29. (Auf) Wiedersehen (?)

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"Was???", panisch sprang ich vom Sofa auf. Ich hatte Schwierigkeiten, mich auf den Beinen zu halten, denn Marlies Wohnzimmer drehte sich im Kreis. Ich presste mir den Arm an die schmerzende Stirn und setzte mich wieder. "Du bist wo???" Das konnte nicht sein Ernst sein.

Auf der anderen Seite der Leitung raschelte etwas, das sich wie ein Schlüsselbund anhörte. "In München", wiederholte Tommi. "Shit, ich muss jetzt wirklich schnell hier weg. Wo wohnst du, Lou?" Ich schluckte. "Aber...", flüsterte ich. "Aber ich bin bei Marlie." Tommi fluchte leise und ich hörte, wie er den Motor startete. Der Blinker im Hintergrund klickte. Kurz darauf sagte er: "Dann hole ich dich da ab. Nenn mir jetzt bitte einfach eine Adresse, zu der ich fahren kann."

Ich stöhnte auf. War er wirklich hier? "Ähm, ich... nein, geht schon. Ich fahre heim, sind nur drei Stationen", flüsterte ich, bevor ich den Namen meiner Straße sowie die Hausnummer nannte. Die Vorstellung, mit Tommi im Auto eingesperrt zu sein und dem Gespräch nicht entfliehen zu können, bereitete mir Bauchschmerzen. Das fehlte mir gerade noch.

Er atmete erleichert auf. "Danke", murmelte er. "Bis gleich. Ich freu mich auf dich", hörte ich ihn noch sagen, dann war er weg. Fuck. Ich sprang erneut vom Sofa auf, ignorierte den Schwindel und schnappte meine Handtasche mit den Klamotten von gestern. Völlig unter Strom schlüpfte ich in meine Schuhe und warf einen Blick in den Spiegel in Marlies Flur. Fuck. Ich trug immer noch das neue Kleid, meine Haare waren komplett verknotet und meine Wimperntusche verschmiert. Heute Nacht waren wir so kaputt gewesen, dass wir nur noch ins Bett gefallen sind. Ich musste unbedingt vor Tommi in meiner Wohnung ankommen, um mich umzuziehen, mich abzuschminken und - ich hauchte in meine Hand - meine Zähne zu putzen. Ohne in Marlies Schlafzimmer zu sehen, rauschte ich aus der Wohnungstür in Richtung Tramstation.

Völlig außer Atem rannte ich den Weg entlang, der von der Tramstation zu meiner Wohnung führte. Ich hatte Glück gehabt, die nächste Tram war sofort gekommen. Da Tommi während unseres Telefonats noch auf der Leopoldstraße gestanden hatte, war ich mir sicher, ein paar Minuten vor ihm einzutreffen. Keuchend bog ich um die letzte Ecke und blieb aprupt stehen. Fuck. Etwa 100 Meter entfernt lehnte Tommi bereits an der Hauswand und wartete. Panisch drehte ich mich um und verschwand wieder um die Ecke, bevor er mich entdecken konnte. Ich kramte mein Handy aus der Tasche und betrachtete mich durch die Innenkamera. Fuck, fuck, fuck. Ich fuhr mit der Hand durch meine Haare, um sie notdürftig zu bändigen. Dann befeuchtete ich etwas angewidert meinen Zeigefinger und versuchte, die Wimperntusche unter meinen Augen so gut wegzuwischen, wie es ging. Ich seufzte. Was tat ich hier? Dieser Typ hatte mich so verletzt... was kümmerte es mich überhaupt, wie ich beim finalen klärenden Gespräch aussah?

Ich atmete nochmal tief durch, richtete mein Kleid, nahm all meinen Mut zusammen und bog um die Ecke. Langsam lief ich auf Tommi zu. Er hatte mich noch nicht entdeckt, schaute in die entgegengesetzte Richtung. In seiner linken Hand hielt er eine Papiertüte. Neben seinen Schuhen standen zwei To Go-Becher. Nervös versuchte ich, meine Atmung zu beruhigen. Doch je näher ich ihm kam, desto zittriger wurde ich. Als ich nur noch wenige Meter entfernt war, drehte er den Kopf und sah mich an. Er wirkte müde. Und trotzdem sah er unverschämt gut aus. Unsicher zupfte ich am Bund meines Kleides herum, als ich erkannte, dass sein Blick von meinem tiefen Ausschnitt weiter zu den Beinen wanderte. Dann wieder zurück zu meinen Augen. "Hey", murmelte er, als ich kurz vor ihm stehen blieb. Schon allein seine knappe Begrüßung schaffte es, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Schnell wich ich seinem Blick aus und blinzelte die Nässe weg. Als ich seine Hand auf meinem Arm spürte, schoss die Berührung wie ein Blitz durch meinen ganzen Körper. Und obwohl ich in diesem Moment nichts lieber getan hätte, als mich in seine Arme fallen zu lassen und alles zu vergessen, machte ich einen Schritt zurück und schüttelte langsam mit dem Kopf. Stattdessen kramte ich meinen Schlüsselbund aus der Tasche und wandte mich der Haustür zu. "Gehen wir hoch."

"Ich bin gleich wieder da", sagte ich, als ich die Wohnungstür hinter uns geschlossen hatte. "Fühl dich wie zuhause", schob ich hinterher, obwohl ich es überhaupt nicht so meinte. Am liebsten wäre mir gewesen, er wäre verschwunden und ich hätte mich heulend unter der Decke verstecken können. Ich hatte furchtbare Angst vor dem Gespräch, das gleich folgen würde. Vor der Wahrheit. Trotzdem wollte ich ihn nicht lange warten lassen. In Windeseile putzte ich mir die Zähne, entfernte das restliche Make-up und kämmte mir durch die Haare. Dann schlüpfte ich in meine fliederfarbene Jogginghose und ein weißes T-Shirt. Ich lächelte meinem Spiegelbild noch einmal aufmunternd zu. Ich hatte meinen Entschluss gefällt: Ich würde ihm eine einzige Chance geben, sich zu erklären. Doch wenn sich das nicht alles auf wundersame Weise als großes Missverständnis herausstellen sollte, würde ich nicht schwach werden, sondern ihn freundlich, aber bestimmt zur Tür begleiten. Ja, wir waren nicht zusammen. Ja, er war ein freier Mensch und durfte tun und lassen, was er wollte. Aber wenn es so war, wie das Foto und diese widerliche Nachricht vermuten ließen, hatte mir unsere gemeinsame Zeit in Köln deutlich mehr bedeutet als ihm. Und dann hatte es sich für mich erledigt. "Du schaffst das", flüsterte ich und lief nervös zurück ins Wohnzimmer.

Was mich dort erwartete, ließ mein Herz sofort wieder weicher werden. Ich seufzte leise.

Nicht. Schwach. Werden.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 08 ⏰

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Più bella cosa (Tommi Schmitt)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt