Chapter 27

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"Was sollte das eben?!" Die Fahrstuhltüren schlossen sich mit einem stählernen Quietschen und ich starrte verzweifelt auf die fleckige Lichtleiste an der Decke. In Sarahs Stimme lag eine Wut, die ich nicht verstand und auf die ich nicht eingehen wollte, weil ich es schlicht nicht konnte. Ich befand mich in einem gedanklichen Konflikt mit unserer gemeinsamen Situation und konnte es nicht gebrauchen, dass sie mich anherrschte. Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung und ich vermied es, Sarah direkt anzuschauen. Ich konnte es nicht ertragen, sie so wütend zu sehen.

"Was meinst du?", fragte ich, halb unwissend, halb provozierend.

"Du weißt ganz genau, was ich meine. Dieser Typ ist wie eine Klette und will nicht kapieren, dass ich ihm dem Direktorat melde, wenn er sich nicht zurücknimmt. Ich hätte mir da ein bisschen mehr Einsatz von dir gewünscht." Seufzend fuhr sie mit der Hand über ihre Stirn. Erst jetzt fiel mir auf, dass wir anstatt in die Sperrzone nach unten, nach oben fuhren.

"Du hast den falschen Knopf gedrückt." Die Taste mit der Fünf leuchtete blass.

"Ach, scheiße", stieß Sarah aus und hämmerte auf die -1 Taste, die in den Sperrzone führte. Ich war überrascht von ihrer emotionalen Impulsivität. Niemals hätte ich von ihr erwartet, dass sie flucht oder Schimpfwörter verwendet. Dass sie mir eine derartige Lappalie böse nahm, zeugte aus meiner Perspektive davon, dass sie sich selbst anscheinend nicht gut kontrollieren konnte. Kein herausragendes Zeugnis für eine Psychologieprofessorin, die in Harvard lehrte. Ich schmunzelte über meine zynische Erkenntnis.

"Dann melde ihn doch beim Direktorat, wenn er dich so stört. Was erwartest du denn von mir? Dass ich dich eifersüchtig verteidige, wenn sich nen Typ an dich ranmacht?" Der Fahrstuhl ruckelte, während Sarah mich verständnislos anstarrte.

"Natürlich erwarte ich das von dir. Das erwarte ich von dir als Partnerin, als Mitarbeiterin und als Frau, dass du andere Frauen unterstützt, wenn sie sich von Männern bedrängt fühlen. Was ist denn bloß los mit dir verdammt?" In ihrer Stimme lag eine Schärfe, die die kühle Luft des Fahrstuhles durchschnitt. Ich blickte stur auf meinen Kaffee und wäre am liebsten einfach ausgestiegen.

"Du bist doch sonst so selbstbewusst und direkt", in meiner Stimme lag eine Bitterkeit und ich dachte an ihre Worte nach der Vorlesung. "Was wollen Sie bloß aus ihrem Leben machen, Miss Thorne", hatte sie zu mir gesagt und in ihren Worten lag eine Verachtung, die mich getroffen hatte, eine Ehrlichkeit mit der sie meine bisherigen Erfolge runterspielte, klein redete, leugnete. Es war diese Bestimmtheit in ihren Worten, mit denen sie auf mich herabgeschaut hatte und es immer noch tat. "Du kriegst doch auch sonst alles geregelt, Sarah. Schau dir dein Leben doch an", jetzt wandte ich mich zu ihr und in meinen Augen lag ein Hass, der sich mit jeder Sekunde in diesem Fahrstuhl verdichtete, "Hast ne teure Wohnung, nen geilen Job, nen schickes Auto, du hast alles, was du brauchst und bist doch nicht in der Lage, dich auch nur eine Sekunde lang zu fragen, wie es mir damit geht. Der dummen Studentin, die durch die Vorprüfung fällt, die in einer Zwei-Zimmer-Wohnung wohnt und die nebenbei im Imbiss jobbt, weil sie sonst nicht über die Runden kommt. Und dann kommst du ernsthaft zu mir und verlangst, dass ich dich unterstütze und dich verteidige?!" Während ich meiner Wut freien Lauf ließ, wechselte Sarahs Gesichtsausdruck von anfänglichem Unverständnis zu Empörung und schließlich erneut zu Unverständnis. Sie setzte an, um etwas zu erwidern, schwieg dann aber doch, vermutlich hatte sie es sich anders überlegt.

"Es liegt also am Geld", sagte sie trocken und in ihrer Stimme schwang eine Enttäuschung, die ich nicht verorten konnte.

"Nein, es liegt nicht am Geld. Es liegt an den unterschiedlichen Lebenswelten. Ich weiß nicht, ob das zwischen uns so funktionieren kann." Meine Wut war ein wenig verflogen, weil ich realisierte, wie verletzend ich mich ihr gegenüber verhalten hatte. Ich drehte den Kaffeebecher in meiner Hand und wünschte mir, ich hätte ihn nicht bestellt. Sarahs Gesicht wurde blass, während sie meine Worte verarbeitete. Ihr roter Lippenstift schimmerte im Licht des Fahrstuhl unnatürlich hell und ich atmete tief ein, um trotz der angespannten Situation, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Failing the examWo Geschichten leben. Entdecke jetzt