Das perfide Spiel

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Rosi verbringt eine unruhige Nacht, von Albträumen geplagt. Sie schreckt immer wieder hoch, das monotone Ticken einer unsichtbaren Uhr, das einzige Geräusch, das die Stille durchbricht. Als der Morgen graut, liegt sie wach in ihrem Bett, die Augen weit aufgerissen, ihre Gedanken wie ein wirrer Sturm. Dann hört sie das leise Knarren der Tür. Der Entführer tritt ein, sein Gesicht wieder hinter der Maske verborgen. Sein Gang ist ruhig, fast bedächtig, als wäre er ein Arzt, der sich um eine kranke Patientin kümmert. „Guten Morgen“, sagt er sanft, beinahe freundlich, als würde er sich um ihr Wohl sorgen. „Es ist Zeit zu essen.“ Vor ihr stellt er ein Tablett mit dampfendem Essen ab. Doch Rosi weicht zurück, als ob das Tablett Gift enthalten könnte. Ihr Magen knurrt laut, aber sie bleibt standhaft. Der Mann setzt sich auf den Stuhl neben dem Bett und beobachtet sie aufmerksam. „Du musst essen, Rosalin“, drängt er mit sanfter Stimme. „Du brauchst Kraft.“ Er zieht die Maske ab und offenbart sein Gesicht. Rosi erstarrt. Vor ihr sitzt ein Mann, den sie nie erwartet hätte. Sein maskulines Gesicht trägt einen leichten Bart, seine Lippen sind voll und seine Zähne strahlend weiß. Er ist groß, gut gebaut, seine Augen faszinierend tief. Sie schätzt ihn auf etwa 28 bis 30 Jahre. Für einen Moment ist sie gefangen von seiner unerwarteten Attraktivität, doch der Ekel und die Angst kehren schnell zurück. Um ihre Skepsis zu vertreiben, nimmt der Type eine Gabel und sticht in das Essen. „Siehst du?“, sagt er, während er ein Stück davon isst. „Nicht vergiftet.“ Er schiebt das Tablett näher zu ihr hin. Zögernd beginnt Rosi die Kabel in die Hand zu nehmen und zitternd ein Stück zu essen, immer noch misstrauisch, aber der Hunger ist zu stark. Der Mann sieht ihr dabei zu, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. „Schmeckt es?“, fragt er. Rosi nickt stumm, zu sehr damit beschäftigt, ihren Ekel zu überwinden, aber das Gericht schmeckt wirklich sehr gut. Diesmal ist es eine Lasagne. „Das will ich auch meinen, ich habe es selbst gekocht“, sagt er mit einem charmanten Lächeln, als ob sie bei einem normalen Dinner wären. Er nimmt den leeren Teller und steht auf, um den Raum zu verlassen. Kurz bevor er die Tür erreicht, ruft Rosi ihm nach: „Warum tust du das?“ Doch er bleibt stumm, die Tür schließt sich und lässt sie wieder in der bedrückenden Stille zurück. Die Stunden vergehen weiter. Rosi sitzt auf dem Bett, ihre Gedanken kreisen um ihre Mutter und ihre Freunde. Was machen sie gerade? Welche Qualen müssen sie durchstehen, ohne zu wissen, was mit ihr geschehen ist? Sie versucht, sich an die schöne Zeit vor diesem Albtraum zu erinnern, aber die Bilder verblassen und die Realität ihrer Gefangenschaft drängt sich unaufhaltsam in den Vordergrund. Die Tür öffnet sich erneut. Er tritt ein, diesmal ohne Maske und einem Brettspiel unter dem Arm. „Die Maske“, atmet er tief durch, "brauche ich ja nun nicht mehr“, und legt „Mensch ärgere dich nicht“ auf den Tisch. Rosi starrt ihn ungläubig an. Will er wirklich mit ihr spielen? Sie hasst ihn, verachtet ihn für seine perfide Höflichkeit und seine erschreckende Normalität in diesem Wahnsinn. „Setz dich“, sagt er mit einem kühlen Ton in der Stimme und zieht seine Waffe ein Stück aus dem Hosenbund. „Mach keine Probleme, dann haben wir eine schöne Zeit.“ Seine Augen sind kalt, die Drohung klar. Rosi gehorcht, setzt sich an den Tisch und beobachtet ihn aus den Augenwinkeln. Der Mann beginnt, die Spielfiguren aufzustellen, seine Bewegungen ruhig und kontrolliert. Sie beginnen zu spielen. Der Würfel klackert über das Brett, und das Spiel nimmt seinen Lauf. Es ist ein seltsames Gefühl, ein bizarrer Widerspruch zu ihrer Situation. Eine Stunde vergeht, in der beide schweigend spielen, ihre Gedanken nur bei der nächsten Bewegung. Das Mädchen gewinnt schließlich die Runde. Ein kleines Lächeln huscht über ihre Lippen, ein flüchtiger Moment der Normalität inmitten des Wahnsinns. Der Type mustert sie intensiv. „Du bist wunderschön, wenn du lächelst, weißt du das?“, flüstert er, lehnt sich langsam zu ihr rüber und streicht ihr sanft über die Wange. Rosi zuckt zusammen und dreht den Kopf weg, ihre Haut kribbelt dort, wo er sie berührt hat. Sie verschränkt die Arme vor der Brust, versucht, sich zu schützen vor dieser unerwünschten Intimität. In seinen Augen blitzt etwas auf, ein seltsames, unergründliches Funkeln, das sie nicht deuten kann. „Wir werden noch viel Zeit miteinander verbringen,“ sagt er leise, seine Stimme fast liebevoll. „Du wirst dich daran gewöhnen.“ Mit diesen Worten erhebt er sich, greift nach dem Spiel und verlässt den Raum, die Tür schließt sich hinter ihm mit einem dumpfen Geräusch. Rosis Herz rast. Ihre Situation scheint hoffnungslos, die Grenzen zwischen Realität und Wahnsinn verschwimmen. Sie starrt auf den Tisch, wo vor wenigen Minuten noch das Spielbrett stand, und fühlt sich wie eine Spielfigur in einem grausamen Spiel, das sie nicht versteht. Die Worte von ihm hallen in ihrem Kopf wider: „Du wirst dich daran gewöhnen.“ Aber sie weiß, dass sie das niemals tun wird. Nicht viel später öffnet sich die Tür ein drittes Mal und der Täter tritt erneut, ungebeten, ein. In seiner Hand hält er einen Stift und ein Blatt Papier, seine Mine ist undurchdringlich. Er nähert sich ihr langsam, die Pistole steckt locker im Hosenbund, gut sichtbar. "Schreib auf", befiehlt er und legt das Papier auf den Tisch. Rosi sieht ihn hasserfüllt an, Tränen sammeln sich in ihren Augen. "Mama, es tut mir leid", beginnt er, seine Stimme eiskalt, "der Unfall hat mir gezeigt, wie schnell es vorbei sein kann. Ich möchte mein Leben anfangen zu leben und bin daher, nachdem ich den Rettungswagen gerufen habe, geflohen, um auszuwandern. Bitte suche nicht nach mir, akzeptiere es einfach." Rosi schluckt hart. Ihre Kehle fühlt sich trocken und rau an, als sie die Worte hört. Sie will nicht schreiben, weigert sich, diese Lüge auf Papier zu bringen. Ihre Hände zittern, als sie den Stift nimmt, doch sie schafft es nicht, ihn zu bewegen. Plötzlich zieht der Mann die Pistole hervor und richtet sie auf sie. Seine Augen sind kalt, sein Gesicht ausdruckslos. „Schreib jetzt“, zischt er, „oder sie werden nach dir suchen. Und ich kann deinen Tod so aussehen lassen, als hätte dich ein wildes Tier zerfleischt. Also schreib!“ Seine Worte sind wie kalte Nadeln, die sich in ihre Haut bohren. Sie weiß, dass er es ernst meint, dass er bereit ist, alles zu tun, um seinen Willen durchzusetzen. Mit dem unbehaglichen Gefühl beginnt sie zu schreiben. Sie bemüht sich, ihre Handschrift zu verändern, sie unkenntlich zu machen, in der Hoffnung, dass ihre Mutter erkennt, dass etwas nicht stimmt. Während sie schreibt, rinnen Tränen über ihre Wangen, langsam bilden sich rote Streifen auf ihnen von dem ganzen salzigen Wasser. Ihre Gedanken überschlagen sich, jeder Satz fühlt sich an wie ein Verrat an ihrer eigenen Hoffnung. Als sie die letzten Worte schreibt, durchfährt sie ein Schauer des Ekels und der Angst. Sie weiß, dass dieser Brief das Letzte sein könnte, was ihre Mutter je von ihr hört. Sie legt den Stift nieder und blickt auf. Der Entführer nimmt den Brief, liest ihn sorgfältig durch und nickt zufrieden. „Gut gemacht“, sagt er kühl, während er das Papier zusammenfaltet. „Jetzt wird es einfacher.“ Er dreht um, "wie heißt du?", fragt sie schnell, "Tarek", erwidert er mit einem kurzen Schulterblick und Rosi bleibt zurück, allein mit ihren Gedanken und ihrer Angst. Die Worte von ihm hallen in ihrem Kopf wider: „Ich habe den Rettungswagen gerufen.“ Bedeutet das, dass Mia und Ben überlebt haben? Diese vage Hoffnung klammert sich an ihr Herz, gibt ihr einen winzigen Funken Trost. Sie stellt sich vor, wie sie ein normales Leben führen, frei von der Hölle, in der sie gefangen ist. Doch dieser Gedanke bringt auch Schmerz mit sich, die Gewissheit, dass sie hier festsitzt, in den Händen eines Psychopathen, der mit ihrem Leben spielt wie ein sadistisches Kind mit einem Spielzeug.

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