46. Kapitel

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Wir fuhren durch die Dunkelheit, beleuchtet vom Licht der Sterne und der wenigen Straßenlaternen. Es war eine laue und wunderschöne Nacht.

Die Luft roch würzig und nach den Verheißungen des Sommers. Ich presste mich an Luca, während er uns geschmeidig und geschickt über die verwobenen Landstraßen führte. Er tat das hier nicht zum ersten Mal und sein gesamter Körper war komplett entspannt.

Die Shiluoette der Landschaft flog an uns vorbei, aber ich spürte keine Kälte, sondern nur die Wärme seines Körpers. Ich schmiegte meine Wange an seinen breiten Rücken und genoss seine Nähe und die Schnelligkeit mit der wir durch die Nacht flogen, als wären wir ein Teil von ihr. Und ich wünschte mir, ich könnte diesen Moment in ein Marmeladenglas packen und so für die Ewigkeit konservieren.

Doch so etwas gab es nicht. Ich hatte nur den Augenblick.

Und nicht mehr.

Und ich würde diesen bis zum Schluss genießen und auskosten müssen, um ihn dann in meiner Erinnerung zu bewahren. Und zu Hüten wie einen Schatz.

Kurz schloss ich die Augen und atmete tief ein. Den Duft der Nacht und den, des wundervollen, schwierigen Mannes vor mir.

Als wir an einer kleinen Klippe angelangt waren, verlangsamte Luca das Tempo, bis wir schließlich stoppten. Er stieg ab und half mir vorsichtig vom Motorrad. Wir waren ganz allein. Selbst das Licht der Straßenlaternen hatten wir weit hinter uns gelassen.

"Wir sind da, Lily." Wieder warf er mir sein unwiderstehliches Lächeln zu und wirkte dabei so gelöst und glücklich, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Was würde ich dafür geben, diesen Ausdruck öfter bei ihm zu sehen...

Was war der Grund, dass er sonst so ernst und unnahbar war?

Ich wusste, dass er es mir niemals freiwillig sagen würde. Dass er mich wegstoßen würde, wenn ich ihn danach frage, doch das änderte nichts an meinem Vorhaben, es trotzdem zu tun. Irgendwann.

Er griff nach meiner Hand und führte mich einen kleinen versteckten Weg die Klippe hinunter.

Da es dunkel war und er vor mir lief, wie ein Fels und das Licht der Sterne abfing, sah ich nicht, wohin ich trat. Dabei übersah ich ein paar Steine und kam ins Schlingern.

Die Klippe war nicht lebensgefährlich hoch, aber der Weg war eng und steil. Ein Fall hätte durchaus ein paar Knochenbrüche zur Folge haben können.

Mit einem leisen "Huch", versuchte ich das Gleichgewicht zurückzugewinnen, doch ich hatte keine Chance.

Nur Luca ist es zu verdanken, dass ich keinen halsbrecherischen Abgang hinlegte. Seine Arme griffen blitzschnell nach meiner Taille und hielten mich fest. Mit einem einzigen starken Griff stoppte er meinen Fall und fing mich auf. Schwer atmend hielt ich mich an ihm fest.

"Entschuldige", stammelte ich peinlich berührt. Was war denn los mit mir? Konnte ich nicht mal ohne zu Stolpern einen Weg entlang laufen?

"Pass auf, Liebes. Ich habe doch gesagt, ich kann nicht immer bei dir sein, um auf dich aufzupassen", raunte er heiser an meinem Ohr. Dann hob er mich kurzerhand auf seine Arme und trug mich den Weg hinunter.

"Luca, du kannst doch nicht...", meinte ich laut und protestierend. Er würde mit mir noch stürzen. Ich war nicht so leicht und zart, wie meine Mutter gern hätte. Ich hatte durchaus frauliche Kurven, die sich auf der Waage bemerkbar machten. Doch er unterbrach mich barsch.

"... Hör zu, Lily. Ich hatte dir gesagt, dass du nicht immer widersprechen sollst. Du brichst dir noch den Hals, wenn du hier runter gehst und so passiert dir nichts."

"Ich dachte, du hättest gesagt, du findest es sexy, wenn ich widerspreche", nuschelte ich leise.

"Außerdem bin ich zu schwer", schob ich ein wenig trotzig hinterher, obwohl ich innerlich dahinschmolz.

Er lachte leise und drückte mir einen Kuss auf den Haaransatz.

"Du bist wunderschön und alles an dir ist perfekt. Schon zu spüren, wie sich dein Körper an meinen presst, bringt mich fast um den Verstand, Lily. Es kostet mich meine ganze Selbstbeherrschung, Schatz. Glaub mir." Seine Stimme hatte einen rauen Unterton angenommen, der ein Ziehen in meiner Mitte verursachte.

Wenn er so war, war es unfassbar schwer, daran zu denken, dass er nicht mehr wollte. Obwohl zwischen uns schon so viel mehr war. Zumindest für mich...

Doch ich war mir sicher, dass er einen sehr guten Grund für seine Schutzschilde hatte.

Ich wusste nicht woher. Es war einfach so ein Gefühl, dass ich jedes Mal bei ihm hatte und das mich bisher nicht getäuscht hatte.

Zu gern hätte ich seine Mauern durchbrochen. Zu gern würde ich die Frau sein, die ihm das gleiche Gefühl von Heimat und Sicherheit gab, wie er es mir schenkte...

Doch ich wusste, dass er das nicht zulassen würde.

Etwas in ihm war verletzt, vielleicht sogar zerbrochen und für immer kaputt.

Aber in diesem Moment, in dem er mich vorsichtig den Weg hinunter trug, darauf bedacht, dass ich nirgendwo anstieß und mich an einem Felsen verletzte, beschloss ich, es zu versuchen.

Zu Versuchen, zu ihm durchzudringen. Und das Zerbrochene wieder zusammen zu bringen.

Zumindest ein kleines Stück.

Selbst, wenn es bedeutete, dass er mich verletzen und um sich schlagen würde.

Ich wusste, dass er dieses Risiko wert war.

Ich wusste es einfach.

Als wir unten angekommen waren, setzte er mich ab und griff nach meiner Hand.

Gemeinsam umrundeten wir die Klippe. Ich zog meine Schuhe aus und spürte den kühlen Sand zwischen meinen Zehen. Es kitzelte und ich musste leise kichern. Beschämt blickte ich zu Luca hoch.

Doch er sah mich nur mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen an und umfasste mein Gesicht mit seinen Händen. Sanft küsste er mich.

Dieser Kuss war intensiv, tief und so bittersüß, dass ich kaum Luft bekam.

Er presste seine Stirn an meine und zog mich in seine Arme.

"Du bist ein wundervoller, Mensch Tayra. Vergiss das nie. Versprich es mir." Seine Stimme war dunkel und belegt.

Das wäre im Film der Moment gewesen, wo Junge und Mädchen ihre Gefühle gestehen, der Abspann kommt und sie glücklich bis zum Ende ihrer Tage sind.

Aber das hier war kein Film.

Es war die Realität, in der Happy Ends so selten waren, wie Sternschnuppen am Himmel.

Also blickte ich ihn nur bewegt in seine wunderschönen Augen und beugte mich langsam zu ihm herüber, um ihm einen Kuss zu schenken, der ihm meine Antwort auf eindeutige und zarte Weise zeigte.

Und als er ihn erwiderte, genauso zärtlich und innig,  flatterte mein Herz in meiner Brust, wie die das eines Kolibris.

Das hier war nicht perfekt. Ganz bestimmt nicht.

Doch es war das Schönste und Perfekteste, was ich jemals erlebt hatte und ich wusste, dass dieser Mann vor mir der Einzige auf der Welt war, mit dem ich das erleben wollte.

Und konnte.

secret flowerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt