Chapter 20

113 6 0
                                    

Normalerweise hätte ich mir eine Zigarette angesteckt. Aber seit ich durch die Vorprüfung gefallen war, erlaubte ich mir diesen Luxus nicht mehr. Ich war ohnehin nur eine Gelegenheitsraucherin gewesen, für die das Rauchen vielmehr eine soziale Komponente, als eine addiktive Suchtauslebung darstellte. Ich lehnte an der Brüstung des Parkhauses und betrachtete die dunklen Silhouetten der parkenden Fahrzeuge. Die Sonne war bereits untergegangen, der Himmel leuchtete in einem intensiven Orange. Ich strich mir über meine langen, blonden Haare, die ich immer noch offen trug und warf einen Blick auf den Gebäudekomplex der Universität, der sich wie eine von selbst leuchtende Wand vor mir erhob. Durch die vielen einzelnen Fenster drang das Licht der hässlichen, antiken Deckenlampen und ab und an erhellte ein Außenstrahler das Parkgelände, wenn jemand gerade die Universität verließ. Es war 20:56 und ich fror ein wenig. Vor mir parkte die schwarze Mercedes E-Klasse von Sarah, mit der sie mich vor ein paar Tagen nach unserem gemeinsamen Restaurantbesuch nach Hause gefahren hatte. Das Licht der untergegangenen Sonne spiegelte sich sanft in dem schwarzen Lack des Wagens und ich lächelte in mich hinein, als ich vor meinem inneren Auge sah, wie Sarah versuchte, rückwärts auszuparken. Der Wagen stand ein wenig schief in der Parklücke. Ich blickte auf, als ich zwei Stimmen hörte, die sich von dem Universitätsgebäude in meine Richtung bewegten und sich angeregt unterhielte. Die Silhouetten der beiden Personen hoben sich angenehm klar vor dem Gebäude ab und ich erkannte sofort, dass es Sarah war. Neben ihr ging eine große, schlanke Gestalt, die ich erst auf den zweiten Blick als Prof. Dr. William Thompson identifizieren konnte. Ich freute mich, Sarah so unbeschwert Lachen zu hören und musste ein wenig schmunzeln, als ich hörte, worüber sie sprachen.

"Und ich sage dir eins, William, diese Unordnung in der Abteilung, ich komme da nicht mehr mit. Meine Sekretärin musste heute drei Stunden nach dem Werk von Le Bon über die Psychologie der Massen suchen. Drei. Wenn das so weitergeht, müssen wir eine Nachbestellung anordnen, das ist ja wirklich eine Zumutung, nicht nur für uns, sondern für die gesamte Belegschaft", Sarah schüttelte den Kopf und richtete die Mappen, die sie vor ihrer Brust hielt. Ihre Handtasche trug sie in der linken Hand, während Thompson in seiner Umhängetasche nach einer Flasche suchte.

"Viel schlimmer ist doch der Kopierer in der Haupthalle." Er blickte ernst zu Sarah und nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche, während sich die beiden dem Parkhaus näherten. Sarahs Pumps hallten an den kühlen Betonwänden wieder und die Stimmen der beiden schallten laut durch das Parkhaus.

"Welchen Kopierer meinst du? Bei Ritas Büro den?"

"Nene, den da in der Ecke, wo du nur mit Ausweis kopieren kannst. Da hatte ich schon zum zweiten Mal in Folge keine Farbkopien. Das geht doch wohl nicht, meine gesamten Statistiken waren in schwarz-weiß, komplett unbrauchbar." Thompson schüttelte bestätigend den Kopf. Ein Schlüsselklimpern ertönte und die beiden verschwanden für ein paar Sekunden hinter einer Parkhaussäule.

"Man, man, man, wo soll das noch enden mit uns beiden. Manchmal habe ich das Gefühl, wir sind zu kleinkariert für diese Uni", sie lachte und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Sie wirkten wie ein altes Ehepaar, ihre Freundschaft war von einer tiefen Verbundenheit, das spürte man, sobald man die beiden miteinander interagieren sah. Mir wurde war ums Herz und ich freute mich, dass sie ineinander eine derartige Wertschätzung finden konnten. Es war der Respekt, der in Thompsons Augen geschimmert hatte, als er Sarah im Restaurant entdeckt hatte, der mir bewies, wie aufrichtig ihre Freundschaft war. Sie verabschiedeten sich winkend und Thompson ging in die andere Richtung des Parkhauses. Sarahs Schritte wurden lauter, während sie sich ihrem Auto näherte. Ihr Schlüsselbund klimperte und ich wusste nicht recht, ob ich ihr entgegen gehen, oder doch lieber warten sollte. Mit gesenktem Blick und auf ihren Schlüsselbund konzentriert, lief sie beinahe in mich hinein.

"Mein Gott!", stieß sie aus und die Mappen, die sie getragen hatte glitten ihr langsam aus dem Arm. Papiere verteilten sich auf dem Boden und ich fühlte mich an die Situation in der Bibliothek erinnert. Als Sarah mich erkannte, umspielte ein Lächeln ihre Augen.

Failing the examWo Geschichten leben. Entdecke jetzt