Teil 17 (Stella) (Erinnerungen)

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Mann, warum verhielt ich mich so zerbrechlich? Mein rechter Unterkiefer pochte ununterbrochen und drängte mich dazu, die Wurzelbehandlungen nun endlich über mich zu bringen, solange ich die Kraft dazu aufbrachte. 

Und dann auch noch die Sache mit den Inlays, die für mich trotzdem als Kronen galten. Wenigstens würden sie zahnfarben sein, das war doch schon mal etwas Tröstendes... 

Unter normalen Umständen hätte ich so einem aufwendigen Eingriff auch nicht zugestimmt, selbst wenn ich große Schmerzen hätte. Nichts auf dieser Welt würde mich dazu bewegen, so etwas Schreckliches über mich ergehen zu lassen. 

Wäre es nicht Dominick, der sich hier um mich kümmerte, sondern ein anderer, vielleicht nicht so geduldiger, Zahnarzt, würde ich mich viel elendiger fühlen, als ich es sowieso schon tat. 

Ich würde die ganze Zeit über Panik verspüren, und meine Kooperativität wäre gleich null. 

Doch bei Dominick fühlte es sich anders an. Einerseits kannten wir uns von früher, andererseits war Dominicks ganze Art sooo beruhigend. Und einfühlsam. 

Immer, wenn er mich anlächelte, vergaß ich für einen kurzen Moment meine Schmerzen.

Scheiße, ich war immer noch in ihn verliebt.

Und würde ich mich nicht so sehr vor der Behandlung fürchten, würde ich unser Wiedersehen in vollen Zügen genießen.

Zumindest konnte ich den Gedanken an die notwendige ,Therapie', wie Dominick es ausdrückte, mehr oder weniger akzeptieren. Es war zwar definitiv nicht das Schönste, was ich mir vorstellen konnte, aber Dominicks bestärkende Anwesenheit brachte mich dazu, mich einfach auf das Kommende einzulassen, und ja... ich vertraute ihm. 

Im Bewusstsein. 

Mein Unterbewusstsein sah das Ganze leider anders und machte mir einen Strich durch die Rechnung, in dem es mir furchtbares Kopfkino vor den Augen anmachte. 

Als ich Dominick gefragt hatte, wie er das mit den Pausen machen wollte, – denn wenn er dieses Mikroskop benutzen würde, würde er ja nur die Zähne sehen und nicht mich, wenn ich die Hand heben würde – hatten mich meine Erinnerungen eingeholt. 

Ich, als Kind. Welches nur zappelte und nicht mitmachte. Das bisschen Aua konnte es ja gut wegstecken – es war schließlich bloß ein anstrengendes Kind. 

Ich, als Jugendliche. Deren Freund, der sie eigentlich hatte begleiten wollen, nicht am vereinbarten Treffpunkt erschienen war. 

Der Entschluss, dennoch die Praxis zu betreten – draußen war es eiskalt und vielleicht wartete er ja drinnen auf mich? 

Die unfreundlichen Helferinnen – was hatte ich falsch gemacht? Ich hatte doch einfach nur Angst. 

Der strenge, und, wie sich herausstellte, vertretende Zahnarzt – keine Geduld für Zeit verschwendenden Smalltalk oder unnötige, beruhigende Worte. 

Dieses Gefühl der Hilflosigkeit während der nach der Untersuchung prompt folgenden Behandlung.

Die lapidare Aussage, ich bräuchte keine Betäubung – es waren ja nur kleine Defekte. 

Ach ja, und Komposit als Füllungsmaterial würde nur für die vorderen Backenzähne verwendet werden, der Rest würde mit Amalgam versorgt werden – ich war ja schon über 15.

Die Wut darüber, dass Dominick nicht gekommen war. Dass er mich einfach allein gelassen hatte, obwohl er doch von meiner Phobie wusste. Warum war er bloß nicht hier...?

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Dominick streichelte in weiten Kreisen über meinen Rücken und flüsterte mir sanfte Floskeln ins Ohr. Behutsam führte er mich aus meiner Schockstarre heraus und ich fühlte mich nach und nach ruhiger. 

Ich wusste nicht ganz, wie ich Dominick darauf aufmerksam machen sollte, dass ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte, also löste ich mich vorsichtig von seinem warmen Körper. 

Obwohl ich, um ehrlich zu sein, seine Nähe gern weiterhin gespürt hätte. 

Zum Glück hielt Dominick mich weiter an der Schulter fest, unsere besondere Verbindung bestand also immer noch. 

„Besser?", fragte Dominick mitfühlend. Seine Seen von Augen schienen mich zu durchleuchten. 

Ich schluckte und nickte minimal. 

Im Nachhinein war mir meine Panikattacke peinlich; meine Gesichtsfarbe glich wahrscheinlich einer Tomate. 

Dominick kommentierte das nicht, sondern sagte warm: „Bianca ist eine super Kollegin. Du kannst dich zu hundert Prozent darauf verlassen, dass sie mir direkt melden wird, wenn du eine Unterbrechung haben möchtest, Ella. Das Einzige, was du dafür tun musst, ist, deine Hand zu heben. Darauf wird sofort eine Pause folgen. Wir versprechen es." 

Wieder nickte ich. Wenn Dominick Bianca als kompetente Assistentin sah, war sie es vermutlich auch. 

Sicherheitshalber schaute ich zu der Zahnarzthelferin herüber. Bianca lächelte. 

Lächelte das Personal hier eigentlich durchgehend?

„Genau, ich sage das Dominick dann sofort, und wir machen eine Pause", bestätigte sie mit netter Stimme. 

Mein Blick wanderte zurück zu Dominicks Gesicht. 

„Links?", fragte ich leise. 

Gott, hörte ich mich erbärmlich an. 

Dominick legte den Kopf etwas schräg. „Meinst du, welche Hand du heben solltest?" 

„Mhm..." 

„Grundsätzlich denke ich, dass die linke Hand als Stoppzeichen eine gute Wahl ist, weil ich derjenige bin, der die Therapie durchführen und dabei rechts von dir sitzen wird. Ansonsten wäre ich dir da ein bisschen im Weg. Aber wenn dich das verwirrt, kannst du natürlich auch die rechte Hand heben. Letzten Endes ist es nicht so wichtig, welche du nimmst, da wir so oder so pausieren werden", erklärte Dominick sanft. 

Ich guckte auf die Plüschelefantin in meinem Schoß und schämte mich für meine unterwürfige Position. 

Egal, wie freundlich Dominick sich verhielt, er stand in der Hierarchie über mir. 

Er war der Zahnarzt, ich die Patientin. 

Er hatte die Kontrolle über mich und über den Verlauf der Behandlung. 

Ich konnte ihn höchstens mithilfe meiner Hand ‚anflehen', eine Pause zu machen. Und somit ein Stück meiner Würde verlieren.

Als hätte Dominick meine Gedanken gelesen, versicherte er: „Ella, eine Unterbrechung einzufordern zeigt nicht, dass man schwach ist oder Ähnliches, sondern, dass man für sich selbst und seine Bedürfnisse einsteht. Außerdem scheinen wir gerade zu vergessen, dass uns das Lachgas zu Gunsten kommen wird."

Ich fühlte mich ein bisschen besser durch Dominicks Ermutigung und sah ihn dankbar an.

Und ja... die Tatsache mit dem Lachgas hatte ich die letzten Minuten völlig außer Acht gelassen. 

„Du wirst überrascht darüber sein, wie entspannt du dich fühlen wirst", schob Dominick sanft nach. 

„Hmm", erwiderte ich vage.

Plötzlich spürte ich Aufregung in mir aufkeimen. Jedoch ausnahmsweise positive. 

Ich würde Lachgas ‚probieren'! 

Würde ich mich tatsächlich so glückselig und leicht fühlen, wie immer behauptet wurde, oder war das alles bloß der Placebo-Effekt? Gleich würde ich es herausfinden...

Herzklopfen ❤Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt