Chapter 29

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Es war 8:34, als ich das Vorzimmer von Sarahs Büro betrat. Das Wetter draußen war hässlich, eine stählerne Wolkendecke hatte sich vor die Sonne geschoben und ließ die roten Backsteinbauten der Universität blass und müde aussehen. Meine S-Bahn war überfüllt gewesen, ich hatte schlecht geschlafen und auf dem Weg durch die langen Gänge der Sperrzone war mir eingefallen, dass ich meine Trinkflasche zuhause vergessen hatte. Emma blickte überrascht von ihrem PC-Bildschirm auf, als ich den Raum betrat. In ihrem Blick lag ein Ausdruck des Missfallens darüber, dass ich nicht geklopft hatte, der sich aber sogleich wieder legte, als sie mich mit den Worten ,,Du kannst dich heute um die Terminplanung kümmern, ich muss noch ein paar wichtige Telefonate tätigen", begrüßte. Sie trug ihre Haare heute zu einem lockeren Zopf nach hinten gebunden, doch bevor ich mich fragen konnte, weshalb sie heute verhältnismäßig locker gekleidet war, klatschte sie mir einen Stapel Papier vor die Brust.

"Das hier muss noch beantwortet werden. Einfach alles absagen." Die unmittelbare Nähe, in der sie mir die Papiere gegeben hatte, schien sie abzulenken. Für einen kurzen Moment verließ ihr starrer Blick meine Augen und wanderte über meinen Körper, als würde sie eine Statue begutachten.

"Sind das E-Mails?", fragte ich und blätterte durch die Papiere auf meinem Arm. Emmas Art, mit mir zu kommunizieren, gefiel mir nicht. Wenn Sarah nicht da war, sprach sie mit mir, als wäre sie meine Vorgesetzte. Von meiner Frage überrumpelt, wandte sie ihren Blick von mir ab und ging unauffällig ein paar Schritte zurück.

"Ja, Terminanfragen und so ein Zeugs." Sie ging hinter den Schreibtisch und raffte eine sackähnliche Handtasche auf die Ablage. Eine dunkle Strähne löste sich aus ihrem Zopf, während sie etwas zu suchen schien.

"Warum ist das dann alles ausgedruckt?", verstohlen warf ich einen Blick auf Sarahs Bürotür, doch sie war geschlossen. Emma verdrehte ungeduldig die Augen.

"Das ist Vorschrift, das muss alles abgeheftet werden. Ich habe dir das Programm schon am Computer geöffnet, das ist wirklich nicht so kompliziert." Ihre Stimme klang gereizt, während sie ihre Handtasche schloss und den Schreibtisch umrundete.

"Ich bin ja auch gleich wieder da, versuch' einfach nicht das Internet zu löschen", ihr Spruch sollte wohl witzig sein, aber ich fand ihn zu einseitig, um darüber zu lachen.

"Okay", sagte ich stattdessen. Wenigstens hatte ich in der Zeit meine Ruhe. Mit schnellen, kleinen Schritten eilte Emma an mir vorbei und schloss mit einem dumpfen Knallen die Bürotür hinter sich. Ich atmete erleichtert aus und ließ mich auf dem großen Schreibtischstuhl nieder. Die Polster waren weich und die Rollen glitten geräuschlos über den festen Teppichboden. Ich drehte mich in dem Stuhl um meine eigene Achse und ließ mich einige Sekunden bewegungslos von der Aussicht auf den Park berieseln, dessen Flächen gerade von einem Gärtner mit einem lauten Gartengerät bearbeitet wurden. Durch die dicken, alten Fenster hörte ich das penetrante Kreischen der Maschine kaum. Es fühlte sich nicht mehr alt so fremd an, in diesem Raum zu sein, durch die Flure der Sperrzone zu gehen oder Bücherkartons beim Lieferempfang abzuholen. Die letzte Nacht hatte ich in meiner eigenen Wohnung verbracht. Nach den Ereignissen der vergangenen Tage und Wochen hatte es sich befreiend angefühlt, allein zu sein. Gleichzeitig wuchs meine Sehnsucht danach, mit Sarah zusammen zu sein mit jeder Sekunde, die ich ohne sie verbrachte. Ich wusste, dass wir beide Zeit brauchten, dass wir nichts überstürzen durften, aber nach unserem Gespräch gestern Abend fühlte es sich an, als würde ein Teil von mir fehlen. Sarah hatte mich nach Hause gefahren, gesagt, dass es besser sei, wenn wir beide ein wenig Raum für uns hatten, das ganze Chaos in unseren Köpfen sortierten. Mein Blick wanderte über die rote Fassade der Uni. Die alten Verzierungen und die weißen Fensterrahmen, erinnerten mich an den Tag, an dem ich mit Pete auf der Bank gesessen hatte und wir gemeinsam über die Vorprüfung gesprochen hatten. Das alles fühlte sich so weit weg an, so fremd und fern, dass ich erschrak, als ich seine Stimme hörte. Gedämpft durch die geschlossene Tür, schien sie näher zu kommen. Hastig drehte ich mich zum Schreibtisch und senkte meinen Blick auf Emmas Papierstapel, während sich die Durchgangstür zu Sarahs Büro öffnete.

Failing the examWo Geschichten leben. Entdecke jetzt