Kapitel 4

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Wochen sind vergangen, in denen ich Nathan nicht gesehen habe. Es geht mir gut damit, auch wenn ich mich manchmal dabei ertappe, an ihn zu denken. An diese schwungvollen Lippen, die mich mit ihren leisen, aber intensiven Worten verzaubert haben. An diese moosgrünen Augen, die mich immer so tief und wissend ansahen, als könnten sie die dunklen Ecken meines Herzens erhellen. Es ist gut, dass ich mich von ihm fernhalte. Mein Onkel meint zwar, dass Nathan keine Schuld daran trägt, dass das Dorf zerstört wurde und meine Eltern tot sind, sondern nur allein der König. Aber trotzdem brodelt noch eine Wut in mir, so heiß und unnachgiebig wie Lava. Der König. Er ist mein eigentliches Ziel, und keiner darf mich davon ablenken. Nicht einmal der Kronprinz.

Es ist mitten in der Nacht, und der Vollmond wirft sein kaltes, silbernes Licht durch das kleine, staubige Fenster. Kleine magische Funken tanzen auf meinen Fingern, reflektieren das Mondlicht und werfen flackernde Schatten an die Wände. Diese Funken und der Mond sind die einzigen Lichtquellen in meinem winzigen Zimmer, das mehr einer Abstellkammer gleicht. Die Holzbalken der Decke knarren leise, als ob sie die Last meiner Sorgen mittragen würden. Aus dem Nebenzimmer höre ich das rhythmische Schnarchen meines Onkels, ein beruhigendes Geräusch, das mich an die Sicherheit meiner Kindheit erinnert, bevor alles auseinanderfiel.

Langsam stehe ich aus dem Bett auf und gehe zu dem Fenster. Das Holz ist rau und kalt unter meinen Fingern, als ich es vorsichtig öffne. Quietschend schwingen die alten Scharniere auf, und die kühle Nachtluft strömt herein. Sie trägt den Duft von feuchter Erde und blühendem Jasmin, eine flüchtige Erinnerung an bessere Zeiten. Ich schließe die Augen, lasse die Magie durch mich fließen, spüre sie in jeder Faser meines Seins, wie sie meine Haut kribbeln lässt und mein Herz schneller schlagen lässt. Mit einem Mal schmecke ich etwas Salziges auf meinen Lippen. Eine Träne. Sie rollt über meine Wange und fällt in die Dunkelheit. Ich schlucke schwer, versuche, die Flut der Emotionen zu unterdrücken, die in mir aufsteigen und mich zu überwältigen drohen.

Ein leises Knarren der Zimmertür lässt mich aufhorchen. Ich drehe mich um und sehe meinen Onkel im Türrahmen stehen. Sein Gesicht ist in Sorge gefurcht, seine Augen beobachten mich mit einer Mischung aus Mitgefühl und Traurigkeit. Er sieht, wie die letzten Funken meiner Magie verebben und in der Dunkelheit verschwinden. "Du kannst nicht schlafen," stellt er fest, seine Stimme sanft, aber mit einem Hauch von Müdigkeit. Ich zucke mit den Schultern, fühle mich ertappt, aber auch getröstet durch seine Anwesenheit. "Vielleicht," gebe ich zurück, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, brüchig vor unterdrückten Gefühlen.

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Ein dichter Nebel hat sich wie ein schwerer Schleier über die nächtlichen Gassen gelegt, so undurchdringlich und erdrückend, dass er die gesamte Stadt in eine düstere Stille hüllt. Der Regen, der leise und beständig herabfällt, malt düstere, unregelmäßige Muster auf das unebene Kopfsteinpflaster unter meinen Füßen. Die kühlen, nassen Tropfen sammeln sich zu Pfützen, die vom fahlen Licht des Vollmonds in ein unheimliches Glühen getaucht werden.

In der Ferne grollt ein Gewitter, und der Donner rollt wie eine finstere Drohung durch die verwinkelten Gassen und hallt an den alten, schiefen Hausfassaden wider. Die Gassen selbst sind ein Labyrinth aus gewundenen Pfaden und dunklen Ecken, in denen sich die Schatten sammeln und Gestalten annehmen. Der Mond, der hoch oben zwischen den Wolken hervorlugt, wirft lange, geisterhafte Schatten, die sich wie lebendig über die Pflastersteine ziehen.

Vereinzelt sind noch Menschen unterwegs, die tief in ihre Mäntel gehüllt sind, die Kragen hochgestellt, um sich vor der Kälte und Nässe zu schützen. Ihre Gesichter erscheinen kurz im silbrigen Licht des Mondes, bevor sie wieder in der Dunkelheit verschwinden, als wären sie Geister. Die Luft ist erfüllt von dem schweren, erdigen Geruch des nassen Steins, dem herben Aroma von feuchtem Holz und einem salzigen Hauch von Meeresluft, der verrät, dass der Hafen ganz in der Nähe sein muss.

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