Chapter 6

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Der Nieselregen wehte mir frontal ins Gesicht, als ich auf meinem Fahrrad in  Richtung Universität fuhr. Es war Montag morgen, die Luft war schneidend kalt,  meine erste Vorlesung auf meinem Stundenplan war bei Dr. Paulson. Ich hatte  das seltsame Gespräch mit ihr in ihrem Büro über das Wochenende weitgehend  verdrängt, aber jedes Mal, wenn ich daran dachte, wie sie meine Hausarbeit  lobte, huschte mir ein Lächeln über die Lippen. Mein Rucksack rutschte auf  meinem Rücken hin und her, während ich den kleinen Anstieg am Headington Hill  Park bestritt. Die Lichter der Autos reflektierten auf den nassen  Wasserschlieren des Asphalts und obwohl es schon spät am Morgen war,  verdunkelten stahlgraue Regenwolken den Himmel. Ich dachte sehnsüchtig an die  wohlig warme Sitzheizung in Petes SUV, mit dem er mich sonst oft vom  Studentenwohnheim abholte und mitnahm. Über das vergangene Wochenende hatte er  jedoch mit John und seiner "Gang" eine so ausufernde Hausparty  gefeiert, dass die Drogen in seinem Körper vermutlich mehrere Monate  brauchten, um sich ihrer Wirkung vollständig zu entledigen. Normalerweise war  ich auf diesen Partys auch anwesend, trank ein wenig und probierte, zugegeben,  auch mal die ein oder andere Substanz, achtete aber immer darauf, dass mir  niemand etwas ins Getränk mischte und vor allem, dass Pete es nicht übertrieb.  Er hatte dieses intrinsische Vertrauen, dass ich ihn schon irgendwie aus  seiner misslichen Lage befreien würde, egal zu welchem Preis. Ein Regeltropfen  bahnte sich den Weg über meine Nasenspitze und hielt ein paar Sekunden  zitternd inne, bevor er auf den Asphalt segelte. Ich schüttelte leicht  merklich den Kopf. Vor ein paar Monaten war Pete, leicht betrunken, in eine  hitzige Diskussion mit einer Kommilitonin geraten, nachdem er die "Gender  Equality Strategy" der Harvard University als "unnötigen  bürokratischen Aufwand" bezeichnete und sich daraufhin nicht nur den Zorn  der anwesenden Frauen zuzog, sondern auch eine saftige Backpfeife von mir, auf  dass er sich in Zukunft erst auf Diskussionen einlassen und danach anfangen sollte zu  trinken und nicht andersherum. Nun lümmelte er wahrscheinlich in seinem  überdimensionalen Apartment in LakePointe Cove und wartete vergeblich darauf,  dass ich vorbeikam und ihm zur Seite stand. Im Vergleich zu meinem  minimalistischen Wohnheimzimmer, lebte Pete in einem Palast. Ich genoss das  Gefühl, mit ihm gemeinsam in seinem großen Boxspringbett aufzuwachen und wagte  es ab und an, mir einzubilden, es wäre unser gemeinsames Apartment. Aber heute  war die Vorlesung bei Paulson, die ich auf keinen Fall verpassen durfte.  Schließlich hatte ich ihr ja am Freitag versprochen, anwesend zu sein. Ich  hörte auf zu treten und rollte die letzten Meter aus, bevor ich vor einer  roten Ampel zum Stehen kam. Vor meinem inneren Auge sah ich bereits, wie  Paulson sich an das Rednerpult lehnte, ihren wachen Blick durch die Sitzreihen  schweifen ließ und darauf wartete mit ihrem Vortrag beginnen zu können. Ihre  schlanken Hände vollführten harmonische Choreographien, während sie die  kognitive Dissonanz erklärte, Bandura, Loftus, Skinner und mich dabei  beiläufig anlächelte.

"Stehen Ihre Handlungen im Einklang mit ihrem Willen, Ms. Thorne?" Das war die  Frage, die sie mir am Freitag gestellt hatte und dessen Antwort ich mir  vornahm, zu finden.

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