26. Ablenkung?

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„Verstehe", hörte ich Marlie sagen, nachdem ich ihr erzählt hatte, wie Felix sich am Abend der Show in Köln verhalten hatte. „Das klingt tatsächlich nicht so, als hätte er dich herzlich empfangen. Aber was ist sein Problem? Was hat er gegen dich? Er kennt dich doch gar nicht." Ich seufzte. „Ich habe keine Ahnung."

„Vielleicht hat Beziehungs-Tommi in Felix' Augen zu wenig Zeit für das gemeinsame Business. Und er hat keinen Bock darauf, dass seine Cashcow von einer Frau abgelenkt wird." Ich verdrehte die Augen. „Oder...", überlegte Marlie weiter. „Oder er steht selbst auf ihn. Wie in den ganzen Fanfictions." Sie kicherte.

„Sehr witzig", murmelte ich genervt. „Mir ist gerade überhaupt nicht nach Lachen zumute." - „Tut mir leid, Lou. Ich weiß auch gar nicht, ob Felix sowas überhaupt tun würde. Ich meine, klar, er hat zwar manchmal einen etwas... ich nenne es mal fragwürdigen Humor. Aber DAS wäre schon komplett abgefuckt." - „Ja...", flüsterte ich, während mir abermals die Tränen in die Augen schossen. „Aber... ehrlich gesagt ist mir gerade komplett egal, wer mir das geschickt hat und aus welchem Grund. Das ändert nichts daran, was auf dem Foto zu sehen ist. Vielleicht... vielleicht sollte ich der Person sogar dankbar sein, dass sie mir die Augen geöffnet hat", bekam ich gerade noch raus, bevor meine Stimme wieder brach und sich in ein Schluchzen verwandelte.

„Lou... schreib ihm einfach. Frag ihn, was das zu bedeuten hat. Dann hast du Gewissheit", schlug Marlie erneut vor. „Ich will nicht", jammerte ich. „Er hat mich so verletzt." - „Hey, ich dachte, wir sind so verblieben, dass wir nicht vom Schlimmsten ausgehen", versuchte Marlie nochmal, mich zu beruhigen. Ich schniefte und wischte mir die Tränen aus den Augen. „Okay", antwortete ich. „Ich versuch's. Aber dann kann ich ihm schon dreimal nicht schreiben. Was, wenn wirklich nichts war? Dann wirke ich wie ein eifersüchtiger Kontrollfreak. Wir sind schließlich nicht zusammen... eigentlich darf er machen, was er will." - „Du widersprichst dir komplett, Lou", hörte ich Marlie sagen. Ich seufzte. „Man, ich weiß... ach, keine Ahnung. Ich warte jetzt erstmal, bis ER schreibt. Falls er überhaupt nochmal schreibt...", flüsterte ich. Marlie stöhnte auf. „Okay, dann ist jetzt Ablenkung abgesagt. Wir treffen uns um eins am Karlsplatz. Wir gehen heute shoppen!"

Wir hätten uns denken können, dass das an einem Samstagnachmittag keine gute Idee war. Die Stadt war brechend voll. Angenehm war anders - aber immerhin kam ich durch den Trubel auf andere Gedanken. Als erstes steuerten wir Zara an. Schon im Schaufenster entdeckte ich eine süße sommerliche Bluse, die ich unbedingt anprobieren wollte.

Im Laden hing ich mir nicht nur die Bluse, sondern auch eine Jeans in zwei verschiedenen Größen, eine Latzhose, ein Kleid und zwei T-Shirts über meine linke Armbeuge. Ich schlängelte mich durch die Menschenmassen zwischen den Kleiderständern und hielt nach Marlie Ausschau, die aber nirgends zu sehen war. Also machte ich mich auf den Weg zu den Umkleidekabinen. Mir klappte der Mund auf, als ich die Schlange an Menschen sah, die sich an der Wand entlang durch den halben Laden zog. „Na toll", stieß ich aus und verdrehte die Augen.

„Du hast auch keine Lust, dich da anzustellen, oder?", fragte Marlie, die auf einmal neben mir aufgetaucht war. „Ich hab meine Sachen gerade schon zurückgelegt." - „Oh man...", sagte ich enttäuscht und zog die süße Bluse aus dem Stapel in meinem Arm. Ich zuckte mit den Schultern. „Die nehm ich trotzdem mit."

Zweieinhalb Stunden später standen wir schweißgebadet auf der Rosenstraße. Bis auf die Zara-Bluse habe ich nichts mehr gefunden. Marlie hatte außer einem Spiel für ihre PlayStation auch nichts gekauft. Die Läden waren einfach zu voll, um sich entspannt umzuschauen - geschweige denn etwas anzuprobieren. „Wollen wir da noch rein?", fragte Marlie und zeigte auf eine Boutique. Erschöpft trottete ich ihr hinterher. „Letzte Chance, danach bin ich wirklich platt", keuchte ich.

Zu unserer Überraschung war der kleine Laden angenehm klimatisiert und so gut wie leer. Lediglich eine mittelalte Frau stöberte durch die Accessoires. Ich genoss die Stille, während ich die bunten Stücke auf den Kleiderbügeln bestaunte. Ich schnappte mir drei Teile und rief Marlie zu, die gerade eine Sonnenbrille anprobierte: „Ich bin kurz in der Umkleidekabine!"

Dort angekommen betrachtete ich mich in dem großen Wandspiegel. Meine Wangen und auch meine Nase waren vom Weinen heute Morgen immer noch gerötet. Meine Augen brannten nach wie vor leicht. Nachdem ich den Gedanken an Tommi während der letzten Stunden immer wieder wegschieben konnte, sah ich ihn nun unvermeidlich vor mir. Tommi, wie er sich hungrig eine Gabel Nudelsalat in den Mund schob und mich danach kauend angrinste. Plötzlich verschwamm das Bild vor meinem inneren Auge und ich sah stattdessen ihn und die fremde Frau vor mir. Ich atmete tief ein und aus, während ich meine Auswahl an Kleidungsstücken an die goldenen Haken hing. Es war später Nachmittag, egal wie lange er feiern war - sollte er nicht mittlerweile wach sein? Mit zittrigen Händen kramte ich mein Handy aus der Handtasche, die ich auf dem kleinen Hocker in der Kabine abgestellt hatte. Vielleicht hatte er sich ja gemeldet ...

Più bella cosa (Tommi Schmitt)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt