20 - Der Kreis schließt sich

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„Man, Frankie!"

Ich blinzele benommen und reibe mir über die pochenden Schläfen. Es dauert ein paar Sekunden, bis sich meine verschwommene Sicht wieder schärft und ich den Strand und das Meer erkenne.

Im Hintergrund vermischen sich ausgelassenes Stimmengewirr und laute Partymusik zu einem harmonischen Duett der Freiheit.

„Wolltest du nicht eigentlich zu deinem süßen Sawyer rübergehen und ihn endlich ansprechen?"

Was?!

Ich hebe verwirrt den Kopf und versinke sofort in den vertrauten, moosgrünen Augen meiner besten Freundin. Jodie hat sich mit verschränkten Armen vor mir positioniert und schaut skeptisch auf mich hinab. Mit diesem vorwurfsvollen Lehrerinnenblick, den ich so sehr hasse. „Was machst du da überhaupt mit deiner Handtasche?", fragt sie mich verständnislos.

Ich folge ihrem Zeigefinger und entdecke eine Packung Taschentücher, die im Sand liegt. Daneben befindet sich meine Handtasche, die mit lauter Krimskrams und viel zu vielen Sandkörnern gefüllt ist.

„Oh man." Jodie schüttelt ihren Kopf, sodass ihre Locken aufgeregt von rechts nach links hüpfen. „Dabei dachte ich die ganze Zeit, ich wäre die Angetrunkene von uns beiden ..." Sie grinst frech, ehe sie sich neben mich in den Sand plumpsen lässt und einen Arm um meine Schulter legt.

Um ehrlich zu sein bin ich gerade ziemlich überfordert mit der Situation. Als wäre ich aus einem Traum aufgewacht oder so. Mein Schädel dröhnt unangenehm und mein Körper fühlt sich ausgelaugt und müde an. Wie damals nach dem Sportunterricht in der Schule.

Ob das womöglich die Nebenwirkungen von meinen Cocktails sind?

„Nun sag schon, Frankie, was ist los?", möchte Jodie besorgt von mir wissen. „Hast du wirklich so viel Angst davor, Sawyer anzusprechen?"

Sawyer ...

Die Erwähnung seines Namens löst ein angenehmes Kribbeln in meinem Magen aus. Ohne es steuern zu können, schweifen meine Augen über den Strand, bis sie ihn gefunden haben. Gemeinsam mit seinen Kumpels steht er in einem Kreis und spielt Volleyball.

So, wie er es schon vor ein paar Minuten gemacht hat.

Wobei sich diese Minuten fast schon wie Stunden oder gar Tage anfühlen ...

„Weißt du, manchmal muss man über seinen Schatten springen, um glücklich zu werden", redet Jodie aufmunternd auf mich ein. „Außerdem ist Sawyer ein feiner Kerl und ..."

Weiter höre ich ihr gar nicht mehr zu.

Ich habe keine Ahnung, warum mir die Aussage, dass Sawyer ein feiner Kerl sei, so vertraut vorkommt, doch sie entfacht ein loderndes Feuer in meinem Inneren. Plötzlich werde ich von so viel Selbstbewusstsein heimgesucht, dass ich übermütig auf die Beine springe und meine Schultern straffe.

„Du hast Recht, Jodie!"

Meine beste Freundin blinzelt mich überrascht an. „Ach echt?"

„Ja!", bestätige ich mit einem Nicken. „Sawyer ist ein feiner Kerl und genau deshalb werde ich jetzt zu ihm gehen und mit ihm sprechen. In der Hoffnung, dass er mich genauso gut findet, wie ich ihn."

Jodie wirkt total überrumpelt. Als hätten sich meine Worte in einen Lastwagen verwandelt und sie plattgefahren. „Wer zum Teufel bist du und was hast du mit meiner besten Freundin gemacht?", fragt sie mich lachend. Dann streckt sie mir ihre erhobenen Daumen entgegen und flötet: „Also die neue Frankie ist auf jeden Fall der Hammer!"

„Nein", widerspreche ich ihr, „sie ist der ganze Werkzeugkasten!"

Warum ich das gerade gesagt habe? Ich weiß es nicht.

„Das ist die richtige Einstellung, Süße!", feuert mich Jodie an. „Ich warte hier auf dich und passe auf deine Handtasche auf. Aber wehe, du verschwindest einfach mit Sawyer, ohne mir Bescheid zu geben! Dann helfe ich dir nie wieder beim Suchen, wenn du mal wieder was verloren hast. Klar?!"

„Klar!"

Grinsend kehre ich Jodie den Rücken zu und schlage stattdessen den Weg in Sawyers Richtung ein. Die lauwarmen Sandkörner graben sich zwischen meine Zehen und der Wind tanzt vorsichtig um meinen Körper. Ich atme die salzige Meeresluft ein und lächele zufrieden.

Irgendwie kommt mir der Strand ganz anders vor. Oder ich nehme ihn zum ersten Mal mit anderen Augen wahr.

Aber egal, was es ist, dieses neue Bewusstsein gefällt mir!

Schritt für Schritt nähere ich mich Sawyer. Als würde mir das Schicksal auf magische Art und Weise helfen wollen, verspringt plötzlich einem seiner Kumpels der Ball. Er fliegt geradewegs auf mich zu und landet vor meinen Füßen im Sand.

„Oh", entwischt es mir überrascht.

Ich bücke mich und hebe den Volleyball auf. In derselben Sekunde kommt niemand Geringes als Sawyer Bridge vor mir zum Stehen.

Mein Herz macht einen aufgeregten Satz in die Höhe und klopft mindestens dreimal so schnell weiter, wie zuvor.

Aus der Nähe sieht Sawyer sogar noch besser aus als immer nur aus der Ferne. Seine karamellfarbenen Augen glänzen und erinnern mich an die Sterne, die sich an den Nachthimmel kämpfen. Besonders niedlich ist allerdings das Lächeln, das an seinen Mundwinkeln zupft und ein Grübchen in seine rechte Wange bohrt.

„Hey", grinst mich Sawyer gutgelaunt an.

Kurz schaue ich mich prüfend um, ob er wirklich mit mir spricht, doch weit und breit ist kein anderer Mensch zu sehen. Und die knappbekleidete Blondine zum Glück auch nicht.

„Ähm, hi", erwidere ich also schüchtern. Meine Finger krallen sich währenddessen hilfesuchend in den Volleyball. In der Hoffnung, er könnte mir dabei helfen, ein passendes Gesprächsthema zu finden. „Verlierst du auch immer so viele Sachen?"

Oh Mist! Warum muss mein Mund ständig schneller handeln als mein Kopf? Jetzt hält mich Sawyer bestimmt für einen Freak.

Peinlich berührt lasse ich die Schultern hängen und weiche diesen hübschen, karamellfarbenen Augen aus. Sollte ich mich einfach umdrehen und weglaufen, bevor es noch unangenehmer wird?

Zum Glück sind meine Füße fest im Sand verwurzelt, denn sonst würde ich Sawyers Antwort nicht mehr mitbekommen. „Das Einzige, was ich verloren habe, sind dein Name und deine Handynummer", grinst er mich verschmitzt an und zwinkert dabei. „Wärst du so nett und würdest mir beides wiedergeben?"

Wie vom Blitz getroffen hebe ich den Kopf und starre Sawyer ungläubig an.

„Flirtest du gerade mit mir?"

Shit! Das wollte ich gar nicht fragen.

„Funktioniert es denn?" Sawyer nimmt mir vorsichtig den Volleyball ab und wirft ihn zu seinen Kumpels zurück. Gleichzeitig ruft er: „Spielt ohne mich weiter! Ich mache eine kurze Pause!"

Moment mal. Er macht eine Pause? Etwa meinetwegen?

Scheinbar schon, denn Sawyer möchte hoffnungsvoll von mir wissen: „Setzen wir uns ein bisschen ans Meer? Dann kann ich mir einen besseren Anmachspruch überlegen."

Ich bin so perplex, dass kein einziges Wort meinen Mund verlässt. Stattdessen nicke ich überfordert.

Seite an Seite schlendern Sawyer und ich durch den Sand. Wir entfernen uns von den ganzen feierwütigen Studenten und suchen uns ein freies Plätzchen am Meer.

Normalerweise habe ich großen Respekt vor dem Ozean, weil ich mich nach einem Badeunfall geweigert habe, das Schwimmen zu lernen, doch in Sawyers Nähe fühle ich mich sicher und beschützt. Mit ihm würde ich nicht nur am Ufer sitzen, sondern mich komplett ins Wasser wagen.

Woher dieser plötzliche Anflug von Mut kommt? Ich habe keine Ahnung.

Vielleicht klingt es albern, aber ich habe das Gefühl, als wäre ich ein ganz neuer Mensch. Und ebenso wie Jodie gefällt mir die neue Frankie echt gut!

„Also dann ...", reißt mich Sawyers Stimme aus meinen Gedanken in die Realität zurück. Ein süßes Lächeln umspielt seine Lippen, als er mich bittet: „Erzähl mir mehr von den Sachen, die du verlierst. Ich bin ganz neugierig geworden."

Und so beginnt eine Nacht, die den Anfang von etwas ganz Besonderem markiert.

Die Insel der verlorenen SchätzeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt