Rosi wacht auf, ihre Augenlider schwer wie Blei. Die Müdigkeit hängt wie ein dicker Nebel über ihr, und sie kann ihre Gliedmaßen kaum bewegen. Jeder Muskel in ihrem Körper protestiert, als sie sich aus dem Bett schält und in ihre Kleidung schlüpft. Während sie sich anzieht, scrollt sie auf ihrem Handy durch die neuesten Nachrichten über die vermissten Personen in ihrer Stadt. Die beunruhigenden Berichte machen es ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Bilder und Namen der Vermissten flimmern vor ihren Augen, und ein kalter Schauer läuft ihr über den Rücken.(Wohin sind sie nur verschwunden? Wurden sie vergewaltigt, getötet, geklaut und illegal verkauft?) Denkt sie sich und knabbert an ihrer Unterlippe. Die Welt ist böse und Menschen wollen immer Geld, Macht oder Sex, kaum vorstellbar was mit den Mädchen passiert sein könnte. Völlig in Gedanken versunken streicht Sie sich durch ihr weiches, langes, Haar. Plötzlich hört sie ein rumpelndes Geräusch aus der Küche. Ihr Herz setzt einen Schlag aus. Rosalins Mutter ist an der Arbeit, das weiß sie genau. Sie sollte eigentlich allein im Haus sein. Panik breitet sich in ihr aus, und sie schluckt schwer während das dumpfe Klatschen ihres Herzens den Hals lang schallt. Langsam schleicht sie die Treppen hinunter, jeder Schritt fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Ihre Sinne sind geschärft, und das Adrenalin pumpt durch ihre Adern. Durch das Geländer erhascht sie einen Blick in die Küche. Kurz ist es still, und Rosi hält den Atem an. Plötzlich wummert es heftig auf, als wäre etwas sehr Schweres umgefallen. Rosi zuckt zusammen und ein Schrei erstickt in ihrer Kehle. Ihre Hände zittern. Ihr Herz schlägt wild in ihrer Brust, als sie versucht, mit gekniffenen Augen eine Silhouette hinter der Tür zu erkennen. Ihre Pupillen wandern hektisch über die Szenerie, bis sie eine Bewegung wahrnimmt. Eine weiße Katze schießt aus der Küchentür und jagt einer kleinen Maus hinterher. Die Maus wendet blitzschnell und flitzt zurück in die Küche, die Katze dicht auf den Fersen. Beide Tiere verschwinden durch das offene Fenster und hinterlassen eine gespenstische Stille.
Rosalin lehnt sich schwer gegen die Wand und atmet tief durch, um ihr wild klopfendes Herz zu beruhigen. Die Anspannung fällt langsam von ihr ab, doch die Angst, die sie in diesen Momenten durchlebt hat, bleibt tief in ihr verankert. Erleichtert atmet sie auf, als ihr Handy klingelt. Der schrille Ton lässt sie erneut zusammenzucken. Es ist Mia. „Hey, willst du heute gemeinsam zur Schule gehen?", fragt sie fröhlich. Rosalin überlegt und will gerade zustimmen, als eine Nachricht von Noah auf dem Bildschirm aufleuchtet. „Komm, lass uns zusammen zur Schule gehen. Ich hol dich ab". Sie beißt sich auf die Lippe "Hallo, Erde an Rosalin? Bist du eingeschlafen?" "Nein... Alles gut" schüttelt sie überlegen den Kopf um dann Mia abzusagen und Noah zuzusagen. Nicht, weil sie auf Noha steht, auf keinen Fall! Sondern, weil sie seine plötzliche Aufmerksamkeit verdächtig findet. Immerhin hat er einfach so ihre Nummer. Sie will wissen, woher er sie hat. Ein Fahrrad quietscht vor dem Haus. Noah steht mit einem breiten Grinsen vor ihr, auf einem alten, rostigen Rad, was schon droht auseinanderzufallen. Rosi verdreht die Augen. „Das nennt er zusammen zur Schule gehen?", murmelt sie leise zu sich selbst.„Guten Morgen, Schönheit!", ruft er und hält ihr einen Helm hin. Sie zögert kurz, nimmt ihn dann aber an. „Danke", zischt sie genervt, setzt den Helm auf und steigt auf den Gepäckträger. Sie hält sich an Nohas Hüften umklammert, während er in die Pedale tritt. Noah macht ihr ständig Komplimente, was sie fast zum Brechen bringt. „Du hast heute echt schönes Haar", sagt er, ohne sich umzudrehen. Rosalin ist genervt und flüstert: „Danke." Die meiste Zeit verläuft zum Glück weitgehend schweigend. Noah stellt nur oberflächliche Fragen. „Wie hast du geschlafen?" und „Freust du dich auf den Schultag?". Rosi gibt einsilbige Antworten, immer noch misstrauisch. Zögerlich bleibt er am Rand eines Waldes zum Stehen, und sie runzelt die Stirn. (Warum hält er an?), fragt sie sich. Anstatt weiterzufahren, betätigt Noah den Fahrradständer, steigt ab und geht wortlos in den dichten Wald. (Was hat er nur vor?) schielt sie ihm hinterher. Rosalin lässt die kühle Morgenluft frösteln, und ein unangenehmes Gefühl beschleicht sie. (Hat er etwa was mit den verschwundenen Mädchen zu tun?) denkt sie und spürt, wie sich Panik in ihr ausbreitet. Immer wieder versucht sie mit ihren Augen einen Blick auf ihn zu erhaschen, doch sie kann nichts sehen, die Äste und Büsche sind zu dicht. Um sie herum ertönen die ständigen Geräusche des Waldes. Vögel zwitschern, Blätter rascheln im Wind, und irgendwo knackt ein Ast. Jeder kleine Laut versetzt ihr einen Schauer über den Rücken. Ihr Herz schlägt schneller, und sie kann die wachsende Angst kaum unterdrücken. (Soll ich einfach mit dem Fahrrad losfahren?) erstarrt ihr Blick auf den Lenker. Wie in Trance kehrt Stille ein. (Was ist, wenn ich zu lange überlege, er könnte mich jederzeit schnappen!) völlig in Gedanken versunken, schreckt sie auf als sie eine Silhouette hinter den Büschen bemerkt die sich langsam zu ihr bewegt. Nach geraumer Zeit kommt Noah endlich aus dem Wald zurück. Rosis Augen weiten sich vor Angst, als sie bemerkt, dass er etwas hinter seinem Rücken versteckt hält. Ihre Gedanken rasen. (Jetzt sterbe ich!) ein Tropfen nach dem anderen rinnt über ihre Stirn und sie starrt nur auf Noah, wie ein Reh in die Scheinwerfer. Sie ist kurz davor durchzudrehen und ihm die Meinung zu geigen, als er plötzlich, zitternd, einen selbst gepflückten Blumenstrauß hervorholt und ihn ihr hinhält. „Ich... ähm also", stammelt er und sieht sie mit großen, unsicheren Augen an. Rosalin ist wie erstarrt. Die Panik in ihr lässt nicht nach, sondern verändert sich, mit einem Hauch von Scham. „Ich... du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf, Rosalin", murmelt er, seine Stimme bricht fast dabei. Die Worte hallen in ihrem Kopf wider, und ihr wird schlecht. Sie fühlt nichts von dem, was er fühlt. Ohne nachzudenken, dreht sie sich um, steigt vom Fahrrad und rennt einfach weg, lässt Noah und den Wald hinter sich. Ihr Herz pocht, als sie die Schule erreicht, ihre Gedanken sind ein einziges Chaos. (Wie cringe will man sein?) denkt sie atemlos vor sich hin und versucht, die Geschehnisse zu verarbeiten. Die Blumen liegen irgendwo im Wald, vergessen und bedeutungslos, während Rosalin vor Angst und Verwirrung ihren Brechreiz zurückhalten muss. (Wie kommt er nur darauf, so etwas abzuziehen?) fragt sie sich und hält ihre Knie, während sie nach Luft ringt. Mia sieht sie, wie sie japsend nach Luft schnappt. Ihre blasse Haut und die weit aufgerissenen Augen lassen Mia das Schlimmste befürchten. Sie eilt sofort zu ihr, dicht gefolgt von Ben. „Rosi, was ist los?", fängt sie lauthals an, besorgt legt sie eine Hand auf Rosalins zitternde Schulter. Rosi schüttelt nur den Kopf und versucht, ihren Atem zu beruhigen. „Nichts. Ich will nicht darüber reden." Ihre großen Augen auf den Boden gerichtet. Ben beugt sich hinunter und versucht, hineinzusehen. „Komm schon. Du kannst uns alles erzählen." Doch Rosalin wehrt ab, genervt und angespannt schlägt sie die feucht, nasse Hand von ihrer Schulter. „Lasst mich einfach in Ruhe, verstanden! Ich will in die Klasse." Ihre Stimme ist schärfer als beabsichtigt, und Ben und Mia treten geschockt einen Schritt zurück. Im Unterricht angekommen, nehmen sie ihre Plätze ein. Noha's Platz bleibt leer, was Mia und Ben sofort bemerken. "Schau mal, wer wieder zu spät kommt" tuscheln beide amüsiert. "Irgendwann kriegt der einen fetten Schulverweis", "Ja zum Glück, dann müssen wir seinen Gestank nicht mehr ertragen". Während der Lehrer mit der Pi-Formel an der Tafel jongliert, geht die Tür auf, und Noah tritt ein. Sein Blick bleibt enttäuscht auf Rosalin gerichtet, während er langsam durch das Klassenzimmer schreitet. Der Lehrer schaut auf, deutlich genervt von der Unterbrechung. „Warum kommst du zu spät?" Noah zuckt gleichgültig mit den Schultern und wirft seinen Ranzen auf seinen Platz. „Hab verschlafen." Rosi atmet erleichtert auf, als sie merkt, dass der Lehrer sich mit dieser Antwort zufriedengibt. Nur sie und Noah wissen von dem schrecklichen Liebesgeständnis im Wald, und sie ist froh, dass es nicht zur Sprache kommt. Sie versucht, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, doch ihre Gedanken schweifen immer wieder ab. Er verhält sich seltsam, er schreibt nichts mit und chillt einfach zurückgelehnt in seinem Stuhl, als würde ihn nichts mehr interessieren. In der Pause an der Essensausgabe nähert er sich ihr. Sein Gesichtsausdruck ist eine Mischung aus Verwirrung und Ärger. „Warum bist du einfach so verschwunden?", zischt er leise, seine Stimme schneidend und fordernd. Rosi fühlt sich unwohl und weicht einen Schritt zurück. „Ich... ich." Beschämt kratzt sie sich am Nacken, während Noha fort fährt. "Weißt du wie dumm ich mir vorgekommen bin? Du hättest auch irgendwas sagen können", "und du hättest mich vorwarnen können wie cringe du bist", "CRINGE!" brüllt er fast zurück und einige Blicke richten sich auf die zwei, er stellt einen Gang zurück und flüstert wieder. "Was war daran bitteschön cringe?" sie zuckt mit den Schultern und dreht sich wieder weg. Noah fühlt sich gepeinigt, forsch packt er ihr an die Schulter und dreht sie wieder zu sich um. Zischend, fast spuckend, fährt er fort. "Willst du mich eigentlich verarschen?" Ben, der die Szene aus der Ferne beobachtet hat, bemerkt Rosalins Anspannung und tritt sofort näher. Er stellt sich schützend zwischen Rosi und Noha. „Gibts ein Problem?", fragt er lässig und funkelt Noah an. Noah grinst genervt zurück und seine Fäuste ballen sich leicht. „Das geht dich gar nichts an." "Doch, lass Rosi in ruhe, verstanden?" Noah schaut kurz zur Decke und atmet tief durch. "Hör mal zu, du Pisser!", bohrt er ihm seinen Finger in die Brust. "Misch dich nicht ständig und überall ein, das kotzt mich an!". Ben schaut auf seinen Finger und danach wieder zu ihm. "Ach ja? Was willst du tun?" Lacht er, die Situation eskaliert. Noah schubst Ben auf den Boden, dieser steht auf und reagiert sofort mit einem kräftigen Stoß zurück. Die Spannung knistert in der Luft, als die beiden beginnen, sich gegenseitig zu schubsen, bis schließlich die ersten Fäuste fliegen. Die umstehenden Schüler bilden einen Kreis und starren gespannt auf die Auseinandersetzung. Mia, die die Szene beobachtet hat, eilt herbei und versucht dazwischen zu gehen. „Hört auf! Ihr benehmt euch wie Kinder!" Doch in dem Gerangel trifft Noah sie ins Gesicht. Mia schreit auf und hält sich das Auge, das sofort zu schwellen beginnt. "Mia!" Schreit Rosalin, rennt herbei und nimmt sie sofort in den Arm. Ein Lehrer, angelockt vom Tumult, kommt geeilt und trennt die Streithähne. „Was ist hier los?" Er blickt auf die Streithähne und das verletzte Mädchen. "Alle vier, ab zum Direktor!", ruft er mit autoritärer Stimme und schwingt den Finger Richtung Sekretariat. Im Büro des Direktors sitzen die vier in einer Reihe. Der Direktor, ein älterer Mann mit strengen Augen und grauem Haar, blickt wütend über seine Brille. „Ich will wissen, was hier passiert ist." Niemand spricht. Die Stille ist bedrückend, und die Uhr an der Wand tickt unbarmherzig laut. Mia hält sich einen Kühlakku an ihr blaues Auge und starrt stur auf den Boden. Der Direktor seufzt schwer und massiert sich die Schläfen. „Gut, wenn keiner reden will, bekommt ihr alle eine Woche Nachsitzen." "Eine Woche?" Beugt sich Ben schockiert nach vorne. "Allerdings, überlegt euch vorher, mit wem ihr euch anlegt, und jetzt raus!", entgegnet der Direktor schroff. Die vier verlassen das Büro schweigend. Die Anspannung ist förmlich greifbar, und Rosi fühlt sich elend. Sie weiß, dass die kommenden Tage nicht einfacher werden.
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Shut Up
Mystery / ThrillerRosalin, kurz Rosi genannt, führt ein gewöhnliches Teenagerleben, das aus Freundschaften, Partys und der Schule besteht. Eines Tages auf dem Weg zur Abschlussfeier wird das Auto, in dem sie mit ihren Freunden sitzt, von der Straße gedrängt, und Rosi...