10. Die erste Begegnung

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Ich zitterte am ganzen Körper. Gleich würde ich ihn tatsächlich treffen. Wenn auch nur für eine Viertelstunde. Ich würde Tommi gegenüber stehen. Schnell stand ich auf, schaute mich kurz um und lief dann so unauffällig wie möglich aus der Halle. Ich sah den roten Vorhang sofort. Je näher ich den Securitys kam, desto schneller schlug mein Herz. Ich könnte noch umdrehen. Sollte ich umdrehen? Ich spürte, wie meine Knie langsam nachgaben. Es war mir ein Rätsel, wie ich ihm gleich gegenübertreten sollte.

Viel zu schnell war ich beim Vorhang angekommen. Ich zögerte. "Ähm... ich soll euch ein Codewort nennen." - "Ach ja? Welches denn?", fragte einer der Securitys forsch. "The Lemonade Stand", sagte ich knapp. Die beiden nickten sich an und zogen den Vorhang auf. "D-danke", stammelte ich und lief langsam hindurch. Als ich mich nochmals umdrehte, war der Vorhang bereits wieder zugezogen.

Ich blickte mich um. Vor mir lag ein langer Gang mit mehreren Türen auf jeder Seite. Wo sollte ich hin? Schnell kramte ich nach meinem Handy. Als ich gerade den Chat mit Tommi geöffnet hatte, quietschte eine Tür am Ende des Gangs. Ich hörte Schritte und blickte auf. Fuck, jetzt gab es kein Zurück mehr. Da stand er. Nein, er lief. Er lief auf mich zu und wurde dabei immer schneller. Ich war zu Eis erstarrt, konnte mich nicht bewegen. Er strahlte mich an. "Hey", begrüßte er mich, als er nur noch drei Meter entfernt war. Ich hielt die Luft an. "Ich freue mich so, dich zu sehen. Ich dachte schon, du wärst nicht gekommen", sagte er etwas leiser. Direkt vor mir blieb er stehen und breitete seine Arme aus. "Hi", brachte ich hervor, als er mich umarmte. Meine Nase drückte sich an seine Schulter. Er roch so gut und meine Knie wackelten verräterisch. "Natürlich bin ich da", antwortete ich noch in der Umarmung. Als er mich losließ, erzählte ich ihm, dass ich erst kurz vor Showbeginn in der Halle ankam und leider auch erst in der Pause wieder auf mein Handy schaute. "Das erklärt einiges. Ich habe immer wieder von der Bühnenseite in den Saal geschaut, um dich zu suchen. Aber bis kurz vor der Show konnte ich dich nicht entdecken. Ich dachte echt, du hast es dir anders überlegt." Er schaute zu Boden. Dann lachte er auf. "Aber es ist natürlich sehr vorbildlich, dass du während der Show nicht ans Handy gegangen bist."

Ich zuckte lächelnd mit den Schultern. "Freut mich, dass wir uns kurz sehen können." - "Wie, nur kurz? Willst du etwa nicht länger?" Er zwinkerte mir zu. "Ähm, doch... klar. Aber, ich dachte... du musst doch gleich wieder auf die Bühne, oder?" - Er schaute mir in die Augen. Gott, diese Augen. "Komm mit."

Ich folgte ihm den langen Gang entlang bis zur letzten Tür. Er schob mich hindurch und mein Blick fiel auf die kleine Gruppe Menschen, die auf vier zueinander gerichteten Sofas lümmelten. "So, da bin ich wieder", sagte Tommi zu den anderen gerichtet. "Und das ist Lou." - "Hi", kam es von den Sofas. Einige Crewmitglieder lächelten mir wohlwollend zu. Schnell scannte ich ab, wer mir bekannt vorkam. War das Felix' Managerin? Felix selbst saß ganz links. Er hob den Kopf, musterte mich kurz und setzte das Gespräch mit seinem Bruder fort. Die anderen kannte ich alle nicht.

Tommi legte mir eine Hand auf den Rücken, um mich an den Sofas vorbei zu schieben. Sofort wurde mir warm. Ich traute mich nicht, ihn anzusehen, also sah ich schüchtern in die Ecke des Raumes, in die er mich führte. Dort stand ein kleiner Kühlschrank. "Was möchtest du trinken?" Er öffnete die Tür und zeigte mir die Auswahl. Ich hatte fürchterlichen Durst. Ich nahm all meinen Mut zusammen und schaute ihm nochmals direkt in die Augen. Er lächelte mich an. "Eine Cola, bitte."

Er öffnete zwei Flaschen, gab mir eine davon in die Hand und prostete mir zu. "Ich wiederhole mich. Es ist wirklich schön, dass du da bist", sagte er leise, fast ernst. "Warst du schon im Hotel?" Ich nickte heftig. "Mein Zimmer ist SO schön, ich war richtig geflasht vorhin. Da steht einfach eine Badewanne mitten im Raum." Tommi lächelte wissend. "Ich war noch nie in einem so tollen Hotel. Nochmal danke, dass du mir das organisiert hast. Aber ich hätte auch nichts dagegen, dir das Geld zu geben", sagte ich leise. "Quatsch, jetzt hör mal auf. Ich glaube, wir haben viel bessere Gesprächsthemen als das Geld fürs Hotel", er lachte. "Vorher muss ich aber tatsächlich nochmal weg auf die Bühne. Möchtest du für die zweite Hälfte hier bleiben? Die anderen schauen die Show hier." Ich drehte mich zu den Sofas um. An der Wand hing eine große Leinwand. Ich schluckte. Ich fühlte mich hier total fremd und es war mir unangenehm, mich zur Crew zu setzen. Andererseits... wann hatte ich jemals so eine Chance? Cool bleiben, Louisa. Jetzt oder Nie.

"Ich... ich glaube, ich würde hier bleiben. Also, nur wenn das wirklich für alle in Ordnung ist." Ich blickte nervös zu den anderen. "Mach dir keine Sorgen. Die sind alle nett", Tommi nahm meine Hand und zog mich mit. Oh Gott, die war doch so schwitzig, Hilfe!

"Leute, Lou schaut die zweite Hälfte mit euch an. Hier", sagte er an mich gerichtet. "Setz dich am besten zu Carlotta. Sie erfüllt dir jeden Wunsch, das ist ihr Job." Die junge Frau mit dem schulterlangen dunklen Haaren streckte ihm die Zunge raus. "Sehr witzig", sagte sie augenrollend. "Aber irgendwie hat er auch recht. Hi, ich bin Carlotta und quasi Mädchen für alles hier." Sie lächelte mich an. "Setz dich!" Sie war mir sofort sympathisch. "Okay, ich sehe, du bist in guten Händen", lachte Tommi. "Wir sind dann mal weg. Felix, kommst du?" Felix stand auf, stellte sein Bier auf den Tisch und lief zur Tür. Mich würdigte er keines Blickes.

Nachdem die beiden verschwunden waren, öffnete sich die Tür erneut. Noch ein bekanntes Gesicht, dachte ich. Das muss Nadja sein, sie hatte die Showpause sicher am Merchstand verbracht. Auf dem Weg zum Kühlschrank nickte sie mir lächelnd zu. Mein Herzschlag begann, sich langsam zu beruhigen. Trotzdem war ich nach wie vor angespannt, schließlich hatte ich gerade Tommis Hand auf dem Rücken gespürt und seinen Blick in meinen Augen. Carlotta schien zu merken, was los war. "Hey, alles gut? Wir beißen alle nicht", sie strahlte mich an. "Fühl dich hier ruhig wie zuhause." Meine Muskeln entspannten sich langsam und ich nahm einen Schluck von meiner Cola. "Danke", sagte ich aufrichtig. "Ohne dich wäre ich ein nervliches Wrack."

Più bella cosa (Tommi Schmitt)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt