12 - Choi Ji Hye

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Kurz vor 16 Uhr fuhr parkte ich bei der Seoul National University, beobachtete durch den Rückspiegel den Eingang; dabei schlürfte ich an meinem Kaffee, welcher heute mein Lebensretter war.
Ein Schwall an Studierenden strömte aus der Uni, als es paar Minuten nach vier war. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte die richtige Person auszumachen. Und für einen kurzen Moment dachte ich, ich würde doppelt sehen; zwei identische Studenten kamen in meinem Blickfeld. Beide ähnelten Mrs Yoon.
Sofort sprang ich aus dem Auto und ging mit zügigen Schritten auf die Beiden zu. Sie sahen mich konfus an, als ich vor ihnen stehen blieb.
>> Ich bin Detective Choi Ji Hye <<, stellte ich mich vor, hielt meinen Ausweis vor ihren Augen, >> ich habe ein paar Fragen an Sie. <<
Zeitgleich schauten sie sich an. Ein Zwilling sah etwas gelassener aus, der andere schien leichte Panik zu haben.
>> Um was geht es? <<, fragte der Bruder, der relaxter war.
>> Am besten wäre ein Ort, der nicht so voll mit Menschen ist <<, sagte ich ruhig. >> Vielleicht das Café um die Ecke? << Beide nickten.
Nach einem kurzen Fußweg saßen die Brüder und ich in einem gemütlichen Café in einer kleinen Nische, wo nicht so viel Trubel herrschte.
>> Okay. Ich werde direkt zur Sache kommen <<, begann ich, faltete meine Hände ineinander, >> aber zuerst möchte ich gerne Ihre Namen erfahren. <<
Nun blickten beide etwas verunsichert drein und mir war bewusst, dass sie ungern mit der Sprache rausrücken möchten. Also probierte ich es anders.
>> Ich kann auch Ihren Vater, Mr Han, anrufen, um ihn zu bitten, hierher zu kommen <<, sagte ich und musterte beide, lehnte mich im Stuhl zurück und überkreuzte die Beine. >> Ich versuche im Moment, den Mord an Ihrer Mutter, Mrs Yoon, aufzuklären. Und es war nicht gerade klug von Mr Han, mir zu verschweigen, dass es euch beide gibt. <<
>> Wieso? Wir haben damit nichts zu tun. <<
>> Ihre Namen, bitte. <<
Abermals schauten sie sich an, wirkten nun resigniert.
>> Han Min Joon. <<
>> Han Min Won. <<
>> Danke <<, erwiderte ich, holte Stift und Notizblock aus den Innentaschen meines Jacketts, schrieb ihre Namen auf. Und um Verwechslungsgefahr zu vermeiden, hielt ich ein paar kleine Unterschiede fest, die mir auffielen; Min Joon hatte an seinem rechten Wangenknochen einen Leberfleck und Min Wons Augen waren etwas heller als die von seinem Bruder. Außerdem schien Min Won etwas gefasster zu sein, Min Joons Augen nahmen manchmal einen emotionslosen Ausdruck an.
>> Aber wir haben dennoch nichts mit dem Mord an unserer Mutter zu tun <<, wiederholte Min Won die Aussage von Min Joon.
>> Das habe ich auch nicht gesagt <<, erwiderte ich, atmete durch. >> Doch es besteht die Möglichkeit, dass der Täter es auch auf euch beide abgesehen hat. <<
>> Aber wieso? Ich kann mir nicht mal einen Grund a Moms Mord zusammenreimen <<, sagte Min Joon nachdenklich.
Na ja, meine Kollegen und ich hatten schon ein paar Theorien aufgestellt, aber wegen Bürokratie kamen wir nicht an Mrs Yoons Vater dran, der soweit ich wusste, in ein paar Tagen abdankte und die Krone an seinen zehn Jahre jüngeren Bruder übergeben wird.
>> Es war fahrlässig von Ihrem Vater, der Polizei nicht zu sagen, dass Sie existieren <<, sprach ich weiter, obwohl ich davon überzeugt war, dass die Zwillinge nicht wussten, von wem ihre Mutter abstammte.
Ich nahm mein Kartenetui aus meiner Hosentasche, öffnete dieses und übergab Min Joon und Min Won jeweils meine Karte.
>> Ruft mich an, wenn Ihnen irgendetwas komisch vorkommt. <<
Beide nickten. Ich verabschiedete mich mit einem Kopfnicken, anschließend verließ ich das Café und ging zu meinem Auto.
Unterwegs rief ich Yu Mi an und bat sie, Mr Han ins Revier einzuladen.

Als ich die Polizeistation betrat, kam mir schon Yu Mi entgegen.
>> Mr Han wartet in deinem Büro. <<
>> Danke, Yu Mi <<, erwiderte ich lächelnd, ging weiter in mein Büro.
Mr Han stand auf, als er mich bemerkte.
>> Guten Tag <<, begrüßte ich ihn, schüttelte seine Hand.
>> Was gibt es, Detective Choi? Gibt es neue Erkenntnisse? <<
>> Kann man so sagen, Mr Han <<, sagte ich und deutete auf den Stuhl, um ihn darauf hinzuweisen, dass er sich wieder setzen konnte. >> Ich habe zufällig Ihre Söhne getroffen. <<
Aus seinem Gesicht wich die Farbe, Schock spiegelte seine Gesichtszüge wider.
>> Wie-? <<
>> Es war nicht gerade schlau, mir dieses Detail zu verschweigen <<, begann ich, >> da wir noch nicht wissen, welche Absichten hinter dem Mord Ihrer Frau stecken. Wir können aber ziemlich sicher ausschließen, dass es nicht wegen KYEntertainment ist. <<
>> Sind Sie sich sicher? Was ist mit dem Einbruch? <<, fragte Mr Han panisch. >> Es wurde bis jetzt nicht herausgefunden, wer es war. <<
>> Dem Mörder war es zu diesem Zeitpunkt bestimmt noch nicht bewusst, dass Ihre Frau ausgezogen ist. Diejenigen, die wir verdächtigt haben, konnten unmöglich die Einbrecher gewesen sein. Ihnen sagt bestimmt der Name Hwang Min Seo etwas. <<
>> Ja, natürlich. Zwar ist er nur ein Praktikant bei uns, aber arbeitet sehr zuverlässig, ist immer pünktlich, versteht sich super mit den Mitarbeitenden. <<
Ich nickte. >> Ja, genau. Am Tag des Mordes hat er zwar kein Alibi, aber es gibt schlichtweg kein Motiv, außer, dass er mit Ihrer Frau gearbeitet hat und im gleichen Gebäudekomplex wohnt. Wir haben mit Ihren Angestellten gesprochen und keiner von ihnen haben etwas Auffälliges bemerkt. <<
Ich machte eine Pause.
>> Jetzt habe ich noch eine Frage, und ich bitte Sie, sie mir ehrlich zu beantworten <<, sagte ich und sah Mr Han direkt in die Augen, was ihm scheinbar etwas unangenehm war, doch schließlich nickte er. >> Wissen Ihre Söhne, dass sie die rechtmäßigen Thronerben sind? <<
Mr Han schüttelte den Kopf. >> Nein, das wissen sie nicht. Wir haben auch eine zeitlang in der Schweiz gewohnt, weil es Kyung Jun hier mental nicht gut ging. <<
Ich nickte. >> Okay. Danke für die Ehrlichkeit. <<
>> Detective Choi <<, fing Mr Han an, rutschte nervös in seinem Stuhl hin und her, >> bitte sagen Sie meinen Söhnen nichts. <<
Tief atmete ich durch. Ich konnte es nachvollziehen, weshalb Mrs Yoon und Mr Han ihren Kindern nichts erzählt hatten. Doch so konnte es nicht ewig weitergehen. Wenn tatsächlich das Königshaus mit dem Mord etwas zu tun hatte, musste man den Zwillingen Bescheid geben; sie hatten das Recht zu erfahren, weswegen ihre Mutter umgebracht worden war. Und so sagte ich es auch Mr Han, der daraufhin nickte.
>> Aber glauben Sie wirklich, ihre Familie hat sie umbringen lassen? <<, fragte Mr Han nach.
>> Ich kann es nicht ausschließen. Sobald wir den gerichtlichen Beschluss haben, befragen wir die Königsfamilie <<, erklärte ich.

The Missing BloodlineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt