Chapter 28

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Diesmal zündete ich mir doch eine Zigarette an. Sarahs schwarzer Mercedes stand vor mir, die Betonsäule, an der ich lehnte drückte hart und kalt gegen meinen Rücken, aber das spürte ich kaum. Es war bereits halb neun. Nach dem Schleppen und Einsortieren der Bücher hatte ich Feierabend bekommen und wartete nun schon seit einer halben Stunde auf Sarah. Der Zigarettenstummel leuchtete rötlich auf, während ich den grauen Rauch in meine Lungen einsog. Ich spürte, wie er das Chaos in meinem Kopf stimulierte und die Anspannung in meinem Körper löste. In der Dunkelheit wirkte alles so friedlich, die Beleuchtung des Parkhauses warf weißliche Lichtflecken auf den Beton. Das einzige Geräusch war das Glühen meiner Zigarette, das zaghafte Rascheln, mit dem sie kleiner und kleiner schrumpfte. Es war, als versuchte ich mir ein wenig Mut anzurauchen. Doch mit jeder vergangenen Minuten wurde ich nervöser. Wir hatten seit der Sache im Fahrstuhl nicht mehr miteinander gesprochen und in mir wuchs die Angst, wir würden es auch nicht tun, wenn ich nicht auf sie zuging. Im Nachhinein kam mir unsere Auseinandersetzung banal vor, im Grunde konnte ich mich nicht mal mehr an den Auslöser für unseren Streit erinnern. Einzig ihre Worte waren hängengeblieben. "Aber vielleicht sollten wir uns mehr Raum geben", klang für mich wie eine Beziehungspause, eine Mischung aus "Ich möchte dich nicht ständig bei mir haben" und "vielleicht sollten wir das ganze noch einmal überdenken". Ich schluckte und die rauchigen Überreste des Qualms erzeugten einen bitteren Geschmack in meinem Hals. Ich wollte das, was wir hatten nicht überdenken, ich musste es nicht überdenken, weil ich wusste, dass ich es wollte. Es war nur mein Kopf, der das Ganze nicht verarbeiten konnte, die Intensität, die Leidenschaft, all das fühlte sich an wie ein Traum, der wahr geworden war und die Konsequenz war ein vollkommener Systemabsturz. Kognitive Dissonanz, nur anders als sonst. Die Asche meiner Zigarette segelte hinab in die Dunkelheit und ich blickte ihr sehnsüchtig nach. Irgendwann vernahm ich Sarahs Pumps auf dem harten Beton. Sie näherten sich und die Autoscheinwerfen sprangen an, bevor sie um die Ecke bog. Sie trug ihren schwarzen Mantel von heute morgen geschlossen, ihre Hände in den Taschen vergraben. Als sie mich erkannte, senkte sie ihr Tempo, unschlüssig, was sie erwartete. Die Luft zwischen uns schien dicker als Stahl und ich suchte nach den richtigen Worten. Schweigend standen wir voreinander, ich an der Betonsäule, Sarah vor dem Wagen. Unsere Blicke trafen sich und für einen Moment schien alles wie vor dem Wochenende. Dann wandte Sarah sich von mir ab und stieg in den Wagen. Panik breitete sich in meinem Brustkorb aus. Auf keinen Fall wollte ich, dass sie jetzt fuhr, dass wir erneut auseinandergingen, ohne diesen hässlichen Streit zu klären. Ich umrundete mit schnellen Schritten den Wagen und öffnete die Beifahrertür, bevor Sarah den Motor anlassen konnte. Doch als ich die Tür öffnete, ruhten ihre Hände in ihrem Schoß, der Schlüssel lag im Ablagefach und es schien, als wollte sie überhaupt nicht vor mir wegfahren. Den Blick auf die Tachoanzeige gerichtet, wirkte sie mitgenommen. Unschlüssig stand ich vor der Tür und wusste wieder einmal nicht, was ich mir eigentlich von dieser Aktion erhoffte. Was war mein Plan?

"Steig ein." Sarahs Stimme war leise, in ihren Worten ruhte eine Schwere, die meine Panik erdrückte. Vorsichtig setzte ich mich neben sie und schloss die Autotür. Gemeinsam starrten wir auf die graue Betonsäule, an der ich eben noch auf sie gewartete hatte. Ich atmete ein und ein Zittern begleitete die Luft, die durch meine Lunge strömte. Das Licht der Scheinwerfer erhellte unsere Gesichter und den Schmerz, der in ihnen stand.

"Es tut mir leid", sagte ich und wandte mich zu ihr. Ihre Haut war blass, sie sah müde aus.

"Was tut dir leid?", jetzt schaute auch sie mich an. Ihre braunen Augen waren schwarz, das Licht der Autoscheinwerfer erhellte die eine Hälfte ihres Gesichts, während die andere im Dunkeln verweilte. Ich wusste nicht, ob sie bereit war, mir zu verzeihen.

"Wie ich mich heute verhalten habe. Dass was ich zu dir im Fahrstuhl gesagt habe... ich... ich habe mich dir gegenüber respektlos verhalten." Ich senkte meinen Blick, weil es mir unmöglich war, ihrem länger standzuhalten. In ihren Gesichtszügen lag eine Undurchdringlichkeit, die mich an der Wirkung meiner Worte zweifeln ließ, die mich an der Tiefe unserer Beziehung zweifeln ließ. Meine Hände fühlten sich taub an.

"Als ich heute früh auf der Hinfahrt gesagt habe, dass es nicht einfach werden wird, hätte ich nicht gedacht, dass es diese Art von "nicht einfach" wird." Sie machte eine Pause und schien darüber nachzudenken, was sie als nächsten sagen würde. Ihre blonden Haare fielen über ihre Ohren, während sie ihre Pumps auszog. Ich fühlte mich nicht ernstgenommen.

"Weißt du, wovor ich Angst habe?", sie schaute mich an und ein trauriges Funkeln lag in ihren Augen. Erwartungsvoll schüttelte ich den Kopf. Ich wusste nicht, wovor sie Angst hatte, ich konnte mir kaum vorstellen, dass diese Frau vor etwas Angst haben konnte. In meinem Kopf war sie die Person, die es an die Spitze geschafft hatte, die sich nicht den Mund verbieten ließ, die wusste, was sie wollte.

"Ich habe Angst davor, dass wir uns zum falschen Zeitpunkt getroffen haben. Angst, dass ich zu alt für dich bin, dass ich dir dass nehme, was andere in deinem Alter tun." Sie fuhr sich hastig über ihre Schläfen, aber ich sah, wie sich kleine Tränen in ihren Augenwinkeln bildeten. "Ich habe Angst, dass wir niemals als Paar in die Öffentlichkeit gehen können, dass du nicht zu mir stehst." Ich schluckte, weil mir bewusst wurde, dass ich Sarah in der Mittagspause nicht enttäuscht hatte, sondern verletzt. Ich war die Person, die sie verletzen konnte, der gegenüber sie sich verletzlich zeigte. Jetzt stiegen auch mir Tränen in die Augen. "Ich habe Angst, dass wir beide nicht wissen, was wir uns gegenseitig antun, dass wir nicht wissen, was wir füreinander fühlen, weil dass...", nun fing sie an, zu weinen. Tränen flossen in kleinen Bächen über ihre Wangen und tropften auf ihren Mantel, bahnten sich nicht nur den Weg über ihr Gesicht, sondern direkt in mein Herz.

"... dass was ich für dich fühle", sie biss sich auf die Lippe und ich wischte verhalten über meine Wangen. Ich hatte gar nicht realisiert, dass ich ebenfalls weinte. Sarahs Stimme war nur noch ein Flüstern.

"... dass was ich für dich fühle, ist so viel beängstigender als alles andere." Sarahs Hand zitterte, während sie ihre Tränen beiseite wischte. Ihre Worte müssten mich eigentlich sprachlos machen, aber in meinem Kopf herrschte ein Chaos aus Antworten. Unfähig, meine Gedanken zu sortieren, griff ich nach ihrer Hand, versuchte, meiner Entschlossenheit Ausdruck zu verleihen. Ich wollte ihr zeigen, dass ich zu ihr stand, dass ich sie liebte, auch wenn ich überhaupt nicht in der Lage war, die Gefühle, die ich für sie empfand, zu greifen. Ihre Hand war kalt und nass von ihren Tränen. Das Zittern ließ nach, je länger ich sie hielt.

"Danke, dass du deine Ängste mit mir teilst", flüsterte ich. Sarahs Tränen tropften auf unsere Hände und unser Atem beruhigte sich, je länger wir uns gegenseitig berührten. Es war, als kämpften wir in unserem Inneren mit den gleichen Dämonen.

"Das ist genau der richtige Zeitpunkt, ich könnte mir keinen besseren Zeitpunkt vorstellen", ich schniefte und es fühlte sich erleichternd an, weil ich wusste, dass in mir die gleichen Sorgen brodelten. Die Angst, nicht gut genug zu sein, die Angst, sie nicht lieben zu dürfen, die Angst, verletzt zu werden. Ich schaute in ihre vor Tränen glänzenden Augen. Auf ihren Wangen lag ein feuchter Schimmer, Spuren, die ihre Tränen hinterlassen hatten.

"Ich kann dir nicht sagen, was in Zukunft passiert, aber ich kann dir versprechen", meine Stimme zitterte und ich hörte mein Herz in meiner Brust pochen, "dass ich dich so liebe, wie du bist, dass ich das zwischen uns", ich schluckte, "mehr will, als alles andere auf dieser Welt." Sarahs Hand umschloss meine fest. Ich spürte, wie sich die Last des gesamten Tages von meinen Schultern löste. Unsere Blicke trafen sich und ich verlor mich in der Tiefe ihrer Augen. Sie war so wunderschön, so perfekt, dass ich am liebsten direkt wieder angefangen hätte, zu heulen. Ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus, es fühlte sich an, als würde ich erneut in ihren Armen liegen, als stünden wir erneut in ihrer Wohnung, überwältigt von der Intensität unserer Gefühle. Ihre silberne Kette fühlte sich kalt an, ich spürte den kleinen Verschluss zwischen meinen Fingern, aber noch viel intensiver war die Berührung unserer Lippen, die Wärme ihrer Haut, ihr Atem, der über meine Wange strich.

"Ich brauche nur Zeit, um dass alles zu verarbeiten", meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. In ihren dunklen Augen spiegelte sich das grelle Licht der Autoscheinwerfer. Ihr Blick wanderte von meinen Lippen direkt in mein Herz.

"Weil ich will, dass das zwischen uns funktioniert." Sarahs Hand fühlte sich so zerbrechlich in meiner an. Ihr Parfüm umschloss uns wie eine isolierende Hülle.

"Ich will auch, dass es funktioniert", flüsterte ich.

Failing the examWo Geschichten leben. Entdecke jetzt