Danke

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Als Tarek endlich den Raum betritt, ist es bereits Mittag. Er trägt eine Schüssel mit Erdbeeren und Sahne in der einen Hand, und sein Lächeln wirkt fast besitzergreifend. „Gut geschlafen?“ fragt er, und Rosi nickt nur stumm. Ihre Augen sind immer noch schwer vom Schlaf, und sie hat Mühe, den Moment zu erfassen. Tarek reicht ihr die Schüssel und sagt, mit einem leichten Spott in der Stimme: „Diesmal ohne Besteck, Mäuschen.“ Sein Lächeln wird breiter, als er eine kleine Packung Baldrian auf das Bett wirft. „Ich war heute unterwegs“, erklärt er, „du hast recht, hier vereinsamst du total. Deshalb habe ich dir den hier besorgt.“ Mit einer eleganten Bewegung verlässt er kurz den Raum und kehrt dann zurück, einen riesigen Fernseher vor sich herschiebend. „Schau mal, wie viele Kanäle“, murmelt er, während er sich umdreht und durch die Programme swipet, ohne Rosalin direkt anzusehen. Rosi beobachtet ihn mit einem tiefen Gefühl der Resignation. Die Erdbeeren in der Schüssel bleiben unangetastet. „Lass mich doch frei, dann bin ich nicht mehr einsam“, bittet sie leise, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Tarek hört auf, durch die Kanäle zu blättern, dreht sich langsam um und schaut sie an. „Das kann ich nicht“, antwortet er knapp, seine Stimme plötzlich hart. Rosi schüttelt den Kopf, ein verzweifeltes Zittern in ihrer Bewegung. „Warum?“ Tarek tritt näher, sein Blick durchdringend. Er greift nach ihrem kleinen Kinn, zieht ihren Kopf zu sich hoch und flüstert ihr ins Ohr: „Weil du mein Mäuschen bist.“ Rosis Augen füllen sich mit Tränen, eine davon entkommt und rollt langsam ihre Wange hinunter. „Bitte, lass mich gehen“, fleht sie erneut, ihre Stimme bricht unter dem Druck der Angst und Verzweiflung. Doch Tarek bleibt unbeeindruckt. „Nein!“, schnaubt er, und als sie noch einmal bittet, schreit er plötzlich auf, seine Stimme hallt durch den Raum: „Nein! Nein! Nein!“ In einem plötzlichen Anfall von Wut reißt er die Fernbedienung hoch und schleudert sie mit solcher Kraft gegen den Fernseher, dass das Glas krachend zersplittert und in tausend Teile auf den Boden fällt. Ohne ein weiteres Wort verlässt er den Raum, die Tür fällt krachend ins Schloss. Rosi bleibt zurück, von den Ereignissen überwältigt. Ihr Körper zittert, die Erdbeeren sind vergessen, und ihre Gedanken kreisen unaufhörlich um die Aussichtslosigkeit ihrer Lage. Sie starrt auf den kaputten Fernseher, der jetzt nur noch ein weiteres Symbol für ihre zerbrochene Freiheit ist. „Werde ich jemals hier hinauskommen?“, fragt sie sich verzweifelt, während Tränen leise über ihre Wangen rollen. Die Nacht zieht sich endlos hin, und Rosi schläft kaum. Als der Morgen endlich dämmert, kehrt Tarek zurück, als wäre nichts geschehen. „Ich habe bei denen angerufen und gesagt, der Fernseher sei kaputt geliefert worden. Sie haben es eingesehen und holen ihn ab. Heute Abend bekommst du einen neuen.“ Seine Stimme klingt sachlich, fast gleichgültig, während er den kaputten Fernseher aus dem Zimmer schiebt. Rosi schaut ihm nach, und als er fast aus der Tür ist, ruft sie ihm hinterher: „Ich hab’ Durst! Ich habe seit gestern nichts getrunken!“ Doch ihre Worte verhallen ungehört, als Tarek die Tür hinter sich schließt, sie wieder einmal allein zurücklassen. Die Einsamkeit ist wie ein unerträglicher Schmerz, der sich in ihrer Brust ausbreitet. Ihr Hals fühlt sich trocken an, so trocken, dass sie die Borsten auf ihrer Zunge spürt. Sie lehnt sich zurück, ihre Augen schmerzen von den nicht geweinten Tränen, die noch in ihr brennen. „Wie lange noch?“, fragt sie sich, während die Stille des Raumes sich über sie senkt wie ein schwerer Mantel. Nun sehen die Erdbeeren doch sehr verlockend aus, das Wasser in ihnen stoppt für einen kurzen Moment Rosalins unerträglichen Durst.  Sie versucht, die Trockenheit in ihrem Mund zu ignorieren, aber sie wird immer präsenter, als würde sie jede Sekunde an ihr nagen. Das Gefühl der Verlassenheit, das ihr Herz umklammert, wird zu einer unaufhaltsamen Last. Sie denkt an die Welt draußen, an die Menschen, die sie vielleicht jetzt gerade suchen, und an die, die sie längst aufgegeben haben könnten. Ihre Gedanken schweifen ab, verlieren sich in einer trüben Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung. Sie spürt, wie der Krieg in ihrem Kopf tobt. Ein Teil von ihr will kämpfen, will überleben, doch ein anderer Teil ist müde, so unendlich müde. „Vielleicht ist es einfacher, aufzugeben“, flüstert eine leise Stimme in ihrem Inneren. Doch dann schüttelt sie den Kopf, als würde sie damit die Gedanken verscheuchen. Rosi will nicht aufgeben, aber die Dunkelheit um sie herum scheint unerbittlich. Als der Tag sich dem Ende zuneigt, sind ihre Lippen schließlich so trocken und rissig wie Schmirgelpapier, ihre Kehle schmerzt bei jedem Atemzug. Die Angst vor dem Verdursten mischt sich mit der bereits allgegenwärtigen Einsamkeit, und zusammen formen sie eine unerträgliche Qual. Rosalin weiß, dass sie irgendwie durchhalten muss, aber in diesem Moment fühlt es sich wie ein endloser Tunnel an, ohne Licht am Ende. Das Mädchen kann nichts tun, außer warten. Warten auf Tarek, auf ein Zeichen, auf irgendetwas, das ihr sagt, dass dieser Albtraum ein Ende haben wird. Doch das Einzige, was sie hört, ist das leise Ticken der Uhr, das ihren Verstand quält und sie daran erinnert, wie langsam die Zeit vergeht. Die Verzweiflung kriecht in jede Faser ihres Körpers, und sie fragt sich immer wieder: „Wie viel länger kann ich das noch ertragen?“ Die Nacht bricht herein, und Rosi fühlt sich, als würde sie in der Dunkelheit ertrinken. Ihr Körper sehnt sich nach Wasser, nach Freiheit, nach Leben. Doch alles, was ihr bleibt, ist die Leere des Raumes, die sie unerbittlich umgibt und ihr jegliche Hoffnung raubt.

Shut UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt