Kapitel Drei

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Taiki

Ich glaube nicht an Zufälle.

Ebensowenig glaube ich an das Schicksal.

Zumindest bis vor wenigen Tagen.

Bis wir die seltsamste Begegnung erleben, die uns untergekommen ist. Ihr Auftreten ist so widersprüchlich, dass sie für mich ein unlösbares Rätsel bleibt. Ihr Aussehen täuscht darüber hinweg, dass sich hinter der Fassade eine starke Persönlichkeit verbirgt. Es will mir nicht in den Kopf, dass dieses Mädchen uns nicht kennt. Seit wir vor einem Jahr als Three Lights durch Japan tourten, wächst unser Bekanntheitsgrad. In Zeiten von YouTube und Social Media werden News schneller verbreitet als man blinzeln kann. Unsere Videos werden von mehrere Millionen Menschen gesehen, gelikt und kommentiert.

Jene Begegnung im Park bleibt mir eine Weile im Gedächtnis. Yaten ist von ihr hin- und weg. Das sehe ich an dem Leuchten in seinen Augen, wenn das Mädchen zu Sprache kommt. Auch Seiya wirkt interessiert, denn er beteiligt sich an den Gesprächen und stellt ziemlich viele Fragen. Sobald wir über das seltsame Mädchen reden, ist sein Liebeskummer vergessen. Seine Augen nehmen wieder denselben, hellen Glanz an und manchmal ertappe ich ihn dabei, wie er lächelt. Dieses Mädchen bleibt ein Mysterium, doch sie zieht Veränderungen durch unsere Leben.

Eben jenes Mysterium steigt soeben die Bühne hinauf und nimmt hinter dem Piano Platz. Mantel und Schal hat sie abgelegt. Die weiße Bluse umschmiegt ihre Kurven. Um den Hals trägt sie ein pinkes Tuch mit Kirschblüten. Ihre Hände stecken wieder in Handschuhe. Das schwarze Haar trägt sie zu einem Pferdeschwanz, der ihr über die Schulter fällt, als sie die Notenblätter richtet.

Vor Überraschung bleibt mir der Mund offenstehen. Bisher habe ich keine Lust auf dieses Casting verspürt, dem wir als Juroren beistehen sollen. Ihr Auftreten ändert meine Meinung und verbessert meine Laune erheblich.

Yaten knufft mir in die Seite. „Also, das ist nun wirklich Schicksal.", raunt er.

Ich werfe einen Seitenblick zu Seiya und stelle verblüfft fest, dass sich seine Miene aufgehellt hat und ein Lächeln auf seinem Gesicht liegt. Sein Liebeskummer ist wie weggeblasen. Als braucht es nur dieses Mädchen, um seinen Herzschmerz zu heilen.

Entspannt, die Hände vor dem Bauch gefaltet, lehne ich mich zurück.

Das Mädchen, dessen Name wir immer noch nicht kennen, schenkt uns keine Beachtung. Als ein Mädchen im hellblauen Kostüm die Bühne betritt, fahren ihre Finger über die Tasten. Leise, liebliche Klavierklänge erfüllen den Saal. Die Kandidatin beginnt zu singen. Leicht zittrig, offenbar sehr nervös. Verständlich, wenn man als Erste von hundert Anwärtern auftreten muss. Zu ihrem Glück ist der Saal bis auf die sechs Juroren und der Begleitung am Klavier leer.

„Schade.", flüstert Yaten, der der Sängerin keine Beachtung schenkt. Sein Augenmerk liegt auf der Pianistin. „Ich habe gehofft, ihre Stimme zu hören."

Ich nicke pflichtbewusst, ergreife den Bewertungsbogen und setze meine Kreuze.

Dem Mädchen folgen weitere Kandidaten. Jungen und Mädchen unterschiedlicher Altersstufen und Ausbildungslevel. Die Sänger und Sängerinnen unter ihnen kommen weiter. Die Anfänger fliegen meist sofort raus. So ist das Show-Business. Hart, selten fair, dafür mit Erfolg gekrönt, wenn man die richtigen Kontakte knüpft und pflegt.

Nach Feierabend hechten wir zur Bühne. Unsere Hoffnung, ein paar Worte mit der Pianistin zu wechseln, zerplatzt wie eine Seifenblase, als wir den Platz leer vorfinden. Sie besitzt echt ein Talent, schnell zu verschwinden. Als hütet sie ein Geheimnis, dass unter allen Umständen bewahrt werden muss.

Der Regisseur, ein junger Athlet mit der Ausstrahlung eines Models und dem Lächeln eines Casanovas, zückt sein Tablet. „Nächste Woche starten die Vorrunden. Die Teilnehmer werden in Gruppen zusammenarbeiten, und sich behaupten müssen. Die besten zwanzig unter ihnen schaffen es ins Team für die TV-Serie."

Fallen Angel - Die Federn des EngelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt