17 - Spuren im Dschungel

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Irgendwie fühlt es sich merkwürdig an, mich in dieser Nacht von Marlo zu verabschieden. Er drückt mich ganz fest an sich und vergräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge. Als würde er meinen Geruch aufsaugen wollen, um ihn nicht zu vergessen.

„Ich liebe dich, Frankie!", spricht er erneut die drei magischen Worte aus, die mein Herz zum Beben bringen. „Bitte denke immer daran, okay?"

Ich nicke. Zu gerne würde ich seine Worte erwidern, aber dafür ist es noch zu früh.

„Wir sehen uns dann morgen", lächele ich Marlo aufgeregt an. „Hoffentlich hat Nerina Nachsicht mit mir ..."

Es ist untypisch, dass Marlo meine Aussage ignoriert. Stattdessen haucht er mir einen federleichten Kuss auf die Stirn und lässt sich kurz darauf von der Dunkelheit verschlucken. Für ein paar Sekunden starre ich ihm noch hinterher, ehe ich mich in den lauwarmen Sand lege und in Mister Krakensteins flauschige Tentakel kuschele.

In dieser Nacht schlafe ich sehr unruhig. Ständig wälze ich mich von rechts nach links oder wache schweißgebadet auf. Zwar werde ich von keinen Albträumen heimgesucht, aber trotzdem ist da dieses mulmige Gefühl in meiner Magengrube, das mir Angst macht.

Als ich zum wiederholten Male hochschrecke und sich mein Herz wie auf einer Achterbahnfahrt überschlägt, beschließe ich, wachzubleiben. Die Sterne verblassen gerade am Himmelszelt und ganz weit hinten, ungefähr dort wo der Horizont das Meer berührt, kämpfen sich die ersten Sonnenstrahlen aus dem Ozean.

Unter anderen Umständen würde ich diesen magischen Anblick sicherlich genießen, aber leider hindern mich die fiesen Stiche in meinem Herzen daran. Ohne es kontrollieren zu können, muss ich an Marlo denken.

Obwohl die Stunden am Wasserfall wunderschön waren, hat er sich bei unserer Verabschiedung komisch verhalten. Nicht wie er selbst.

Ob er eventuell Angst vor Nerinas Entscheidung hat? Im Gegensatz zu mir kennt er alle verlorenen Schätze in- und auswendig und hat eine Verbindung zu ihnen aufgebaut.

Da ich sowieso nicht mehr schlafen kann und mich dieses ungute Bauchgefühl einfach nicht loslassen möchte, schäle ich mich vorsichtig aus Mister Krakensteins Tentakeln. Meine Füße graben sich in den Sand und führen mich Schritt für Schritt zu Marlos Schankstelle.

Anders als erhofft ist die Bar leer.

Also mache ich auf dem Absatz kehrt und laufe zurück zum Strand. Vielleicht hat er sich ja eine der neuen Hütten zum Schlafen ausgesucht ...

Noch bevor ich mit meiner Suche starten kann, stoße ich mit Gary-Glossi zusammen. Da er so winzig ist, trete ich fast mit meinem Fuß auf seinen Labello-Körper. In letzter Sekunde entdecke ich ihn und mache einen Satz zur Seite.

„Hey Frankie", begrüßt mich Gary-Glossi mit einem müden Gähnen. „Ich wusste ja gar nicht, dass du neuerdings ein Morgenmensch bist."

Tja, ich auch nicht.

Kurz erwidere ich Gary-Glossis Grinsen, ehe ich neugierig und hoffnungsvoll zugleich von ihm wissen möchte: „Sag mal, hast du zufällig Marlo gesehen?" Innerlich rechne ich damit, dass er meine Frage verneinen wird. Umso überraschter bin ich, als der Labello plötzlich nickt.

„Er ist vor ungefähr fünf Minuten im Dschungel verschwunden", antwortet mir Gary-Glossi. „Keine Ahnung, was mit ihm los ist, aber er sah traurig aus und hat sogar geweint."

Was?!

Bei dieser Aussage krampft sich mein Herz unangenehm zusammen. Es tut weh, zu wissen, dass es Marlo nicht gutgeht.

„Danke, Gary-Glossi!" Ich tätschele dem Labello hektisch über den Kopf. „Wir sehen uns!"

Ohne noch eine weitere Sekunde zu vergeuden, mache ich mich auf den Weg in Richtung Dschungel. So schnell mich meine Füße tragen können, huschen sie über den steinigen Untergrund.

Schon nach wenigen Metern rollen erste Schweißperlen über meine Stirn und fiese Seitenstiche zwicken in meinen Brustkorb.

Scheiße, warum bin ich so ein Sportmuffel?

Ich versuche, die Schmerzen beiseitezuschieben und konzentriere mich darauf, dem Kiesweg zu folgen. Wenn mich nicht alles täuscht, erkenne ich sogar noch Marlos Fußabdrücke, die sich auf den winzigen Steinchen abzeichnen.

„Marlo?!", rufe ich nun seinen Namen, erhalte allerdings keine Antwort.

Mein Herz schlägt schneller und meine Angst gewinnt an Größe dazu. Warum gesteht er mir gestern Abend seine Liebe und verschwindet dann ausgerechnet heute Morgen weinend im Dschungel? Irgendetwas stimmt nicht.

Meine Vermutung bestätigt sich, als ich ein paar Minuten später auf drei bekannte Gegenstände treffe.

Niemand Geringeres als Licht-Luigi, Pack-Paul und Bade-Berta stehen vor mir.

„Frankie?", sprechen sie synchron meinen Namen aus. Dass sie verwirrt und auch ein bisschen ängstlich sind, ist nicht zu überhören.

„Hey", antworte ich mit einem gezwungenen Lächeln.

„Hast, na ja ...", stammelt Bade-Berta nervös, „hast du dich schon entschieden, welche Gegenstände ausgelöscht werden müssen?" Sie schafft es nicht, meinem Blick standzuhalten und schaut stattdessen auf den Boden, der mit kleinen Kieselsteinen bedeckt ist.

„Heute muss niemand ausradiert werden!", behaupte ich selbstbewusst. „Marlo hat nämlich ..." Mitten im Satz unterbreche ich mich. Ich habe keine Zeit für Erklärungen. Wichtig ist nur, meinen damaligen Fantasie-Freund zu finden und mit ihm zu sprechen.

„Habt ihr zufällig Marlo gesehen?", frage ich die drei Gegenstände nervös und wechsele somit das Thema.

Sie tauschen einen flüchtigen Blick miteinander aus, ehe sie zögerlich nicken. Die zerknautschten Gesichtsausdrücke lassen nichts Gutes vermuten.

„Er war total seltsam drauf", bricht Pack-Paul als Erster das Schweigen. „Er hat uns alle umarmt und uns gesagt, wie lieb er uns hat."

„Das hat er sonst noch nie gemacht!", fügt Licht-Luigi hinzu.

Ganz langsam macht sich eine böse Vorahnung in meinem Inneren breit. Sie wickelt sich wie eine Eisenkette aus Gift um meine Lungenflügel und erschwert mir das Atmen.

„Hat ... Hat er euch gesagt, wo er hinmöchte?" Meine Stimme bebt. Genauso wie mein Körper.

Während Licht-Luigi ahnungslos mit den Schultern zuckt und Pack-Paul den Kopf schüttelt, verrät mir Bade-Berta: „Nicht direkt. Er meinte nur, dass er sich an dem kleinen See mit den Rosensträuchern mit jemandem treffen möchte. Ich glaube, sein Name ist Plitsch oder so ..."

Platsch!

Bei der Erwähnung des Schlauchbootes entgleisen mir sämtliche Gesichtszüge. Panik keimt in meinem Inneren auf und breitet sich wie ein Lauffeuer in meinem Körper aus.

Ich muss Marlo finden. Und zwar schnell!

Mit Tränen in den Augen frage ich die Quietscheente: „Wo ist dieser See?"

„Du musst nur geradeausgehen, bis eine Kreuzung kommt", erklärt sie mir. „Da biegst du links ab und dann siehst du den See schon."

„Wenn du dich beeilst, müsstest du in fünf Minuten da sein", schiebt Licht-Luigi hinterher.

Ich bin so überfordert mit der derzeitigen Situation, dass ich vergesse, mich bei den drei Gegenständen zu bedanken. So schnell ich kann, laufe ich los und folge dem Kiesweg.

Hoffentlich komme ich nicht zu spät!

Die Insel der verlorenen SchätzeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt