6 - Kicher-Kolada

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„Komm schon, Frankie, gib dir einen Ruck!" Mister Krakenstein lächelt mich aufmunternd von der Seite an. Die untergehende Sonne spiegelt sich in seinen Augen wider und lässt seine Iriden als ein Meer aus lilafarbenen Sternen erstrahlen. „Marlo ist kein Ungeheuer. Er ist einfach nur verletzt."

Ich stoße ein frustriertes Seufzen aus, denn seit einer geschlagenen Stunde versucht der Oktopus, mich zu überreden, erneut das Gespräch mit Marlo zu suchen.

„Und du bist dir sicher, dass er am Wasserfall ist?", vergewissere ich mich nun schon zum fünften Mal bei Mister Krakenstein.

„Zu eintausend Prozent!", beteuert er.

„Na schön." Obwohl mein Herz wie ein Maschinengewehr pulsiert und lauter, kleine Ameisen unter meiner Haut laufen, straffe ich meine Schultern und recke mein Kinn in die Höhe. „Wird schon schiefgehen, oder?"

„Hoffentlich nicht!", ruft die Krake entsetzt aus. „Besser, alles läuft gut!"

Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, Mister Krakenstein die Redewendung zu erklären, sondern nehme ihm einfach nur die beiden Gläser, in denen eine orangefarbene Flüssigkeit schwimmt, ab. „Falls ich in einer Stunde nicht zurück sein sollte: Such bitte nach meinen Überresten und-"

„Frankie!", unterbricht mich Mister Krakenstein streng. „Ich will kein Wort mehr hören. Hopp, hopp! Weg mit dir!" Er macht eine wegscheuchende Bewegung mit seinen Tentakeln und bringt mich damit zum Lachen.

Auch wenn diese Insel alles andere als normal ist und ich mich nach einem Ausweg sehne, muss ich zugeben, den Oktopus schon jetzt liebgewonnen zu haben. Ohne ihn hätte ich hier keine fünf Minuten überlebt. Und würde mich auch nicht so sicher und geborgen fühlen.

„Dann bis später. Wünsch mir Glück!"

„Bis später, Frankie!" Die Krake winkt mir mit ihren acht blauen Tentakeln zu. „Und Glück brauchst du nicht. Das ist nur was für Anfänger, sagt Dribbel-Dora immer." Im Einklang mit seinem letzten Wort macht sich Mister Krakenstein am Bartresen zu schaffen und mixt sich einen Cocktail. Hoffentlich ohne Alkohol, denn sonst gibt es niemanden, der im Ernstfall nach meinen Überresten suchen könnte ...

Ich hole noch einmal tief Luft, bevor ich mich aus meiner sicheren Zone, also Marlos Schankstelle, hinauswage. Ein prüfender Blick in Richtung Strand verrät mir, dass die vielen wütenden Gegenstände mit sich selbst beschäftigt sind und mir keine Aufmerksamkeit mehr schenken. Zum Glück hat Marlos Drohung ihre Wirkung nicht verfehlt.

Erleichtert wende ich mich von dem Strand ab und folge stattdessen einem Kiesweg, der sich wie ein Spinnennetz zwischen den Palmen hindurchschlängelt. Es ist faszinierend, wie die Blätter das goldene Sonnenlicht brechen und die Natur in einen magischen Schleier gehüllt wird.

Im Hintergrund sind das Rauschen des Meeres und das Surren mehrerer Insekten zu hören. Obwohl sich der Tag langsam dem Ende zuneigt, ist es noch angenehm warm draußen, sodass ich ohne Probleme barfuß herumlaufen kann. Die kleinen Kieselsteine bohren sich zwar unangenehm in meine Fußsohlen, aber wenigstens lenken sie mich von meiner aufkeimenden Nervosität ab.

Mittlerweile ist es fast zwei Stunden her, seit ich Marlo das letzte Mal gesehen habe. Ob er sich in der Zwischenzeit etwas beruhigt hat? Ich hoffe es!

Fast fünf Minuten lang folge ich dem Kiesweg. Rechts und links erstrecken sich mehrere Palmen, die sanft im Rhythmus des Windes schaukeln. Überall riecht es nach Kokosnüssen und frischen Blumen. Eine perfekte Mischung, um tief durchzuatmen und meine Sinne zu betäuben.

Irgendwann erreiche ich eine Kreuzung. Wie mir Mister Krakenstein befohlen hat, orientiere ich mich an dem linken Pfad, der an einem Fluss vorbeiführt. Das Wasser plätschert leise vor sich hin und reflektiert die Strahlen der untergehenden Sonne.

Die Insel der verlorenen SchätzeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt