelle und setzt sich nach hinten.
Es ist früh am Morgen und meine Schicht hat vor wenigen Minuten begonnen.
Ich höre die Sirenen von Weitem.
Wird auch Zeit.

Wir wurden gerufen, weil ein Fußgänger überfahren wurde. Er hatte verdammt Glück, denn das hätte böse ausgehen können. Abgesehen von ein paar Quetschungen und oberflächlichen Verletzungen, geht es ihm gut. Er wird mit dem ersten RTW ins Krankenhaus gefahren, während ich mit dem zweiten RTW bei dem betrunkenem Fahrer des PKWs bleibe und ihn mir anschaue.

Die Polizeiautos bleiben stehen und -natürlich, wie soll es auch sonst sein- steigt Diego aus einem der Autos aus.
Und er sieht unverschämt gut aus.

Er und sein Kollege kommen auf uns zu.
„Guten Morgen", murmelt er, während er seine Hände in seine Weste hakt.
Scheiße, ist das attraktiv.

„Morgen", gebe ich zurück. Dann halte ich dem betrunkenem Mann wieder die Tüte hin, in die er sich nun das dritte Mal übergibt.

„Betrunken, hm?", fragt Diego mit einem Grinsen im Gesicht, das ich ihm am liebsten aus dem Gesicht schlagen würde.
Ich funkle ihn böse an. „Wenn du weiter so schlau bist, kannst du meinen Job gleich gerne übernehmen."
Er verzieht angewidert das Gesicht. „Ne, danke."

Diego spaziert zu meinem Kollegen und klärt mit ihm die Einzelheiten des Unfalls. Kurz danach kommt er wieder zu mir. Dieses Mal kommt er sogar in den Rettungswagen. „So Mr. Besoffski, einmal pusten, ja?", meint er leise und hält dem Fahrer das Atemalkoholmessgerät vor den Mund. Er pustet, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Dann schaut Diego auf die Zahl und zieht die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel anerkennend runter.

„Stark. Zweikommafünf Promille.", sagt er und steckt das Messgerät wieder ein.
Ich schaue ihn entgeistert an. „Nimmst du deinen Job eigentlich irgendwie ernst?"
Er zuckt mit den Schultern. „Kommt drauf an, wie meine Laune ist. Manchmal bin ich good Cop, manchmal bad Cop."

„Gerade bist du aber eher garkein Cop."
„Ich zeige dir gleich mal, wie viel Cop ich gerade bin. Wenn ich will, stecke ich dich gleich in den Knast."
„Achja? Und unter welchen Argumenten?", frage ich und verschränke die Arme vor der Brust.
„Unterlassene Hilfeleistung oder so. Schließlich müsstest du den Besoffenen eigentlich ins Krankenhaus bringen.", gibt er zurück.
„Halt die Schnauze, Arschloch.", murmle ich mit einem Lächeln, schubse ihn aus dem RTW und ziehe die Türen zu. Dann höre ich ihn noch rufen: „Das zählt eindeutig zu Beamtenbeleidigung!"

Ich verkneife mir ein Grinsen und der Rettungswagen fährt los in Richtung Krankenhaus.
Und ich denke darüber nach, wie froh ich bin, dass keiner von uns unsere gemeinsame Nacht thematisiert.

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