Wächtersorgen

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 Die letzten Sonnenstrahlen zeichnen sich am Himmel ab, als sie sich auf dem Heimweg macht. Sorgfältig streicht sie wieder und wieder über den Umschlag. Ihre Finger gleiten über das rote Siegel. Knack. Das Wachssiegel ist gebrochen und der Brief gibt sein Geheimnis frei. Aus dem Umschlag zieht sie den Zettel. Dienstbrief der Stadtwache steht in schnörkeligen Lettern darauf, darüber befindet sich ein Ritterhelm mit zugeklapptem Visier. Schatten huschen durch die Gassen. Sie muss sich beeilen. Aus dem Augenwinkel erkennt sie schon die Gestalten. Rasch verschwindet der Brief in ihrem Lederharnisch. Sie muss sich sputen. Getrocknetes Blut klebt auf den Pflastersteinen. Ihr Schuh stößt gegen einen Zahn und schleuder ihn nach vorne. Klackend schleift er über die Steine, bis er in einem Spalt zum Erliegen kommt. Die Straßen riechen förmlich nach Ärger – und verschüttetem Bier oder Schlimmeren. Aylia betritt die Hauptstraße, nur noch einen kurzen Fußmarsch ist ihr Heim entfernt. Von der anderen Straßenseite kommt ihr schon der Erste entgegen. Lothar. Mit Kopf und Gedanken wie immer in den Wolken. „Unterwegs zur Wache?", fragt Aylia und wechselt die Straßenseite.
Abrupt bleit er stehen, der Mann hinter ihm ebenfalls. Musternd sieht sie ihn an, seine ausgefranste Stoffhose ist voller Flecken und das Leinenhemd voller Löcher. Sein unrasiertes Gesicht ist blass, Schweißperlen rinnen ihm von der Stirn. Nervös drängt er sich an ihnen vorbei und verschwindet hinter der nächsten Ecke. Der hat was zu verbergen.
„Ewiges Patrouillieren und Dieben hinterherhetzen? Nein, danke, lieber werde ich Zauberer."
Aylia zieht ihren Dienstbrief hervor und hält ihn Lothar vor die Nase. „Erst die Jungwächter, dann die Paladine. Ich übernehm die Gauner und du die Magiewesen. Zusammen sind wir unschlagbar."
„Paladine sind keine Zaubere. Magie sollte man verstehen nicht verehren", erwidert Lothar und lässt sie hinter sich. „Jeder muss seinen eigenen Weg gehen."
„Spätestens nach der Auswahl kommst du so oder so zur Wache."
Lothar dreht sich zu ihr um und lächelt. „Sei dir da mal nicht so sicher. Vielleicht zahle ich dir den Kelch von meinem ersten Zaubererlohn."
Immer weiter und weiter entfernt er sich von ihr, bis er irgendwann vollkommen aus ihrer Sicht verschwindet. Der wird sich noch wundern. Wenn der erst mal die Realität wieder unter den Füßen spürt, kommt er zur Wache gebuckelt wie kein Anderer.
Aylia öffnet ihre Haustür, sofort spürt sie die Wärme auf ihrer Haut. Im Kamin prasselt ein Feuer, darüber hängt ein Topf mit Suppe, der fröhlich vor sich hin blubbert. Auf den Tisch in der Mitte lässt sie das Kaninchen plumpsen, Pfeil und Bogen legt sie daneben. Ma hat schon die Messer vorbereitet, fein säuberlich liegen sie der Größe nach neben dem Tontopf. Aylia nimmt den Hasen und bringt ihn zu den Messern. Münzen rascheln im Inneren des Tontopfs, als der Hase dagegen stößt. Mit dem kleinsten Messer sticht sie dem Kaninchen in den Bauch und macht einen langen Schnitt. Blut quillt aus dem Tier und ergießt sich über die Arbeitsfläche. Gedärm nach Gedärm entnimmt sie dem Kaninchen. Herz, Leber und Nieren legt sie für später zur Seite. Jetzt beginnt sie das Fell abzuziehen. Das Muskelfleisch darunter ist zart und rar, aber für ihre Zwecke ausreichend. Zwei Drittel davon schneidet sie herunter und hackt es klein. Nimmt einen Teil der Fleischstücke und spießt sie neben Zwiebelstücken auf einen langen Metallstab. Vom Rest nimmt sie eine Handvoll und geht mit Spieß und Fleisch zum Feuer. Den Spieß befestigt sie über dem Feuer, die Stückchen lässt sie eine nach dem anderen in die Suppe platschen.
„Wieder dem Hirsch nachgerannt?", ertönt Ma's Stimme hinter ihr.
Aylia dreht sich zu ihr um. „Irgendwann erwisch ich das Biest. Aber heute habe ich eine andere Beute mitgebracht", sagt sie und legt den Dienstbrief vor ihr auf den Tisch. „Das wird uns einigen Ärger vom Hals halten."
Ma nimmt das Dokument vom Tisch und streicht es glatt. „Du bist Wächter geworden. Hier, in so einer Gegend?"
„Ist das ein Problem? Diese Bastarde werden dafür bezahlen, was sie Pa angetan haben."
„Falls sie ihm was angetan haben", sagt Ma kalt.
„So etwas würde Pa uns nie antun. Diese Halunken haben ihn entführt und das weißt du."
Ma setzt sich und reibt sich die Schläfen. „Hör auf darüber zu reden. Du machst mir Kopfschmerzen."
Es hämmert an der Tür. „Klopf, klopf. Der Spinnenzoll ist da. Also macht die verschissene Tür auf."
Ma springt vom Tisch auf und eilt zum Tontopf. Sofort wühlt sie darin nach etlichen Münzen.
„Nein, Ma", sagt Aylia und nimmt das Dokument vom Tisch. „Ich kümmere mich darum."
Aylia zieht die Tür auf. Tätowierte Männer stehen vor der Tür. Auf ihren Hälsen und Armen prangen rote Spinnen und Spinnennetze. Der Vorderste hält eine eisenbeschlagene Keule in den Händen. „Was ist jetzt mit den Kröten?!", zischt er sie an und knackst mit seinem Nacken.
„Siehst du das! Hier gibt's nichts für euch zu holen und jetzt verpisst euch aber hurtig", erwidert sie und hält den Dienstbrief hoch.
Der Vordermann reist ihr den Brief aus der Hand. „Dienstbrief", liest er vor und lacht. Mit beiden Händen packt er das Papier und zerreißt es vor ihren Augen. Papier Schnipsel segeln zu Boden.
„Hundesohn. Du bist verhaftet. Ergib dich", brüllt sie ihn an. Der Bastard ballt die Faust. Aylia will etwas unternehmen. Er schlägt zu. Mitten ins Gesicht. Noch ehe sie sich versieht, liegt sie auf dem Boden. Ihre Wange pocht. Vorsichtig tastet sie danach. Blut klebt an ihren Fingern. Über ihr reicht ihre Mutter den Schweinen eine Hand voll Münzen. „Verzeihen sie meine Tochter. Sie ist noch ein junges Ding und weiß es nicht besser."
Der Hundesohn blickt zu ihr herab und spuckt vor ihr auf den Boden. „Beim nächsten Mal schlag ich richtig zu."
Mit klimpernden Taschen verlassen die Halunken ihr Heim und sie bleibt blutend zurück. Ohne ein Wort zu sagen, steht sie auf und geht in ihr Zimmer. Die Finsternis der Nacht hat schon begonnen die Stadt zu verschlingen. Kerzen kämpfen gegen die Dunkelheit und erhellen den Raum. Ermattet lässt sie sich auf ihr Bett fallen. Wie konnte das nur passieren? Sie ist doch bei der Wache.
Ihre Hand gleitet unter ihr Bett. Von dort zieht sie ein kleines Büchlein samt Schreibfeder hervor. In der Mitte schlägt sie es auf. Wie war dein Tag steht dort in leuchtenden Buchstaben geschrieben. Aylia setzt die Feder drunter und beginnt hinein zu kritzeln. Als sie fertig ist, schließt sie es, wartet ein paar Sekunden und öffnet es wieder. Ein Titel allein verändert dich nicht, Erfahrung hingegen schon. Gedulde dich und du wirst deine Chance bekommen antwortet ihr das Buch. Es weiß, wie sehr sie seine dummen Sprüche hasst. Sie rollt mit den Augen und formuliert eine Antwort. Im Kerzenlicht schreibt sie mit dem Buch Zeile um Zeile und Absatz für Absatz. Kürzer und kürzer werden die Kerzen im Verlauf der Nacht. Wachs sammelt sich auf den Holzunterlagen, auf den sie standen. Rauch steigt von den Dochten auf, als die ersten ihr Licht lassen.
Eine nach den anderen erlischt im Laufe der Nacht. Bis auch die Letzte von ihnen dem Kampf erliegt und im Dunst der Nacht verglimmt.

Das Gift der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt