Chapter 1

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"Das war eine richtige Scheißprüfung." Ich wischte mir ein paar Flusen von der Jeans und starrte schmollend auf die graue Fassade der University of Harvard, die ich vor wenigen Momenten erst verlassen hatte. Es war warm, die Sonne ließ die antiken, weißen Fensterrahmen grell erleuchten. Hinter ihren Scheiben befand sich die Bibliothek. Alt, unübersichtlich, einschüchternd. Ich runzelte die Stirn. Pete zog seufzend an seiner Zigarette und tätschelte meinen Kopf, den ich auf seine Schulter gelegt hatte. Die Stimme mit der er sprach, hatte etwas beruhigendes.

"Das liegt nicht an dir, das liegt am Prof", nuschelte er, als er den Rauch ausstieß. Er trug ein schwarzes T-Shirt, durch das man seinen muskulösen Oberkörper erahnen konnte. Ich mochte Pete. Irgendwie war er ganz süß mit seinen starken Armen, seinen dunklen, lockigen Haaren, die ihm ins Gesicht fielen, wenn er sich über mich beugte...

Wir waren nicht in einer Art Beziehung, auch wenn wir miteinander schliefen. Um ehrlich zu sein fand ich Pete, abgesehen von seiner äußerlichen Attraktivität, ziemlich anstrengend. Er war launisch, wechselhaft, einfach unreif. An manchen Tagen behandelten wir uns gegenseitig wie Luft, nur um am darauf folgenden wie frisch Verliebte übereinander herzufallen. Ich richtete mich auf. Mein langes, blondes Haar hatte ich zu einem unordentlichen Zopf nach hinten gebunden. Ich war müde. Die Vorlesung, die Pete und ich eben besucht hatten war anstrengend gewesen, Pete hatte, wie in den meisten Vorlesungen, gar nicht erst versucht zuzuhören und ich war bei der monotonen Stimme des Professors auch beinahe eingeschlafen. Dabei war Psychologie noch eines der spannenderen Studienfächer. Die Sonne blendete mich und ich musste meine Augen zusammenkneifen, um Pete anschauen zu können. Sein T-Shirt schien die Strahlen der Sonne in sich aufzusaugen, wie ein schwarzes Loch die Materie. Er sah friedlich aus, wie er dort saß, breitbeinig, die Zigarette in der rechten Hand, seinen linken Arm um meine Schulter gelegt.

"Wie kommst du denn darauf?", erwiderte ich und musterte seine kantigen Gesichtszüge. Ich lehnte mich an die Rückenlehne der Bank. Ein paar Studentinnen kamen aus dem Gebäude und warfen uns, genauer gesagt Pete einen flüchtigen Blick zu. Er lächelte. Es war ein schmieriges Lächeln mit dem er mich oft anschaute, nachdem er etwas Unangebrachtes gesagt hatte. Pete war ein Meister darin, unangebrachte Dinge zu sagen. Manchmal fragte ich mich, ob es daran lag, dass er schlecht erzogen war oder schlicht und ergreifend nicht wusste, wie übergriffig er sich verhielt. Aber anscheinend schien er dadurch bei den anderen Studentinnen zu landen. Bei mir hatte es ja auch funktioniert. Irgendwie.

"Ey", sagte ich und versetzte ihm mit meinem Handrücken einen leichten Stoß vor die Brust, sodass er sich beinahe an dem Rauch seiner Zigarette verschluckte. Er hustete.

"Was ey", ranzte er mich an und verzog die Mundwinkel, "die Professorin ist halt einfach scheiße, was kann ich denn dafür?" Er warf seine Zigarette auf den Boden und zertrat sie mit seinem Schuh. Seine dunklen Locken umrahmten sein Gesicht. Die Professorin, von der er sprach, war in der Tat nicht sehr sympathisch. Sie war streng, gab uns Unmengen an Begleitlektüre auf und erwartete eine konstante, qualitativ hochwertige Mitarbeit. Die Vorprüfung, die wir vor zwei Wochen in ihrer Vorlesungsschiene geschrieben hatten, war alles andere als einfach gewesen und mir drehte sich allein bei dem Gedanken daran, dass ich durchgefallen sein könnte, der Magen um. Pete schien sich keine Sorgen über das Ergebnis der Vorprüfung zu machen. Musste er auch nicht, denn sein Vater hatte Geld und Einfluss, eine Quelle, die ihm nicht nur den Collegeabschluss, sondern auch die hohen Studiengebühren finanzierte. Da war eine einzige verhauene Prüfung ein weniger kleines Problem. Mir fiel es da schon deutlich schwerer. Der einzige Grund warum ich in Harvard gelandet war, war mein guter Collegeabschluss. Wobei der mittlerweile durch meine vielen Defizite in den Seminaren und Kursen allmählich an Glaubhaftigkeit verlor. Mir fiel es nicht schwer, die Themen aufzugreifen und die Theorien zu verstehen, aber ich konnte mich nicht aufraffen, für Prüfungen zu lernen. Das mochte bei einem Großteil der leicht verrückten Professoren an dieser Uni vielleicht nicht auffallen, bei den Vorprüfung hatte ich jedoch ein ungutes Gefühl.

"Ich bin heute Abend mit John auf ner Studiparty. Kommst du mit?", fragte Pete und stupste mit seinem Bein gegen meins. Der Rauch seiner Zigarette hing noch immer in der Luft, wie ein schwerer, alter Vorhang, der uns beide einhüllte. Ich hasste es, wenn er rauchte. Dieser ekelhafte Geruch nach alten Zigarette, dieser widerliche Geschmack, wenn er geraucht hatte und mich dann auf den Mund küsste. Ich schüttelte den Kopf.

,,Glaubst du, dass ich durchgefallen bin?" Ich schoss mit meiner Schuhspitze einen Stein zur Seite, der vor meinen Füßen gelegen hatte. Auf der Wiese vor dem Gebäude hatten sich die Studentinnen niederlassen. Sie unterhielten sich ausgelassen, lachten und genossen die wärmenden Strahlen der Sonne. Pete beobachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. Seine Kieferknochen bewegten sich. Sein schwarzes Haar glänzte im Sonnenschein. Er schien nachzudenken, was er als nächstes sagen würde. Eine Situation, in der ich ihn selten beobachtete.

"Weißt du, wie dieses Mädchen da heißt?", fragte er und nickte mit seinem Kinn in Richtung der Studentinnengruppe. Das Nachdenken hatte offensichtlich nicht viel gebracht. Entnervt nahm ich meine Tasche und stand auf.

"Ey, wohin gehst du? Hallo?", Pete streckte seinen Arm aus, um mich an der Lasche meines Rucksacks zurück auf die Bank zu ziehen, aber sein Arm war zu kurz, ich stand zu weit weg. Mein Blick wanderte von Pete zu der Mädchengruppe, die uns nicht zu bemerken schien.

"Ach, lass mich in Ruhe man", erwiderte ich nur und wollte, dass Pete einfach aus meinem Blickfeld verschwand. 

Failing the examWo Geschichten leben. Entdecke jetzt