Kapitel 6

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Die nächsten beiden Tage verliefen Ereignislos. Ich träumte weder von Jekon, noch tauchte er wieder in meinem Zimmer auf. Ich war erleichtert und gleichzeitig enttäuscht darüber. Ich hatte mir viele Gedanken über mein 'kleines' Problem gemacht, aber eine wirkliche Lösung kam mir noch nicht in den Sinn. Ich konnte nur hoffen, dass es keine weiteren Zwischenfälle mehr gab.

Immer Freitags haben wir speziellen Unterricht, den sogenannten Fähigkeitsunterricht . So lernen wir unsere besonderen Talente, die wir durch unsere unsterbliche Hälfte bekommen haben, besser zu nutzen, auszubauen und zu kontrollieren. Zum Beispiel hat Elena eine Affinität zur Luft. Jedoch ist das einzige was sie bis jetzt kann, Wirbelstürme im mini Format zu erzeugen. Und Miondra hat Traumvisionen. Bei ihr sind die Lehrer sich noch nicht sicher, ob ihre Visionen von der Zukunft, der Vergangenheit oder der Gegenwart handeln. Erion und Lyrian sind 'Krieger', das heisst sie werden in der Kampfkunst unterrichtet und gefördert. Ich bin völlig talentfrei. Was mich aber nicht gross stört, weil hier etwa ein viertel der Schüler keinerlei Anzeichen für irgendeine Besonderheit zeigt. Wir haben aber auch nicht ganz normalen Unterricht, sondern vertiefen manchmal den Unterrichtsstoff, werden aber auch in Kunst, Schauspiel, Musik und anderen kreativen Aktivitäten gefördert.

Ich schlenderte in einem beige Spitzenkleid , mit einem Früchte-Cocktail in der Hand durch die Mensa . Dort herrschte bereits ein buntes Treiben und wie immer war ich die letzte die sich an unseren Stammtisch hin pflanzte.

"Cassy, wie immer bist du 'das letzte'." stellte Erion amüsiert fest.

"Das beste kommt zum Schluss." erwiderte ich gespielt hochnäsig. Lyrian und Miondra brachen in Gelächter aus, während Elena gerade auf ihr Handy einhämmerte. 

"Kann man dir helfen?," fragte Miondra sie. Elena schaute kurz auf. "Oh, nein, sorry. Ich habe uns nur gerade die hammermässigsten Outfits für heute Abend beschafft," freute sie sich. Schon gut habe ich eine Freundin wie Elena, denn über mein heutiges Outfit habe ich mir ehrlich gesagt noch keine richtigen Gedanken gemacht.

"Ihr seht sie aber erst heute nach dem Unterricht,"verkündete sie stolz. In dem Moment kam Meghan an unseren Tisch gelaufen und setzte sich schwungvoll neben Elena. Die halbe Mensa hatte nun die Augen auf uns gerichtet. "Was glotzt ihr so?" fragte die Schulkönigin genervt.

"Auch Hallo Meghan," antwortete Erion sarkastisch. Sie schenkte ihm nur einen missbilligen Blick. Die einzige die sich über die Anwesenheit unsere Miss-ach-so-wundervoll zu freuen schien, war Elena.

"Hi Meghan! Wo sind Kate und Maddy?" fragte Sie. "Deswegen bin ich hier, sie kommen nämlich nicht mit."

"Wieso nicht? Sie haben sich doch auch so auf diese Party gefreut?" fragte Elena mit grossen Augen.

"Maddy hat eine Vorahnung, dass dieser kleine Ausflug ziemlich in die Hose gehen wird. Aber ihre 'Vorahnungen' kann man nicht ernst nehmen. Die Lehrer sagen selbst, dass sie viel zu ungenau und zu 80% sowieso falsch sind. Also sehe ich keinen Grund nicht zu gehen," meinte Meghan gelassen.

Nachdem wir unsere Pläne bezüglich unseres 'Ausfluges' ausgetauscht hatten, verschwand Jeder in seinem Unterricht. Ich hatte wieder einmal Kunstunterricht. Wir malten draussen an der warmen Sonne mit Kohle die Schlossmauern des Orion. Ich bin nicht wirklich künstlerisch begabt, trotzdem machte es mir Spass, und ich konnte meine Gedanken schweifen lassen. Die Ereignisse mit Jekon schienen mir schon ewig zurückzuliegen und in mir keimte die Hoffnung auf, dass das einfach nur eine Verwechslung war oder ein Zufall und er nie mehr in meinem Leben auftauchen würde.

Irgendwann merkte ich, dass ich keine Kohle zu malen mehr hatte. Unser alt wirkender Kunstlehrer schickte mich danach in den Schlosskeller um gleich für die ganze Klasse neue Kohleschreiber zu holen. Immer fasse ich mir die Scheiss-Jobs, wäre mir beinahe rausgerutscht. Mit einem Murren machte ich mich auf den Weg nach drinnen.

Das Orion verfügt über ein riesiges Kellersystem. Die Treppe in den Keller befindet sich gleich rechts neben der Mensa. Ich stieg die kalten Steintreppe herunter und genoss die Kühle die mir entgegenkam. Unten angekommen gab es verschiedene Gänge von denen Türen abführten. Die meisten waren angeschrieben mit 'Privat' oder 'kein Zutritt für Schüler'. Keine Ahnung was hinter all diesen Türen steckt. Unser Hausmeister meinte es ständen nur Aktenschränke drin. Ob das auch wirklich wahr ist weiss wohl keiner genau.

Unterdessen stand ich vor der Türe die die Beschriftung 'Materiallager' aufwies. Ich wollte gerade die Türklinke herunterdrücken, als ich eine feine weibliche Stimme meinen Namen flüstern hörte. Ich drehte mich um, doch da war niemand. Wieder hörte ich diese Stimme,

"Komm zu mir, Kind". Ohne es zu merken setzten sich meine Füsse in Bewegung und folgten der Stimme. "Hilf mir" Ich bog immer wieder in neue Gänge und war überrascht wie verzweigt das ganze hier unten war.

"Du bist gleich da." Die Stimme klang wie in einem Traum, wunderschön und so hell. Am Ende eines Ganges blieb ich stehen. Es war eine Sackgasse. "Drück auf den zugeklebten Knopf auf der anderen Seite." Schnell hatte ich den mit Klebeband überklebten Knopf gefunden und gedrückt. Die Wand schwang zur Seite und eine Eisentür kam zum Vorschein. "Sehr schön, und nun öffne sie." Ich zögerte. Irgendwie machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit. "Mach schon, öffne sie!... ich meine bitte, ja?" Es war komisch, ich bewegte mich wie in Trance. Noch ehe ich es realisiert hatte drückte ich die Türe mit vollem Körpereinsatz auf.

Ich erstarrte noch in der Bewegung. Meine Gliedmassen fühlten sich an als wären sie zu Eis gefroren. Ich konnte nicht mal mehr schreien. Da in diesem versteckten Raum in einer der hintersten Ecken des Orionkellers, sass sie. Gefangen in einem riesigen Vogelkäfig.


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