Kapitel 25

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DIEGO

Norah ist gegangen, nachdem sie sich um ihren Bruder gekümmert hat. Seitdem ist Funkstille. Es ist jetzt vier Tage her. Zu meinem Pech hatten wir in der Zeit auch keine gemeinsamen Einsätze. Auf meine Nachrichten reagiert sie auch nicht. Und zu ihr fahren wäre wohl zu doll, schließlich zeigt sie mir offensichtlich, dass sie noch nicht bereit für ein Gespräch ist.

„Hör auf, an sie zu denken.", meint Luc, als er mir die Gewichte beim Bankdrücken abnimmt.
„Geht nicht.", murmle ich und setze mich hin. Ich bin durchgeschwitzt und meine Muskeln brennen. „Ich weiß nicht, was jetzt ist. Ist sie sauer auf mich? Braucht sie nur kurz Abstand? Hasst sie mich? Will sie mich nie wieder sehen?"
Luc schüttelt den Kopf. „Du warst pflegeleichter, als du noch nicht verknallt warst."
„Ich bin nicht verknallt.", streite ich ab. „Ich finde sie nur toll."
„Sag ich ja. Sie wird sich schon melden. Ich glaube sie muss nur erstmal verarbeiten, was da alles passiert ist.", meint Luc. „Und Pablo wird sich auch wieder beruhigen."
„Der ist mir egal. Der ist unten durch bei mir. Ich verstehe nicht, wie man so respektlos mit seiner Schwester umgehen kann. Sie ist schließlich keine zwölf mehr und kann schlafen mit wem sie will.", gebe ich zurück.
„Ich glaube er war nur wütend auf dich und das ist ihm so rausgerutscht. Ich wäre auch sauer, wenn du mit meiner kleinen Schwester schlafen würdest.", Luc kratzt sich am Hinterkopf.
„Du hast keine kleine Schwester. Und selbst wenn, dann würdest du nicht anfangen, sie zu beleidigen."
Luc verdreht die Augen. „Rein theoretisch meinte ich ja auch. Ich wäre auch sauer, wenn du mit meiner großen Schwester schlafen würdest. Aber du hast recht, dann würde ich sie trotzdem nicht beleidigen."

Ich greife wieder nach der Stange mit den Gewichten. „Wenn ich sie heute auf der Arbeit nicht sehe, fahre ich doch zu ihr."
„Meinst du nicht, dass sie erstmal Zeit braucht?"
„Doch, das weiß ich sogar. Aber ich muss sie sehen. Selbst wenn es nur zwei Sekunden sind. Ich muss wissen, dass es ihr gut geht."
„Du bist krank."
„Ich mache mir nur Sorgen."
„Eben. Hör auf damit, das hilft niemandem weiter."
„Luc, wenn du weiter so unnötige Kommentare von dir gibst, hilfst du mir auch nicht gerade.", stoße ich aus.

Luc hält den Mund und wir trainieren noch eine halbe Stunde. Dann fahre ich kurz nach Hause, gehe duschen und mache mich fertig für die Arbeit. Ich hoffe wirklich, dass ich ihr auf einem Einsatz begegne.

Ich begrüße meinen Chef in der Hoffnung, dass er nichts von Norah und mir weiß. Mittlerweile ist das Risiko ziemlich hoch, denn ich traue Pablo zu, dass er mich bei ihm verpetzt. Er verhält sich aber ganz normal. Alessandro Ramirez ist ein Stinkstiefel. Er ist immer mies drauf, es sei denn Norah oder seine Frau sind in der Nähe. Manchmal, so circa an fünf Prozent der Tage, ist er ohne Grund gut drauf. Ich weiß, dass er der beste Freund von Lucs Vater ist. Aber das ist auch die einzige Information zu seinem Privatleben, die ich habe.
„Diego.", hält er mich auf, als ich zur Garderobe gehen will. Ich bleibe stocksteif stehen. Langsam kriecht Panik in mir hoch. Ich drehe mich zu ihm um. Weiß er doch was?
„Komm her.", meint er und winkt mich zu sich.

Ich gehe zu seinem Schreibtisch. Mein Herz pocht wie wild in meiner Brust. Entweder, er feuert mich direkt. Oder er haut mir in die Fresse.
Ich will mich bereits entschuldigen und darum flehen, mich nicht zu feuern, da grinst er mich an. „Du bist doch so ein cooler, junger Hüpfer, nicht wahr? Was hältst du davon, wenn du den Rookie heute mitnimmst und ihm alles zeigst?"
Mein Hirn braucht etwas länger, um die Informationen zu verarbeiten. Scheint, als hätte er heute einen der fünf Prozent an guten Tagen.

Ich sammle mich kurz, denn ich habe mit genau dem Gegenteil gerechnet. „Ähm, klar. Total gerne sogar."
„Perfekt, ich schicke ihn gleich zu dir.", damit dreht er sich von mir weg und bedeutet mir, zu gehen.
Dios, hatte ich Angst.
Ich ziehe mich um und setze mich dann in den Gemeinschaftsbereich vor der Halle. Dort warte ich auf den Rookie. Er kommt hereinstolziert. „Du musst Diego sein.", meint er, als er mich entdeckt. Ich stehe auf. „Der bin ich. Du bist dann wahrscheinlich Joe."
Er nickt und hält mir seine Hand hin. Ich ignoriere sie. Ich bin nicht hier, um Freundschaften zu schließen.
„Fahren wir los.", ich gehe vor zu den Autos. Er wackelt mir hinterher wie ein Welpe.

Dann fahren wir los. Er redet nicht. Ich rede nicht. Der erste Einsatz kommt rein. Es ist einer von den Einsätzen, bei denen ich mich frage, warum ich diesen Job mache. Es handelt sich um einen einfachen Nachbarschaftlichen Streit. Um eine verdammte Kiwi.
„Passiert sowas öfter?", fragt mich der Rookie.
„Ja. Gewöhn dich dran. 55% aller Einsätze sind unnötig."
Er schluckt. Dann kommt ein nächster Einsatz rein. Es soll sich um häusliche Gewalt handeln. Die Nachbarn haben schreie gehört und uns alarmiert. Wir fahren zu dem Haus und ich klingle. Der Rookie steht nervös neben mir. „Entspann dich. Dir tut keiner was.", murmle ich.
„Ich weiß, aber das ist alles so aufregend und neu für mich.", gibt er zu.

Dann wird die Tür geöffnet und ein Mann schaut uns an.
„Guten Abend, Sir. Ist alles in Ordnung da drinnen?", frage ich ihn.
„Ja, ja alles gut. Wieso sind Sie hier?", fragt er.
„Wir wurden gebeten, einmal nachzusehen. Ist Ihre Frau im Haus?"
„Sie ist im Bad.", gibt er zurück. Ich kann sehen, dass sich seine Körperhaltung verändert. Er ist unsicher.
„Dürfte ich mich mal drinnen umsehen?", frage ich. In dem Moment kommt die Frau in den Hintergrund.
„Das geht gerade leider nicht.", der Mann verspannt sich.
„Ma'am, geht es Ihnen gut?", frage ich die Frau, welche aussieht, als hätte sie gerade geweint.
„Ja, mir geht es gut.", sagt sie. Aber ihre Stimme bricht.
„Da haben Sie es. Ich wünsche Ihnen noch eine angenehme Nacht.", meint der Mann und schlägt mir die Tür vor der Nase zu.

Wir entfernen uns von dem Haus.
„Wir fahren jetzt aber nicht einfach wieder, oder?", fragt Joe. Ich schüttle den Kopf. „Nein. Wir rufen die Sanitäter. Sie müssen die Frau untersuchen. Wenn sie hier sind, gehen wir rein und nehmen den Mann fest.", erkläre ich.
„Dürfen wir das einfach so?"
„Wir machen es nicht einfach so. Er hat seiner Frau körperliche Gewalt zugefügt. Das erkennt man sofort."

Keine fünf Minuten später trifft der Krankenwagen ein. Norah steigt aus. Gefolgt von einem Kerl, den ich beim Teambuilding kennengelernt habe.
Ich gehe zu den beiden. Der Rookie folgt mir.
„Hey.", begrüße ich in erster Linie Norah.
„Hey", gibt sie zurück, „was haben wir?"

Ein Kommunikationsproblem.

„Der Mann fügt seiner Frau häusliche Gewalt zu. Wir müssen da rein. Ihr müsst die Frau untersuchen.", fasse ich zusammen.
„Worauf wartest du dann noch?", fragt Norah. Sie sieht wieder mal unfassbar schön aus. Aber das ist jetzt gerade unwichtig. Ich klingle nochmal, der Mann öffnet nochmal.
„Sir, ich muss Sie bitten, aus dem Weg zu gehen. Ich möchte mit Ihrer Frau sprechen.", versuche ich es höflich.
Er will mir gerade die Tür vor der Nase zuschlagen, da stelle ich meinen Fuß in die Tür und packe ihn am Oberarm. Dann befördere ich ihn mit einem geschicktem Griff zu Boden. Norah läuft schnell an uns vorbei ins Haus und kümmert sich um die Frau.

Der Rookie bekommt den Mann in die Hand. Ich helfe Norah mit der Frau. Eigentlich will ich nur kurz bei ihr sein.
Ich befrage die Frau kurz, während Norah sie untersucht. Dann treten wir aus dem Haus. Ich halte Norah kurz am Arm zurück.
„Ist alles okay?", frage ich und suche eine Antwort darauf in ihren Augen.
„Diego, bitte lass uns nicht jetzt reden.", meint sie und will sich aus meinem Griff lösen.
„Sag mir, wie es dir geht."
„Diego-"
„Sag es mir."
„Ich bin sauer. Und ich weiß nicht, was ich denken soll, okay? Lass uns wann anders reden. Ich will jetzt nicht streiten.", meint sie und entfernt sich von mir.

Ich schaue ihr kurz hinterher. Dann gehe ich zu Joe ins Auto.
„Deine Freundin?", fragt er interessiert.
„Nein. Aber ich würde dir trotzdem raten, dich von ihr fernzuhalten.", knurre ich.
„Keine Sorge Mann, es ist nicht zu übersehen, dass du völlig auf sie stehst.", er grinst mich wissend an.
„Du hältst die Klappe. Das ist die Tochter vom Chef.", knurre ich.
Seine Augen weiten sich. „Du hast aber Eier, Mann."
Dann fahren wir los.

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