K a p i t e l | 20

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🩺NATHANIEL

Ich stehe im Boxring, umgeben von dumpfen Schlägen, die gegen den Sandsack prallen. Immer wieder trifft meine Faust auf das schwere Material in der Hoffnung die Dunkelheit aus meinem Inneren herauszuschlagen. Vergeblich, denn Davinas Blick brannte sich tief in meine Seele, obwohl ich glaubte, längst keine mehr zu haben. Ich habe ihre Reinheit befleckt, sie wertlos fühlen lassen und dafür verachte ich jeden Zentimeter meiner selbst. Wenn ich nur der Mann wäre, der sie verdient hätte, dann hätte ich ihr gezeigt, dass sie für mich von unschätzbarem Wert ist. Bis vor Kurzem war mir unklar, weshalb ich eine solche Anziehung zu ihr verspüre. Ich dachte erst, es sei ihre Schönheit, doch das ist es nicht. Ihr Wesen inspiriert mich zutiefst, sie entfacht ein Feuer in meinem Herzen, das ich bereits aufgegeben hatte. Ich war stets der Überzeugung, dass Menschen die ihre Emotionen offen zeigen, schwach sind. So wurde es mir mein ganzes Leben lang eingetrichtert, doch Davina widerlegt diese Annahme. Sie ist warmherzig, einfühlsam und lesbar wie ein offenes Buch. Gleichzeitig setzt sie sich nicht nur für die Menschen ein, die sie liebt, sondern vor allem auch für sich selbst. Sie ist eine Kämpferin und trotz aller Herausforderungen verliert sie nie den Glauben an das Gute, das ist wahre Stärke. In den Tiefen meiner Seele sehne ich mich danach, diese gnädige Selbstliebe zu empfinden, doch in mir herrscht Zerstörung und Verwüstung, die nur Hass für sich selbst zulassen. Ich wusste, dass sie das Licht und ich die Dunkelheit bin, und dennoch war ich so egoistisch, sie mit meiner Finsternis zu umgeben.

"Was zum Teufel ist los, Nate? Kämpfst du gegen den Sandsack oder gegen deine eigenen Dämonen?" Meine Augen wandern erschöpft zu Coach Maverick, dessen besorgter Blick auf seinem inzwischen faltigen Gesicht ruht.

"Beides", murmele ich, bevor ich mich wieder dem Training zuwende. Ein genervtes Schnauben entweicht ihm, als er den Sandsack packt und mich somit unterbricht. "Mir geht's gut", brumme ich, doch er zieht skeptisch die Augenbrauen hoch.

"Ach komm schon, du siehst aus wie der letzte Dreck. Wenn ich ehrlich bin, wird mir schlecht, wenn ich dich sehe. Geh nach Hause und leg dich aufs Ohr, das Training ist für heute vorbei."

Mehr als ein genervtes Knurren meinerseits ist nicht drin. Ich befreie mich von den Handschuhen und werfe sie auf den Boden, bevor ich den Ring verlasse. Eine kalte Dusche wird hoffentlich meine sentimentalen Gedanken wegspülen. Was ist nur aus mir geworden?

"Da ist aber jemand ganz schlecht drauf", höre ich Coach Mavericks Stimme hinter mir, die ich bewusst ignoriere. Der alte Sack soll sich um seinen Kram kümmern.

Als mein Wagen in die Einfahrt meines Hauses rollt, fällt mein Blick sofort auf das vertraute Bild und für einen Moment vergesse ich meine eigenen Probleme. Emily sitzt auf der Veranda, ihr Gesicht von Hoffnung gezeichnet, als sie mich entdeckt. Ich steige aus dem Auto und gehe langsam auf sie zu.

"Alles klar bei dir?" frage  ich, als ich mich neben Emily niederlasse und ihren Blick auffange, der eine Mischung aus Traurigkeit und Widerstandsfähigkeit widerspiegelt.

"Meine Eltern streiten mal wieder", seufzt sie genervt. "Ich dachte, ich könnte mir wieder ein paar Süßigkeiten von dir schnappen." Ein leichtes Lächeln huscht über mein Gesicht und ich stehe auf um die Tür zu öffnen.

"Ein Glück, dass du das einzige Kind bist, das ich ertrage. Hereinspaziert bevor ich es mir anders überlege ", antworte ich und halte ihr die Tür auf. Emily grinst frech, während wir gemeinsam das Haus betreten, ich kann förmlich spüren wie sie versucht ihre Sorgen hinter sich zu lassen. Ihr kleine Gestalt spaziert durch mein Haus, wie auch schon viele Male zuvor.

The Wedge between UsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt