Chapter 14

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"Das ist wirklich lieb von dir." Wir glitten über die breiten Straßen der Harvarder Innenstadt. Paulsons Wagen sah ein bisschen aus wie ein Raumschiff, im Inneren leuchteten viele, unbekannte Knöpfe und ich hatte Angst, aus Versehen irgendetwas kaputt zu machen. Es roch nach den rot-bräunlichen Ledersitzen, die Scheibenwischer arbeiteten voller Hingabe gegen die herabfallenden Wassermassen an, die die Straßen unterwanderten. Ich hatte Sarah noch nie Autofahren gesehen. Grinsend sank ich ein wenig tiefer in meinen Sitz und beobachtete, wie sie aufmerksam dem Straßenverkehr folgte und ab und an elegant den Blinker betätigte. Die Armatur leuchtete bläulich und verlieh ihrem Gesicht einen blassen Schimmer.

"Das ist doch selbstverständlich. Ich will doch nicht, dass das unser letztes Date war und ich deinen Namen das nächste Mal bei den Todesanzeigen in der Zeitung finde", erwiderte sie. Bestimmt hätte sie nach dem Glas Point Noire gar kein Auto mehr fahren dürfen, aber ich fand es irgendwie amüsant, ihren kreativen Gedankengängen folgen zu dürfen. Auch ich fühlte mich leicht angeheitert, war mir aber nicht sicher, ob es am Wein oder an Sarah lag. Normalerweise vertrug ich deutlich größere Mengen an Alkohol.

"Heißt das, dass wir uns noch mal treffen?", fragte ich, von der Antwort selbst schon überzeugt. Das Date mit ihr war eine ganz neue Erfahrung für mich. Ich fühlte mich seltsam erwachsen und ernstgenommen, wenn ich daran dachte, wie selbstverständlich ich in diesem teuren Restaurant gesessen hatte. Allein, dass ich meine Professorin duzte, dass ich einfach so neben ihr im Auto saß, überforderte mein Auffassungsvermögen. War das noch real? Am liebsten hätte ich meine Hand auf Sarahs gelegt. Nicht nur, weil ich mich danach sehnte, sie zu spüren, sondern auch um meinen naiven Glauben, das wäre doch alles nur Einbildung, das Gegenteil zu beweisen. Wir hielten an einer roten Ampel. Die Tropfen auf der Fensterscheibe brachen das tiefrote Licht in viele kleine, leuchtende Punkte.

"Ich weiß nicht, Ms. Thorne, ob es sich bei unserem nächsten Gespräch um ein Dienstgespräch oder um ein privates Gespräch handeln wird." Sarahs dunkle Augen fixierten mich durch die randlose, runde Brille, die sie schon einmal getragen hatte, als ich meine Hausarbeit bei ihr vorbeibrachte. Ich schmunzelte.

"Glaubst du nicht, dass deine Sekretärin das nicht irgendwie bemerkt? Was ist mit den anderen Studenten? Diesem Thompson?" In meiner Stimme schwang eine unterschwellige Verzweiflung. Ich wollte mit Paulson zusammen sein, wollte bei ihr sein, wann immer ich konnte. Gleichzeitig fürchtete ich, dass durch unser Arbeitsverhältnis unsere private Beziehung zueinander, nun ja, in gewisser Weise ausgelaugt werden könnte. Wäre es nicht viel gefährlicher für Sarah, wenn sie uns durch meine Einstellung als Mitarbeiterin in ein direktes Geschäftsverhältnis bringen würde? Die Ampel wurde grün. Paulson fuhr an und ordnete sich flink auf der zweispurigen Straße ein.

"Das kann ich dir leider nicht sagen, Claire. Ich fürchte nur, dass ich nicht genügend Zeit habe, mich außerhalb meines Jobs um eine ernsthaften Beziehung zu kümmern", ihr Gesichtsausdruck war ernst, doch in ihrem Augen erkannte ich ihren Frust, ,,Unsere Begegnung in der Bibliothek: Wäre ich nicht noch am arbeiten gewesen, dann wären wir uns niemals in dieser Art und Weise über den Weg gelaufen", sie machte eine Pause. Der Blinker klickte.

"Ich möchte dich zu nichts drängen, Claire, mach dir da in Ruhe Gedanken drüber und melde dich dann bei mir. Wir müssen ja nichts überstürzen. Einverstanden?" Sie wendete ihren Blick für ein paar Sekunden von der Fahrbahn ab, während ihre dunklen Augen auf mir ruhten. Ich verschränkte die Arme. Es gefiel mir nicht, dass ich mich bei ihr melden sollte, dass sie so einsichtig mit mir umging. Es nahm mir die Möglichkeit, ihr in einer Entscheidung zu vertrauen und gleichzeitig eröffnete es mir einen Entscheidungsraum, in dem ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte. Pete fragte mich nie danach, was ich wollte. Wenn er Essen gehen wollte, dann gingen wir Essen, wenn er in den Club wollte, dann gingen wir in den Club. Ich ärgerte mich über mich selbst, weil ich Pete in Gedanken immer wieder heranzog, wenn ich über die Beziehung zwischen Sarah und mir nachdachte.

"Einverstanden", erwiderte ich kurz angebunden. Mein Blick verfing sich in den vorbeiziehenden Lichtern und Läden. Es war nicht mehr weit bis zu meinem Wohnheim. Die Lüftung surrte leise und ließ mich ein wenig frösteln.

"Ist hier unter der Woche viel los?", fragte Paulson und deutete auf eines der Studentenwohnblöcke. Sie schien noch nicht oft in dieser Gegend gewesen zu sein und das, obwohl die Wohnheimsiedlung nur ein paar Kilometer von dem Fakultätsgelände entfernt war. Nervös wanderten ihre Augen über die Gehwege.

"Nein, für gewöhnlich nicht. Es kommt ganz drauf an, an welchem Block wir vorbeifahren", ich grinste und dachte an die wilden Partys in Block 12, bei denen Pete und John selbst unter der Woche das ein oder andere Mal anzutreffen waren. Heute wirkten die Vorgärten leer, wo ansonsten Grüppchen am Bierpongtisch standen und gönnerhaft ihre Plastikbecher in die Luft reckten, regierte die Dunkelheit, der Regen durchnässte die Rasenflächen.

"Sagst du Bescheid, wenn wir da sind?", Sarah drehte die Beleuchtung im Auto etwas runter. Ich folgte den Scheinwerfern, die den dunklen Asphalt beleuchteten, bevor er unter den Rädern begraben wurde.

"Wieso hast du eigentlich so seltsam mit diesem Thompson gesprochen", grinsend schaute ich zu ihr auf. Ich ließ das Gespräch mit Thompson noch einmal vor meinem inneren Auge ablaufen und begann zu kichern bei dem Gedanken an seine gewählte Ausdrucksweise und seine nasale Stimme.

"Wieso?", grinste Paulson und warf einen Blick in den Rückspiegel, "du solltest mal mitbekommen wie sich die Dekane der Chemie- und Physikfakultät unterhalten, da wird selbst mir ganz anders", lachte sie und schüttelte verlegen den Kopf.

"Er wird doch wohl nichts bemerkt haben, oder? Ich meine", ich richtete mich ein wenig auf schlüpfte in meine Pumps, die ich aus Bequemlichkeit ausgezogen hatte. Wir waren kurz vor meinem Wohnblock, "er wirkte schon ein wenig misstrauisch." Der Regen hatte ein wenig nachgelassen und landete nun in sanften Pünktchen auf der Windschutzscheibe. Paulson drehte ein wenig an der Lüftung.

"William? Ach, das glaube ich nicht. Der hat gar keine Zeit, sich über derartige Dinge Gedanken zu machen. Außerdem sind wir ganz gut befreundet, da würde er sich selbst ins Knie schießen, wenn er die Dienstaufsichtsbehörde auf mich hetzt. Außerdem, Claire", ihr Blick richtete sich konzentriert auf die Fahrbahn, aber ich spürte, dass sie mich jetzt am liebsten anschauen würde.

"Wir sind doch nicht der Mittelpunkt der Welt. Es gibt hier über 26.000 Studenten, über 2.000 Professoren und Doktoranten, da wird wohl kaum jemand ausgerechnet bei uns Nachfragen stellen." Ihre Worte beruhigten mich. Sie hatte ja auch recht. Es interessierte vermutlich niemanden, mit wem eine Professorin in einer Beziehung war. Außer Pete und John vielleicht, aber die beiden entsprachen auch ganz und gar nicht der Norm.

"Hier vorne gleich", sagte ich und spürte, wie meine Laune sich bereits bei dem Gedanken daran, nicht mehr mit Sarah zusammen zu sein, deutlich verschlechterte. Der Abend war so schnell vergangen, dass ich das Gefühl hatte, ihn nicht richtig genossen zu haben. Der Blinker klickte und Sarah lenkte den Wagen auf den Seitenstreifen. Ihre Hände ruhten auf dem Lenkrad.

"Es war sehr schön", sagte sie leise. Unsere Blicke trafen sich und ich wusste nicht recht, was ich tun sollte. Am liebsten wäre ich sitzengeblieben und mit zu ihr nach Hause gefahren. Die Straßenlaternen erzeugten einen gelblichen Schimmer auf den Straßen.

"Das fand ich auch", erwiderte ich und musste schlucken, als Sarahs Hand über meinen Oberschenkel fuhr. Sie lehnte sich zu mir. Ihr heißer Atem strich über meine Wange. Zitternd schloss ich die Augen und legte meine Hand auf ihre. Als unsere Lippen sich berührten, musste ich an unsere Begegnung in der Bibliothek denken. Fordernd zog ich Sarah an mich heran. Diesmal waren wir allein, diesmal hatten wir Zeit. Meine Küsse wurden von Sekunde zu Sekunde fordernder, mein Atem ging schneller. Um uns herum schien alles zu verschwimmen. Doch Sarah löste sich von mir und strich mir lächelnd über die Wange.

"Gute Nacht, Claire", flüsterte sie. In ihren Augen lag ein Funkeln, ihre Stimme umhüllte mich wie ein wohlig warmer Kokon.

"Gute Nacht, Sarah", flüsterte ich und verfiel noch ein letztes Mal ihrem Blick.

Failing the examWo Geschichten leben. Entdecke jetzt