Kapitel 5

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Lorenzo
Amerika, Chicago

War es eine gute Entscheidung, Valentina diesen Vorschlag gemacht zu haben? Nein.
Bereute ich es? Definitiv.
Ich konnte mir nicht erklären, was mich dazu trieb, ihr diese Idee vorzustellen.
Dann bin ich auch noch so dumm und schlug ich ihr noch vor, mich nach der Reise zu verlassen. Meinte ich es ernst? keine Ahnung.

Für eine Frau, die ich entführt hatte, hatte ich ursprünglich ganz andere Pläne geplant.
Das ist inzwischen klar.
Die Jagd nach ihr, der Prozess, sie zu mir nach Hause zu bringen, um dann ihre Angst zu kosten, war der Hauptgrund, warum ich sie entführt hatte. Aber mein Gewissen konnte sie nicht weiter zwingen, meinen blutigen sexuellen Vorstellungen zu folgen.
Seit dem ich mich in sie verliebt hatte, fühlte sich mein Plan nicht mehr richtig an.
Was hatte ich davon, sie weiter gefangen zu halten, wenn sie meine Liebe sowieso niemals erwidern wird?

Ich blickte in den Badezimmerspiegel und ich versuchte, die Gedanken und die Verzweiflung wegen des bevorstehenden Tages abzuschütteln. Morgen früh würde die Reise beginnen, und ich wollte für Valentina ausgeruht sein, daher machte ich mich bettfertig. Ich wusch mein Gesicht, rasierte mich und trug eine Feuchtigkeitscreme auf. Im Schlafzimmer angekommen, lockerte ich meine schwarze Krawatte und warf sie in eine Ecke. Dann zog ich das Sakko und das weiße Hemd aus.

Im Spiegel konnte ich aus dem Augenwinkel meinen nackten Oberkörper sehen. Langsam trat ich näher heran und betrachtete meinen Körper genau. Ich hatte inzwischen viele Tattoos, die meinen Oberkörper und meine Arme bedeckten. Der einzige Teil, der noch nicht tätowiert war, war mein Rücken, aber das würde sich bald ändern.

Ich blickte auf meine Arme und sah die vielen schwarzen Muster, die andere Menschen bewunderten. Doch für mich waren es die Narben unter der schwarzen Tinte, die mich trafen. Der Gedanke daran ließ mein Herz unruhig schlagen. Zigarettennarben waren über meine Arme verstreut, und egal, wie viele Tattoos ich mir stechen ließ, das Bild der Narben würde mich nie verlassen. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und dieses Gefühl löste in mir eine innere Alarmglocke aus.
Männer weinen nicht.
Männer dürfen nicht weinen.
Nur Frauen weinen.
Die Worte meines Vaters hallten in meinem Kopf wider.
„Fuck!" rief ich meinem Spiegelbild zu und schüttelte den Kopf.
Was für eine abgefuckte scheiße!
Was ist nur los mit mir?!
Ich zog rasch meine schwarze Anzughose aus und ließ sie achtlos zu Boden fallen. Dann ließ ich mich in mein weiches Bett fallen, kuschelte mich unter die Decke und schloss endlich die Augen.

„ELIJAH, ICH WILL AUCH MAL!" rief ich verzweifelt, während ich auf dem saftigen grünen Rasen versuchte, ihm den Ball abzunehmen.
Die Sonne wärmte meine Haut, und der strahlend blaue Himmel machte die Atmosphäre noch Sommerlicher. Mein Vater stand am Grill und brutzelte das Fleisch, das wir heute Morgen selbst gejagt hatten. In der Zwischenzeit saß meine Mutter gemütlich auf einer Liege und hielt Matteo auf dem Arm.

Elijah, mein großer Bruder, und ich kickten gemeinsam im Garten. Mama hatte uns frisch gekaufte Fußballschuhe spendiert, die wir voller Begeisterung ausprobierten.

„HOL IHN DIR DOCH!" rief Elijah mir lachend zu und rannte auf mein Tor zu. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und spürte den Ehrgeiz in mir aufsteigen. Ich wollte unbedingt diesen verdammten Ball! Ich stürmte zu Elijah.
Jetzt sollte er sehen, was ich draufhabe.
Ich schaffte es, ihn zu überholen und schnappte mir eilig den Ball.
„Hey!" rief er.

Ich grinste und streckte ihm die Zunge heraus. Mein Blick war fest auf sein Tor gerichtet.
Ich rannte los und spürte, wie Elijah mir dicht auf den Fersen folgte. Doch er hatte keine Chance, mich einzuholen. Ich war schneller als er.
Ich stoppte kurz, nahm Anlauf und schoss den Ball mit voller Kraft. Doch statt im Netz zu landen, flog er unerwartet woanders hin.

Der Ball prallte auf den Kopf meines Vaters.
Seine Sonnenbrille flog zu Boden, begleitet von einem lauten Knall. Vor Schreck erstarrte ich und auch Elijah blieb wie angewurzelt neben mir stehen. Der besorgte Blick meiner Mutter sprach Bände. Wir alle wussten, was das bedeutete.
Mein Atem beschleunigte sich, und meine Beine begannen zu zittern.
„Verdammt..." flüsterte Elijah neben mir.
Jap, ich bin am arsch.

„Lorenzo!"
Mein Vater rief meinen Namen, seine Stimme war so tief und bedrohlich, dass sogar die Vögel unseren Trinkbrunnen verließen. Ich zuckte zusammen bei seinem Ruf und die Angst ergriff mich. Dennoch wusste ich, dass ich gehorchen musste.
Wenn mein Vater etwas befahl, war es Gesetz.

Ich näherte mich ihm langsam und zitternd.
Je näher ich kam, desto deutlicher sah ich das Feuer in seinen Augen. Meine Haut würde gleich nach Kohle riechen, während mein Herz immer dunkler sein würde.

Als ich schließlich vor meinem sitzenden Vater stand, musste ich schwer schlucken.
Ich nahm die perfekte Haltung ein, genau so, wie er es erwartete. Ich blickte in seine dunklen Augen, die meinen so ähnlich waren.
Ich war sein Ebenbild, mit denselben Augen, Haaren und markanten Zügen. Von all meinen Brüdern ähnelte ich ihm am meisten.
War das der Grund, warum mein Herz immer schwarzer wird?

Mein Blick wanderte kurz zu meiner Mutter.
Sie hatte blonde Haare und meeresblaue Augen, genau wie der kleine Matteo. Ihre blauen Augen trafen auf meine dunklen, und allein ihre Nähe beruhigte mich. Doch sie konnte ihre Besorgnis nicht verbergen, da sie genau wusste, was kommen würde.

„Schau mich an."
Sein Befehl ließ mein Herz schneller schlagen.
Ich sah in seine tiefbraunen Augen.
„Es tut mir leid, Vat—"
Doch bevor ich den Satz beenden konnte, hob er seine breite Hand und schlug mir ins Gesicht. Mein Kopf schnellte nach rechts, und ich kniff reflexartig die Augen zusammen. Der Schmerz war stark, und die Stelle brannte und pochte wie verätzte Haut.

Langsam öffnete ich meine Augen und richtete meinen Blick erneut auf ihn. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich fühlte eine tiefe Traurigkeit und wusste nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Mein Herz schrie, sie freizulassen, doch mein Verstand hielt mich zurück, aus Angst vor meinem Vater.

Ich sah ihn mit zitternden Lippen und feuchten Augen an. Mein Vater nahm einen Zug von seiner Zigarette und blies den Rauch provokant in meine Richtung.

„Mamma, Lori Aua", sagte Matteo und zog an Mamas blonden Haaren. Ihr Gesicht wechselte von Besorgnis zu Wut.
„Marcello! Che cosa stai facendo?!" fauchte sie. Marcello! Was sollte das?!

Ich spürte, wie eine Träne über meine Wange lief und auf meinen Lippen landete. Der salzige Geschmack blieb auf meiner Zunge.
Mein Vater ignorierte völlig, was meine Mutter sagte, und winkte mich mit einem Finger zu sich heran. Mit zitternden Beinen trat ich näher an ihn heran, meine Angst wuchs.
Ich hoffte, dass er mir nicht erneut weh tun würde.

„Marcello!" rief meine Mutter, während sie Matteo im Arm hielt. Ich konnte erkennen, wie genervt er von ihr war, obwohl sie nur versuchte, mich zu beschützen.

„Martina! Stai zitta," fauchte er sie an.
Martina! Sei leise.

„Lorenzo, dammi il braccio."
Lorenzo, gib mir dein Arm.
Sein Blick richtete sich auf mich. Ich stand bereits so nah wie möglich neben ihm, verwirrt darüber, warum er meinen Arm forderte. Zögernd streckte ich ihm meinen zierlichen, kurzen Arm entgegen.

Mein Vater drückte die glühende Spitze seiner Zigarette auf meinem Arm aus, als wäre ich ein lebender Aschenbecher.
Vor Schmerz schrie ich laut auf, Tränen rannen unaufhaltsam über meine Wangen.

„Männer weinen nicht, Lorenzo!" rief er kalt und drückte die brennende Zigarette noch tiefer in meine Haut. Ich fühlte, wie meine Haut sich zu verätzen begann und mein Fleisch sich in dunkle, schwarze Flecken verwandelte.
Von diesem Tag an wurden meine Arme zu seinem täglichen lebendigen Aschenbecher.

Mit einem Ruck saß ich aufrecht, der Schweiß perlte auf meiner Haut, und ich zitterte vor Anspannung. Panisch blickte ich auf meine Arme, doch dort sah ich nur die schwarzen Muster meiner Tattoos. Die Erkenntnis meines Traums ließ mich wieder in die Rolle des hilflosen fünfjährigen Lorenzo zurückfallen.

Mr. & Mrs. de Santis | Dark RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt