Tote Spinnen

4 1 0
                                    

Drei Zauberer, eine Quest. Morgenröte blendete Lothar. Kaum ein Mensch war schon auf den Straßen. Er faste den Saum seines neuen Spitzhutes. Mit beiden Händen drückte er ihn sich fest auf den Kopf. Die Naht knarrte. Man roch förmlich die Zeit, die der Hut ihm Schrank verbrachte. Der Lavendelduft hatte sich tief in den braunen Stoff eingesogen. Ein schwarzer Rand hatte sich am Rand der Bleisterne gebildet. Lothar streckte einen Finger durch ein Loch. Hier und da besaß er vielleicht ein zwei Löcher. Aber das war alles egal. Es war der beste und einzige Hut, den er je besaß. Damit war er ein vollwertiger Zauberer, mehr kümmerte ihn nicht. Zumal es derselbe Hut war, den Humboldt in seinem Alter trug. Ein echter Zaubererhut für einen echten Zauberer. Drei Spitzhütte ließen den Markt und die Kaserne hinter sich und steuerten das Hexenheim an. Immer noch drückte er den Hut an sich und drehte sich vor ihnen im Kreis. Er hatte es geschafft. Ein Hut, ein Zauberstab und eine Quest. Nichts fehlte mehr, außer die Aufnahme an der Universität. Das war zweitrangig, mit den anderen Zauberern würde das sicherlich ein Leichtes werden. Die Quest war wichtiger. Aylia würde staunen, wenn sie sich das nächste Mal begegnen würden. Sie ein gewöhnlicher Wächter und er ein vollwertiger Zauberer. Die Wette hatte sie mehr als nur verloren und er konnte es kaum erwarten, es ihr so richtig heimzuzahlen.
  Sie näherten sich dem Viertel. Pflastersteine fehlten in den Straßen, sein Fuß verhakte sich in einem der Löcher. Fast wäre er hingefallen. Hartwig stützte ihn im letzten Moment am Arm. Am Wegesrand lugten Zettelstücke fröhlich aus den Lücken und Löchern. Der Wind pfiff durch eingeschlagene Fensterscheiben und ließ die Zettel flattern. Lothar drehte sich zu Humboldt. „Bekam eigentlich jeder Zauberer Quests?"
  „Nicht von dieser Sorte und vor allem nicht die Schüler."
  Hartwig räusperte sich. „Du vielleicht nicht."
  Humboldt tat so, als ob er ihn überhört hatte. „Generell gesehen, kommt es schon vor, sind aber dann meist nicht verpflichtend."
  „Macht also keiner", hustete Hartwig und versuchte so für ihn zu übersetzten. Lothar verstand nicht ganz. Quests waren also nicht verpflichtend und wurden von den meisten Zauberern nicht angenommen. Handelte es sich bei diesen „Quests" um Hausarbeiten oder warum wollte die keiner machen? Manchmal verstand er die Zauberer nicht ganz. Quests bedeuteten doch Abenteuer, Heldentaten und Rum. Natürlich kam da noch Anstrengung, Schmerz, Leid und Gefahr hintendran, aber das war er schon sein Leben lang gewohnt. Bei Gerdr aufzuwachsen bedeutete schon immer zu kämpfen und zu überleben. Man musste sich anpassen, man jagte oder man isst Spezialtopf, bis es irgendwann beschließt, dich aufzuessen. Er hatte die Augen mehr als einmal gesehen, sie waren da. Auch wenn sie danach immer spurlos im Kessel verschwanden.
  Hartwigs Hand deutet ihm zu stehen zu bleiben. Sie hatten Hexenheim betreten. An der Wand neben ihn tropfte immer noch – hoffte er – Farbe von dem Spinnenzeichen herab.
  „Pass auf. Alles ist noch voller freier Magie. Teufel haben hier gewütet."
  Rußflecken klebten an der anderen Wand. Immer noch knisterten Blitze auf ihr. Hier war ein Kampf. Zauberer gegen Teufel. Hohe Verluste mussten die Menschen hinnehmen. Vor ihnen lag eine verkohlte Leiche. Niemand hatte sie begraben. Keiner kümmerte sich, um sie nicht einmal auf die Seite haben sie den Leichnam geschoben. Das war Normal geworden, Menschen starben und Teufel lachten oder verhöhnten sie in ihren letzten Atemzügen. Einzig und alleine die Hand des armen Mannes - oder Frau er konnte das nicht mehr so genau feststellen - war noch zu erkennen. Eine rote Spinne, deren Hinterteil verbrannt war, zeichnete sich darauf ab. Dieser Ort hatte schon bessere Zeiten gesehen, die rote Spinne war hier das geringste Problem. Kein Mensch war auf den Straßen zu sehen. Die Fenster waren verschlossen, die Vorhänge zugezogen und die Balken geschlossen. Lothar stieg über die Leiche. Es roch nach verbranntem Fleisch. Bei dem Gedanken an das, was sich unter ihm befand, wurde ihm schlecht. Als er ein paar Schritte gegangen war, drehte er sich um. Die Brust des Toten war zerstochen, als hätte man zwei Pfeile hineingejagt und sie wieder herausgezogen.
  „Hörner, kein Zweifel", sagte Humboldt und nickte. „Das tun die Schwächereren, wenn man sie in die Ecke drängt. Ein qualvoller Tod."
  „Hat wohl nicht aufgepasst. Mir passiert sowas nicht, wirft ihnen einen Zauber ins Gesicht, wenn sie das versuchen. Fertig", erwiderte Hartwig und schüttelte den Kopf. „Der hätte nicht so sterben müssen."
  Etwas stimmte nicht. Der Tote wirkte frisch. So lange gab es die rote Spinne noch nicht. Natürlich hätte es nur Zufall sein können. Der Mann hätte hier schon Jahrhunderte lang liegen können und die Spinne einfach so tätowieren lassen können. Zufall war schön und gut, aber das Ganze wäre unwahrscheinlich. Fast schon unmöglich. Sie mussten auf der Hut sein. Die Häuser waren wie gemacht für einen Hinterhalt oder eine List. Glas knirscht unter seinem Stiefel. Eine Spur aus feinen Glassplittern ging von der Leiche aus. Die anderen schienen ihr auch zu folgen. Unmittelbar vor einem Stapel Kisten endete sie. Der Mann wurde beim Kistenschleppen überrascht. Nur von was? „Passt auf", sagte er und zeigte auf den Stapel vor ihnen bei der Hausecke. Hartwig ging vor. Zückte seinen Zauberstab. Er war vorbereitet. Unerschütterlich ging er voran. Sein Zauberstab schien die Kisten fast zu berühren. Feuer bildete einen kleinen Strahl. Drohte Gefahr, würde er ein ganzes Inferno loslassen. Ihm konnte so etwas nicht passieren, er würde nicht, wie die verkohle Leiche enden. Der Stapel wird umgestoßen. Ein Teufelchen stürmt heraus – mit den Hörnern voran. „Lasst mich in Ruhe", brüllt es und zielt auf seine Brust. Hartwig feuert. Ein Flammenstrahl züngelt am Teufelchen vorbei. Es dreht ab. Sein Bein. Es hat ihn erwischt. Blut färbt seine Hose rot. Das verzieht sich. Hartwig stürzt zu Boden. Sein Zauberstab rollt weg. Humboldt rennt auf ihn zu. Stützt ihn. Eine lange Wunde klafft auf seiner Wade. Aufgeschlitzt wie einen Hund hat es ihn. Das Teufelchen dreht sich herum, grinst. Es kommt zurück! Direkt rennt es auf den verletzten Hartwig zu. So viel zu man solle es in Ruhe lassen, aber selber streit suchen. Lothar zückt seine Flöte. So leicht würde er es ihm nicht machen. Er war jetzt sein Gegner. „Hier du Scheusal", brüllt er und hält seine Flöte wie einen Zauberstab. Er hat die Formel genau im Kopf. Zahl für Zahl, Symbol für Symbol geht er es durch. Letztens hatte er nicht hart genug daran geglaubt. Das Teufelchen kommt immer näher. Zu Nahe. Lothar springt zur Seite. Gerade noch rechtzeitig. Zwei spitze Hörner rasen an ihm vorbei und gehen ins leere. „Nicht fair", protestiert es und nimmt neuen Anlauf. „Halt still, du Wicht! Sonst treff ich nicht."
  Wie er diese Reime mittlerweile hasste. Sie konnten auch einfach nicht ihren Mund halten und schweigen. Immer mussten sie sich aufspielen. Damit war jetzt Schluss. Lothar setzte die Flöte an die Lippen und spielt. Wie Donnerhall klingt die Musik, als würde der Himmel selbst über ihnen einstürzen und diesen kleinen Teufel zerquetschen. Der Himmel verdunkelt sich. Die Hörner rennen weiterhin auf ihn zu. Bald haben sie ihn erreicht. Warum funktioniert es nicht? Blitze. Er brauchte jetzt Blitze. Panik stieg in ihm auf. Sein Kopf war wie leergefegt. Er hatte die Formel vergessen. Das durfte nicht sein. Grad eben wusste er sie noch. Er musste ausweichen. Fast spürte er schon seinen Atem und noch viel schlimmer seine Hörner. Einen Arm war er von ihn entfernt. Er konnte nicht mehr ausweichen. „Hab dich, Tönespucker", höhnte es ihn und wollte zustoßen. Donnergrollen. Vor ihm schlägt der Blitz ein. Der Flötenteufel steht vor ihm. Immer noch trägt er die Verkleidung des Händlers. Er versucht nicht mal seine langen Hörner zu verdecken und unter dem Hut zu verstecken. Spitze Zähne blitzen bei seinem Grinsen auf. Unter ihm qualmt es. Asche hatte sich unter ihm verteilt. Der Kopf des Teufelchens wurde unter seinen Füßen zerdrückt, als wäre er aus Butter. Flämmchen züngelten noch auf dem verkohlten Leib des Teufelchens. Er schabt das Blut von seinen Stiefeln, als wäre er in etwas sehr Ekelhaftes gestiegen. „Es reicht. Das Spiel ist vorbei. Mir die Freiheit zu stehlen ist eine Sache. Meine Magie zu stehlen eine andere. Dafür wirst du qualvoll sterben, verfluchter Dieb", sagte der Teufel, nachdem er fertig damit war das Teufelchen von seinem Absatz zu kratzen. Er reimte nicht. Auf einmal sprach er ganz normal, für ihn war alles, die ganze Zeit über nichts anderes als ein Spiel. All die Toten, all das Leid was er über sie gebracht hat. Nichts als ein grausames Spiel. So waren sie, arrogant, selbstgefällig und stolz. Die Götter mögen sie strafen für ihre Taten. Es gab keine Gerechtigkeit auf der Welt mehr. Darum musste er kämpfen. Der Himmel öffnete sich. Kirchenglocken läuteten in der Ferne. Der Teufel machte einen Schritt. Mit einem Schlag war er voll bei der Sache. Seine Muskeln waren gespannt, seine Reflexe scharf und sein Geist klar. Lothar setzt die Flöte an die Lippen und zauberte. Flammen loderten auf der Flöte auf. Es klappte. Die Musik nährte das Feuer, größer und immer größer wuchsen die Flammen. Ein ausgewachsener Feuerball rotierte auf der Flötenspitze. Er konnte tatsächlich zaubern. Auch die Musik klang feurig. Schnelle und kurze Töne ahmten das Knacken von Feuer nach. Seine Brust kribbelte. Es war ganz schön atemraubend, aber er spielte weiter. Größer und größer wurde der Feuerball mit jeder Note. Dabei hatte er nur einmal an die Formel gedacht. Weitere Symbole, Zahlen und Ziffern entstanden in seinen Gedanken ganz von selbst. Die meisten davon kannte er gar nicht. Es war, als ob die Flöte und die Musik die Gleichungen von selber aufstellten, an die er dachte. Der Teufel war stehen geblieben und hob die Hand. „Bemüh dich nicht. Meine Magie macht was ich will." Mit einem Wink erlosch die Flamme. Keinen Ton brachte er mehr aus der Flöte. So sehr er auf hinein pustete, nichts kam auf der andern Seite heraus. Der Teufel ballte eine Faust. Fell sprießt aus seiner Handfläche. Seine Finger dehnen sich und werden spitzer. Scharfe Krallen treten an die Stelle von Fingernägeln. Er veränderte die Form seiner Hand zu einer Kralle. Grüne Flüssigkeit klebt an seinen den Nägeln. Eine Fliege wagte es, darauf zu landen. Ein leises Zischen war zu hören. Grüner Dampf stieg von ihr auf. Tot fiel sie auf den Boden. Gift. Er würde ihn bei lebendigem Leib zerreißen und dann zusehen, wie er qualvoll an dem Gift und den Wunden starb.

Das Gift der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt