Fleischwolf

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Etwas Kaltes und Nasses trifft Rosalins Nase, und sie wacht langsam auf. Ihre Lider sind schwer und ihre Gedanken verschwommen, als sie Tareks trällernde Stimme hört. „Guten Morgen, kleines Mäuschen.“ Sein Ton ist unheilvoll fröhlich, und Rosalin blinzelt verwirrt. Sie hebt die Hand und wischt sich über die Nase, ihre Fingerspitze ist feucht. Doch als sie darauf blickt, erstarrt sie. Rotes, zähflüssiges Blut schimmert auf ihrer Haut. Ihr Herz schlägt schneller, als sie ihre Wange berührt. Ihre ganze Hand ist blutverschmiert. Panik schleicht sich in ihre Gedanken, doch bevor sie den Schrecken voll begreifen kann, spricht Tarek weiter. „Du hattest recht“, sagt er in einem seltsam zufriedenen Tonfall. „Der Garten wurde vernachlässigt, und ich habe etwas Dünger geholt.“ Langsam dreht Rosalin ihren Kopf zu ihm um. Er steht dort, ein gruseliges Grinsen auf den Lippen, während er mit einem Fleischwolf hantiert. Das Kreischen von Metall auf Fleisch erfüllt den Raum. Ein kalter Schauer läuft ihr über den Rücken, als sie bemerkt, was er da zerkleinert. Er hebt etwas in die Luft, und ihr Magen zieht sich vor Ekel zusammen. Es ist ein Finger, aber nicht seiner. Der Finger einer Frau, geschmückt mit einem Ring, der funkelnd den Albtraum verstärkt. Ohne mit der Wimper zu zucken, zieht er den Ring mit seinen Zähnen ab, spuckt ihn in die Ecke und wirft den Finger in den Fleischwolf. „Sie waren zu nichts zu gebrauchen“, fährt Tarek fort, während er das blutige Gerät weiter bedient. Doch dann dreht er sich zu Rosalin um und schleicht langsam auf sie zu, seine Bewegungen ruhig und bedrohlich. „Aber als Dünger …“ Er hält kurz inne und mustert sie mit einer fast kindlichen Freude in den Augen. „... sind sie nahezu perfekt.“ Er bückt sich zu ihr hinunter und drückt ihr eine kleine Schaufel in die Hand. Rosalins Finger schließen sich instinktiv um den Griff, aber ihr Geist weigert sich, die Realität zu akzeptieren. „Grab alles um und vergrabe es gut“, befiehlt er sanft, seine Stimme ein verstörender Kontrast zu seinen grausamen Taten. „Die Pflanzen brauchen guten Nährboden.“ Seine Hand packt ihr Kinn und zwingt sie, ihm in die Augen zu sehen. Dieser Blick, kalt, leer, und doch funkelt darin eine perverse Freude. Er beugt sich vor und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er sich wieder erhebt und fröhlich ein Liedchen vor sich hin pfeifend den Raum verlässt. Rosalin bleibt allein zurück. Ihr Blick wandert zu dem Berg aus Fleisch, der vor ihr liegt. Ihr Herz rast, und das Adrenalin pulsiert in ihren Adern. (Sind das alles seine Opfer?) fragt sie sich entsetzt, während ihr Magen sich zusammenkrampft. Ihr Kopf schwirrt, und plötzlich trifft sie die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht. (Bin ich die Nächste?) Panik droht, sie zu überwältigen, aber Rosalin zwingt sich, ruhig zu bleiben. Sie darf nicht zusammenbrechen, nicht jetzt. Sie muss tun, was er verlangt, muss den Wahnsinn überleben, bis sie eine Gelegenheit zur Flucht findet. Also zwingt sie sich, die Schaufel zu heben und mit der Arbeit zu beginnen. Das künstliche Licht brennt auf ihrer Haut, während sie das Beet umgräbt und das blutige Fleisch unter der Erde vergräbt. Der Gestank von verrottendem Fleisch steigt ihr in die Nase, und jedes Mal, wenn sie eine Schaufel Erde über die Überreste wirft, fühlt es sich an, als würde sie ein Stück ihrer Menschlichkeit begraben. Während sie gräbt, fällt ihr auf, das Fleisch war zuvor gefroren. (Hat er sie in einer Kühltruhe aufbewahrt?) ein eiskalter Schauer durchläuft sie bei diesem Gedanken, und sie kämpft gegen die Übelkeit an, die in ihr hochkriecht. Schließlich erreicht sie das Beet mit der roten Sonnenblume. Sie hält inne und starrt auf die tiefrote Blume, deren Farbe jetzt einen unheimlichen Kontrast zu den schrecklichen Dingen bildet, die sich um sie herum abspielen. (Die rote Sonnenblume,) denkt sie, und plötzlich kommt ihr eine Idee. Vorsichtig beginnt sie, die Erde drumherum zu lockern. Ihre Hände zittern leicht, doch sie arbeitet langsam und methodisch, bis sie das kleine Buch ausgräbt. Sie hält es fest in ihren Händen und wirft einen schnellen Blick zu den Kameras. (Wie mache ich es, dass er nichts davon mitbekommt?) fragt sie sich, während ihr Herz vor Angst rast. Ihre Gedanken schellen durch ihren Verstand und sie sucht verzweifelt nach einem Plan. Sie muss klug vorgehen, darf keinen Fehler machen. Eine falsche Entscheidung, und Tarek würde sie genauso zerfleischen und vergraben wie die anderen Frauen. Rosalin versteckt das Buch geschickt unter ihrer Kleidung, klemmt es zwischen den BH und zwingt sich, weiterzuarbeiten. Sie darf keine Schwäche zeigen, keine Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Sie schaufelt weiter, vergräbt das Fleisch und den Horror, der sie umgibt, und versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Das Licht geht plötzlich aus, Tarek kehrt mit einer Taschenlampe zurück. Sein Lächeln ist zufrieden, als er das frisch umgegrabene Beet inspiziert. „Gut gemacht, kleines Mäuschen“, sagt er mit einem höhnischen Unterton in der Stimme. „Vielleicht gibt es doch noch einen geeigneten Platz für dich.“ Rosalin erwidert seinen Blick, sagt aber nichts. Ihr Gesicht bleibt ausdruckslos, ihre Gedanken jedoch sind in Aufruhr. Das Buch ist jetzt ihre einzige Hoffnung, der einzige Funken Licht in dieser endlosen Dunkelheit, das und die Räume, die sie gesehen hat.

Shut UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt