Chapter 17

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Frustrierend schlug ich das Buch von Allan N. Shore zu, in dem ich seit einer halben Stunde versuchte, zumindest ansatzweise konzentriert zu lesen. Das grünliche Cover des Buches mit dem spannenden Titel "Affect Regulation and the Origin of the Self: The Neurobiology of Emotional Development" harmonierte mit dem kastanienbraun der Arbeitstische in der Bibliothek und ich frage mich, was Sarah wohl gerade machte. Mein Blick wanderte über die langen grauen Bücherreihen, zwischen denen vereinzelte Studenten behutsam entlangglitten und aufmerksam die Buchrücken studierten. Die Stille, die von dem Teppichboden und den Buchseiten widerhallte, ließ meine Gedanken um so lauter werden. Ich musste jetzt für Paulson arbeiten. Mir blieb gar keine andere Wahl. Sollte ich Thompson noch einmal begegnen, könnte ich ihm schlecht noch einmal vorgaukeln, ich hätte noch immer nicht meinen Ausweis erhalten. Außerdem würde er sicherlich mit Paulson sprechen, da wäre es sinnvoll, wenn sie ihm nicht eine komplett andere Geschichte erzählte. Ich spürte bereits, wie sie mir fehlte. Ihr Lächeln, ihr Gesicht, es schien vor meinem inneren Auge mit jedem Mal, mit dem ich mich daran erinnerte, weiter zu verschwimmen. Ich wollte sie öfter sehen, als nur in den Vorlesungen. Wenn sie keine Zeit hatte, sich im Privaten um eine Beziehung zu kümmern, dann sollte sie sich verdammt noch mal die Zeit nehmen, wenn ihr das zwischen uns wirklich wichtig war. Abwesend sortierte ich meine Bücher und stopfte sie in meinen Rucksack. Ich war fest entschlossen zu ihr zu gehen und mit ihr zu reden. Nach dem Gespräch mit Pete wusste ich nicht mehr wirklich, wo ich bei Sarah stand. Auch wenn es absurd klang: Ich fühlte mich, als hätte ich sie betrogen, obwohl wir doch noch gar nicht in einer festen Beziehung waren. Oder? Meine raschen Schritte hallten dumpf auf dem Teppichboden und ich schluckte meinen Frust hinunter. Ich brauchte Klarheit, aber alles was in meinem Inneren vor sich ging, schrie nach Chaos und Komplexität. Es fühlte sich an, als entstünde ein riesiges Knäul aus verworrenen Emotionen und ungelösten Unsicherheiten, das mit jedem Gedanken wuchs und sich immer weiter verknotete. Ich spürte, wie die Sonnenstrahlen, die durch die hohen antiken Fenster fielen, auf meiner Haut kitzelten, bevor ich mich erneut hinab in die Sperrzone begab, wo das Licht der nackten Neonröhren die Dunkelheit erhellte. Angespannt klopfte ich an die dunkle hölzerne Tür. Paulsons Büro befand sich auf einem der weniger frequentierten Flure. Unscheinbar und genauso eintönig, wie der Rest der Sperrzone wirkte es ihrer Person unwürdig, ja gerade zu lachhaft. Prof. Dr. Sarah Paulson, Professor of Social Psychiology, Chair of Psychiology. Das Schild kannte ich schon. Ich öffnete die schwere Tür, nachdem ich ein schwaches "Herein" vernahm und befand mich erneut in dem kleinen Vorzimmer. Diesmal stand die Sekretärin vor dem Bücherregal und starrte mich erwartungsvoll an. Ich räusperte mich und versuchte, meine fehlende Terminvereinbarung mit einer selbstsicheren Körperhaltung zu kompensieren. Diesmal würde sie mich nicht abwimmeln können.

"Bitteschön", quengelte sie und taxierte mich mit ihren braunen Augen. Sie war hübsch, ihre Gesichtszüge weich und feminin, aber ihr Ausdruck strahlte keinerlei Wärme aus. Ihr Blick war kalt, ihre streng nach hinten gebundenen Haare ließen sie älter aussehen, wobei sie vermutlich wie ich erst Mitte zwanzig war. Ich schielte zur Durchgangstür, die heute tatsächlich geöffnet war. Ein Lichtstrahl fiel durch sie hindurch und verlieh dem gesamten Raum eine beruhigende, entschleunigende Atmosphäre.

"Ich würde gern mit Professorin Paulson sprechen", sagte ich und mein Herz begann, sogleich in meiner Brust zu pochen. Langsam legte die Sekretärin die Bücher aus der Hand, die sie vermutlich einsortieren wollte und ging bedächtig zu ihrem Schreibtisch.

"Haben Sie einen Termin?", fragte sie und ließ sich mit einem Plumpsen auf ihren Schreibtischstuhl fallen. Müde wanderten ihre Augen über den Bildschirm. Ihre Maus klickte. Die Sonne umhüllte ihre Silhouette und verlieh ihren schwarzen Haaren einen reflektierenden Glanz.

"Nein, ich habe keinen Termin, aber -", eine zweite Person unterbrach mich, bevor ich meinen Satz beenden konnte. Es war Sarahs Stimme, die aus dem Nebenzimmer ertönte und mir durch ihren angenehm vertrauten Klang trotz des Chaos in meinem Kopf, ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Für den Moment konnte ich kurz vergessen, warum ich überhaupt hier war.

Failing the examWo Geschichten leben. Entdecke jetzt