42. Kapitel

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Mitt's Pub stellte sich als kleiner Insider der Crew heraus. Er war urig und gemütlich eingerichtet. Die mit dunklen Holz vertäfelten Wände waren mit dutzenden Bildern behangen und die Sitzbezüge waren kuschlig und mossgrün. Hinter der Bar stand ein bärtiger Mann und zapfte Bier. Die Musik, die aus einem Lautsprecher kam, klang schwungvoll und machte Lust, mitzuwippen. Alles in allem herrschte hier eine sehr heimelige Atmosphäre und ich fühlte mich sofort wohl.

Hastig ließ ich meinen Blick schweifen und zum Glück fanden meine Augen die Person, von der ich gehofft hatte, sie hier zu finden.

Sam Wilson lehnte wie ein wuchtiger Fels an der Theke und unterhielt sich mit dem Barmann, in der Hand hielt er ein Guiness.

Er wirkte vollkommen tiefenentspannt. Während Flipsi und Mika sich einen freien Tisch suchten, ging ich entschlossenen Schrittes auf Sam zu.

Als ich mich neben ihn an die Bar lehnte, sah er verwundert zu mir herunter. Ja, er musste im Sitzen zu mir herunter schauen. Er schien von den Riesen oder so abzustammen... Vielleicht väterlicherseits.

"Süße, ich dachte, du hast heute ein Date", er trank noch einen Schluck von seinem Bier, dann funkelten seine Augen mich amüsiert an, "Oder willst du doch lieber mit mir den Abend verbringen?"

"Und ich dachte, du bist zu sehr damit beschäftigt, irgendwelche Omi's abzuschleppen? Was ist heute los? Hat das Seniorenheim schon 20.00 Uhr Bettruhe?", gab ich trocken zurück.

Er lachte schallend und kehlig und ein Teil der Crew drehte sich neugierig zu uns um. Sam jedoch schien das gar nicht aufzufallen, oder es interessierte ihn schlichtweg nicht.

"Ich würde dich gern um einen Gefallen bitten", meinte ich geradezu. Es hatte keinen Sinn, um den heißen Brei herum zu reden. Entweder er war dabei, oder eben nicht.

"Kommt drauf an", sagte er stirnrunzelnd. "Ne Leiche wegtragen oder so was kommt nicht in die Tüte. Auch, wenn du heute Abend aussiehst, wie die schwarzhaarige Schwester von Rapunzel, Süße."

Ich schnaubte kurz. Was ging eigentlich manchmal in seinem Kopf vor?!

"Wenn ich eine Leiche zu vergraben hätte", fragte ich entgeisert, "warum sollte ich dann dich fragen, ob du mir beim verbuddeln hilfst?"

Er drückte sich selbstverliebt einen Kuss auf seinen gewaltigen Bizeps. Er steckte wieder unter einem karierten Cargohemd, das ihm jedoch hervorragend stand.

"Hast du die beiden schon bemerkt, Süße? Diese Prachexemplare kommen nicht vom Fitti. Das ist was für reiche Jungs. Die hier kommen von harter Arbeit."

"Ja, ich denke, welcher Form der harten Arbeit du nachkommst, müssen wir hier nicht vertiefen."

Er schaute mich verschlagen an. Dieses Grinsen war so typisch für ihn.

"Uh, du bist heute gut drauf, he? Was ist los? Warum hängst du bei mir ab?  Hat der kleine Pisser das Weite gesucht, weil ihm seine Gefühle doch zu große Angst gemacht haben?"

"Ich möchte, dass du dich zu uns setzt."

Ich zeigte mit dem Kopf in Richtung unseres Tisches, wo uns Mika und Flipsi und gebannt beobachteten. Mika hatte sich ein dunkelblaues Smokey Eyes geschminkt und die Haare kunstvoll in eine Fifties Welle geföhnt. Er sah einfach toll aus! Man sollte nicht meinen, wie schnell er dabei gewesen war. Als er sich im Spiegel betrachtet hatte, hat er so glücklich ausgesehen, doch jetzt blickte er nur unsicher in sein Glas und hatte die Schultern hoch gezogen.

Und das nicht ohne Grund. Einige starrten ihn an und die ersten Jungs machten sich bereits über ihn lustig und zeigten mit dem Finger in seine Richtung.

Ein Grund mehr, Sam zu überreden zu uns zu kommen! Auch er hatte die Blicke der anderen bemerkt. Er war viel aufmerksamer, als er immer tat.

"Naja", er stieß langsam den Atem aus und blickte zu Mika. "Er sieht aus, wie Olivia Jones und sein Haar glitzert wie das von Tinkerbell. Was hat er gedacht?! Dass die Regenbogen Flagge hier überall angekommen ist? Alter, so läuft das nicht. Menschen ticken nun mal nicht so. Wir sind die aggressivste Spezies, die es gibt ..."

Und damit drehte er sich wieder zum Barmann um, um ein weiteres Bier zu bestellen.

Für ihn war die Sache wahrscheinlich erledigt, doch ich dachte nicht daran, mich jetzt einfach von ihm abspeisen zu lassen. Ich schüttelte an seiner Schulter. Sie bewegte sich kein Stück und schien nur aus Muskelsträngen zu bestehen. Aus was war dieser Kerl?! Kryptonit?!

"Hast du etwa Angst?" Provozierend blickte ich zu ihm auf.

Er verschluckte sich fast an seinem Bier.

"Dè?", hustete er. Als er sich erholt hatte, funkelten mich seine Augen herausfordernd an.

"Süße, ich bin Schotte. Diese englischen Puderärsche hier machen mir ganz sicher keine Angst. Das ist ja wohl das Letzte." Den letzten Teil des Satzes schimpfte er leise.

"Dann beweis es und komm mit... Bitte ... Es würde mir so viel bedeuten."

"Warum?" Seine Augen sahen mich durchdringend an. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass er dunkelblaue Augen hatte, wie das Meer, bevor ein Sturm aufzieht. Umrahmt von dichten, schwarzen Wimpern. Eigentlich war er ein wirklich attraktiver Mann. Kein Wunder, dass er bei den Damen so beliebt war. Allerdings löste er in keiner Weise das in mir aus, was Luca in mir auslöste... Kein anderer tat das.

"Warum ist dir das so wichtig?", wiederholte er.

Ich atmete tief ein und erwiderte seinen Blick stur.

"Weil ich nicht will, dass jemand gemein zu Mika ist. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie sich über ihn lustig machen. Und wenn du dabei bist ... dann traut sich das niemand."

Ein paar Sekunden blickten wir uns schweigend an und als ich dachte, er würde sich erneut umdrehen, nahm er stattdessen seufzend sein Glas und marschierte Richtung Mika und Flipsi.

Als ich perplex hinter ihm zurückblieb, drehte er sich zu mir um:

"Kommst du jetzt, oder was?"

secret flowerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt