Chapter 10

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Mit einem peinlichen Handschlag begrüßten sich John und Pete in der Hall. Johns Freundin, Angelina, setzte sich mir und Pete gegenüber und lächelte mich an. Sie gehörte zu der Sorte Frauen, die gern darauf herumritten, dass sie besser seien als andere: Einen gesünderen Lebensstil, einen besseren Freund, ein teureres Auto und eine schlankere Figur. Genau genommen stimmte das meiste vermutlich nicht, aber ich hatte nie ein wirkliches Interesse daran, mehr über Angelinas und Johns Beziehung zu erfahren als unbedingt nötig. Allein, dass Pete und John diese dämliche Wette führten und die gleichen Partys besuchten, verriet mir, dass ihre Beziehung wahrscheinlich genauso inhaltslos war, wie die zwischen Pete und mir. Ich lächelte verklemmt und widmete mich sogleich meinem Obstsalat, den ich mir selbst von zuhause mitgebracht hatte.

"Oh, Obstsalat, da habe ich ein wirklich gesundes Rezept für, mit Drachenfrucht und Litchie. Wenn du magst schicke ich es dir, Claire, dieser dort", ihr Blick haftete auf meinen Apfel- und Bananenspalten, "sieht ja doch ein wenig traurig aus." Sie lachte gekünstelt und ich nickte höflich. John ließ sich neben Angelina nieder und legte ihr gebieterisch den Arm um die Schulter. Es war noch relativ früh, kurz vor zwölf und erst wenige Studenten saßen in der Hall, um Mittag zu essen, oder sich auf die Vorlesungen vorzubereiten. Das klappernde Öffnen und Schließen der Eingangstüren erfüllte den Hintergrund mit einer angenehmen Geräuschkulisse.

"Gut siehst du aus, Claire. Hast du was mit deinen Haaren gemacht?", John grinste mich an. Es war dieses Grinsten, bei dem man nicht wusste, ob er sein Kompliment nun ernst oder ironisch meinte. Ich lächelte ihn an und schluckte meinen Obstsalat hinunter, bevor ich antwortete.

"Danke, John. Nein, Haare sind wie immer." Ich wusste, dass John etwas von mir wollte. Bei einigen Partys hatte er mir schon mehrmals im Vollrausch gestanden, dass er mich "geil" finden würde und dass er sich wünschen würde, dass ich "frei zu haben" sei. Ich habe diese respektlosen Kommentare mit einem freundschaftlichen Lächeln über mich ergehen lassen und es jedes Mal als weniger unangenehm empfunden. Es war diese Art von Gewöhnungseffekt, der mich die Kombination aus Pete und John überhaupt erst ertragen ließ. Pete musterte nun auch interessiert meine Haare, als schien er mich erst jetzt wirklich bemerkt zu haben.

"Sieht wirklich gut aus, Claire", sagte er und fuhr mit seiner Hand über meinen Oberschenkel. Ich lächelte milde und versuchte, seine Hand so gut es ging zu ignorieren. Es fühlte sich falsch an, so neben ihm zu sitzen und gleichzeitig in Gedanken bei einer anderen Person zu sein.

"Wo warst du eigentlich die letzten Male? Dein Kumpel hätte dich gut gebrauchen können", sagte John und grinste Pete breit an. Er sprach von der letzten ausufernden Party nach der Pete am nächsten Morgen so verkatert in der Vorlesung gesessen hatte. Sein andauernder Blick verriet mir jedoch, dass auch er sich gewünscht hätte, dass ich gekommen wäre.

"Ich hatte noch eine Hausarbeit zu erledigen", erwiderte ich ungerührt und kratzte eine Apfelspalte vom Rand meiner Dose. Durch die Hall wehte der Duft nach Mittagessen. Angelinas Blick verdunkelte sich.

"Bei dieser Schlampe Paulson? Ich hasse diese Frau, Gott, wie ich sie hasse!", stieß sie aus und verdrehte die Augen, während sie ihre Haare gekünstelt nach hinten warf. John und Pete grinsten sich vielsagend an. Ich widmete mich meinem Obstsalat, war aber auch daran interessiert, weshalb Angelina eine solche Abneigung gegenüber Paulson hegte. Beschwichtigend faltete ich meine Hände auf dem Tisch und signalisierte Angelina, dass ich gern mehr erfahren würde. Pete rückte ein wenig näher an mich heran und legte seinen Arm vorsichtig um meine Taille, gerade so, als müsste er sich vergewissern, dass wir zusammengehörten.

"Hast du dir mal angehört, wie die redet? Total abgehoben, eine richtige Bitch. Und dann dieser Blick, als schaut sie dir in die Seele", Angelinas Augen waren weit aufgerissen und ihre hektischen Handbewegungen paraphrasierten ihre Sätze. Bereits nach ein paar Minuten konnte ich ihr jedoch nicht mehr zuhören. Ihre Art machte es unglaublich anstrengend, ihrer Erzählung zu folgen. Aber das schien Angelina nicht weiter zu stören, denn sie drehte sich zu John und erzählte ihm detailreich, weshalb sie sich überhaupt so gern über alles und jeden aufregte. Mein Blick wanderte über die vielen Gesichter, die die Hall durch die Eingangstür betraten, um sich einen Kaffee zu kaufen, ein belegtes Brötchen zu essen, oder um sich mit Komilitonen zu treffen. Ich hoffte, in der Menge Paulson zu entdecken. Vielleicht wollte sie sich vor der Vorlesung noch einen Tee kaufen? In ihrem Büro war sie ja nicht gewesen. Ich stellte mir vor, wie sie mit festem Schritt die Hall betrat, gebieterisch und zielstrebig an den Studentengrüppchen vorbeischritt und mich anlächelte. Nur mich. Ich dachte an ihre Hände, wie sie das Wort "Liebe" an die Tafel schrieben, wie sie meine Haare aus dem Gesicht strich, wie sie mich berührten.

"Hast du nicht Lust, mal wieder zu mir zu kommen?", Pete rückte noch ein wenig näher an mich heran und riss mich aus meinen Tagträumen. Sein Blick ruhte auf meinen Lippen und ich kam nicht umher, bei seinem treuen Gesichtsausdruck zu schmunzeln. Woher kam denn diese neue Art der Zuneigung? Lag das etwa an John, der mich ab und an ein wenig länger als notwendig anschaute oder merkte Pete etwa, dass ich mich anders verhielt? Ich überlegte, wie ich auf seine Frage antworten sollte, ohne unhöflich zu sein. Hatte ich Lust, bei Pete zu übernachten?

"Momentan ist es ein bisschen schwierig", erwiderte ich und verschloss meine Dose. Es war gleich zwölf und wir mussten in Paulsons Vorlesung. Ich schmunzelte bei dem Gedanken daran, sie wiederzusehen.

"Wieso denn das?", flüsterte Pete in mein Ohr. Sein heißer Atem strich über meinen Hals und ich wich ein wenig vor ihm zurück. Ich konnte das nicht. Entschuldigend strich ich ihm über den Arm.

"Ich habe momentan echt viel zu tun. Wir müssen jetzt auch los", sagte ich mehr zu mir selbst, als zu Pete. Mit diesen Worten packte ich meine Dose in meine Tasche und stand auf.

"Geht ihr schon?", fragte Angelina und formulierte eher einen Vorwurf als eine Frage. John stand auf, um Pete einen Handschlag zu geben. Die Hall füllte sich, kaum ein Platz war noch frei. Pete stand schwerfällig auf und schlug ein.

"Pete, altes Haus, mach keinen Scheiß", grinste John.

"Claire", sagte er und gab mir einen gekünstelten Handkuss. In Petes Blick lag eine Spur von Eifersucht. Motorisch schulterte er seinen Rucksack und drängte mich vor ihm her aus der Tischreihe.

"Macht's gut ihr zwei", erwiderte ich und wandte mich zum Gehen. Wir verließen die Hall und gingen durch die altertümlichen Gänge zum Vorlesungssaal. 

Failing the examWo Geschichten leben. Entdecke jetzt