#Leseratte

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Rosalin zuckt zusammen, als das Buch ihren Kopf trifft. Der Schmerz ist stechend, doch das ist es nicht, was ihr Angst macht. Es ist Tareks Stimme flach, tonlos, bedrohlich, die sie wie ein Messer durchschneidet. „Aufstehen!“, zischt er, während er sich in einer hockenden, fast tierhaften Haltung neben ihr niederlässt. Seine Augen starren in die Leere, als würde er in eine andere Welt blicken. Seine Präsenz ist bedrückend, wie die eines Raubtieres, das mit seinen Gedanken spielt, bevor es zuschlägt. Rosalin hebt vorsichtig den Kopf. Sie erhascht einen Blick auf das Buchcover: *Moby Dick*. Ein absurdes Buch in dieser Hölle. „Verdien dir deinen Lesestoff“, sagt er leise, und seine Worte klingen wie ein Versprechen und eine Drohung zugleich. „Heute darfst du lesen, weil du mir so gut geholfen hast. Die anderen Tage musst du es dir verdienen.“ (Verdienen?) denkt Rosalin, während sie das Buch anstarrt. (Wie meint er das?) Ihre Finger umklammern das Buch fester, doch sie fühlt nur kalte Wut. *Moby Dick*. (Wirklich? So ein alter Schmöker). „Sowas lese ich doch nicht“, murmelt sie und schleudert das Buch weg, ihre Verzweiflung in der Geste gebündelt. Doch Tarek reagiert schneller, als sie es erwartet. Mit einer plötzlichen Bewegung steht er auf und schlägt ihr ins Gesicht. Der Schmerz explodiert in ihrem Schädel, und sie schmeckt Blut auf ihrer Zunge. „Sei nicht so respektlos“, zischt er, während das Buch quer durch den Raum fliegt und mit einem dumpfen Geräusch gegen die Wand prallt. Er dreht sich abrupt um und verschwindet, die Tür krachend hinter sich zuziehen. Rosalin presst ihre Hände gegen ihre Wangen, während ihr Kopf gegen die Wand lehnt. Sie spürt, wie Wut und Verzweiflung in ihr aufsteigen, ein gefährlicher Cocktail, der ihre Gedanken verwirrt. (Warum bringt er mir so eine alte Schwarte?) fragt sie sich. (Und was meint er mit „verdienen“?) Ihre Finger graben sich in die raue Bettdecke, während sie mit dem Kopf leicht gegen die Wand schlägt, um den Schmerz zu unterdrücken. (Ich wollte doch nicht mal lesen!) schreit es in ihr. "So ein Scheiß!" Doch dann, ein leises Klopfen an der Tür. Rosi zuckt zusammen und ihr Atem stockt, als die Tür sich langsam öffnet. Ein Mann tritt ein, den sie noch nie zuvor gesehen hat. Ihre Muskeln spannen sich an, und ohne zu überlegen, drückt sie sich in die Ecke des Zimmers. „Wehe, du packst mich an!“, schreit sie, ihre Stimme zittert vor Angst und Wut. Der Mann hebt beschwichtigend die Hände. „Nein, ich bringe dir dein Essen“, sagt er lässig und stellt mit einer fast gleichgültigen Haltung. Ein Teller und eine Flasche Wasser auf den Tisch, vor sie, doch sie kann ihren Blick nicht von ihm lösen. „Tarek will dich grad nicht sehen“, fügt er hinzu, während er nonchalant die Flasche öffnet. „Du nervst ihn.“ Rosalins Augen weiten sich vor Unglauben, und sie starrt den Mann mit offenem Mund an. „Ich nerve ihn? Ich?“ Ihre Stimme ist kaum zu kontrollieren, ein raues Krächzen. „Er hat mich entführt und hier eingesperrt!“ Doch bevor sie weitersprechen kann, stürmt Tarek wieder in den Raum. Sein Gesicht ist verzerrt vor Wut, und ehe Rosalin realisieren kann, was passiert, trifft seine Faust ihr Gesicht. Der Aufprall ist brutal, und ein stechender Schmerz schießt durch ihren Kiefer, als sie spürt, wie ein Zahn aus ihrem Mund geschlagen wird. Sie schmeckt das Blut, spürt den metallischen Geschmack, während ihre Zunge gegen die leere Stelle in ihrem Mund drückt. Bevor sie auch nur schreien kann, greift Tarek sie am Hals, seine Finger bohren sich tief in ihre Haut. „Halts Maul“, knurrt er gefährlich nah an ihrem Gesicht. „Du gehörst jetzt mir. Gewöhn dich dran und nerv mich nicht“. Rosalin hebt schützend die Arme vor ihr Gesicht, ihre Augen gefüllt mit Tränen. Sie fühlt, wie die Verzweiflung sie übermannt, doch sie weiß, dass sie jetzt still sein muss. Sie darf nicht weiter provozieren. Ihr Atem geht stoßweise, als Tarek sie endlich loslässt und sich aufrichtet. Mit einem letzten, abfälligen Blick verlässt er zusammen mit dem anderen Mann den Raum und schließt die Tür hinter sich. Die Stille danach ist ohrenbetäubend. Rosalin liegt auf dem kalten Boden, zusammengerollt in einer Ecke, und schüttelt sich in lautlosen Schluchzern. Der Schmerz pulsiert durch ihren Kiefer und ihren Hals, doch das ist nichts im Vergleich zu dem Gefühl der totalen Ohnmacht, das sie jetzt ergreift. (Was war das?) fragt sie sich immer wieder. Ihr Verstand versucht, das Chaos zu ordnen, doch es gelingt ihr nicht. (Sind sie nur zu zweit?) Dieser Gedanke bohrt sich in ihren Kopf. (Wie viele sind hier noch? Verkauft er das hier alles?) Die Vorstellung ist so grausam, dass sie sie kaum ertragen kann. Sie fühlt, wie ihre Panik sie zu überwältigen droht, aber sie weiß, dass sie ruhig bleiben muss. Irgendwie.

Shut UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt