Teil 7 (Stella) (Diagnose)

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„Hey, ihr beiden", begrüßte Bianca Dominick und mich, als wir ins Behandlungszimmer eintraten. „Hallöchen", erwiderte Dominick und machte die Tür zu. Ich setzte mich wortlos auf den verhassten Behandlungsstuhl und versuchte, die Gedanken an die bevorstehende Behandlung zu unterdrücken.

Vermutlich würde ich mich Dominick gegenüber total ausgeliefert fühlen.

Stella, Dominick würde niemals zulassen, dass du unnötig leidest.

Nun, einmal hatte er es bereits getan, dachte ich verbittert.

„Erde an Ella." Dominick hatte seine Hand wieder auf meiner Schulter abgelegt. „Ich habe dir ja eben gesagt, dass wir jetzt eine großzügige Pause machen. Möchtest du dabei ein bisschen reden oder einfach deine Gedanken sortieren?", erkundigte er sich und strich etwas über meine Schultern. „Reden", antwortete ich sofort. So hatte ich gar nicht erst die Möglichkeit, mir irgendwelche Horrorszenarien auszudenken.

„In Ordnung. Worüber wollen wir uns unterhalten?", fragte Dominick. „Weiß nicht...", murmelte ich.

„Wie war es denn nach deinem Schulwechsel so?", begann Dominick mit einer Konversation. Er hatte anscheinend bemerkt, dass ich von mir aus nicht so viel erzählen würde. „Nicht so gut, ehrlich gesagt", seufzte ich. „Oh, warum denn?" Ich hörte einen Hauch Sorge in seiner Stimme.

„Das Schulsystem war halt anders." „Das kommt mir bekannt vor", lachte Dominick. „Konntest du dich denn noch einigermaßen an die ungewohnten Inhalte anpassen?" „Es ging...", meinte ich und lächelte schief. „Ich hatte dort halt nicht wirkliche Bezugspersonen..."

Ich spürte abermals, wie meine Augen feucht wurden und blinzelte ein paarmal, um nicht schon wieder loszuflennen.

Dominick sollte nicht denken, dass ich immer noch die Heulsuse von damals war. Ich hatte mich verändert; war härter und widerstandsfähiger geworden. Aber jetzt, in diesem Zahnarzt-Umfeld, fühlte ich mich schwach und sentimental.

„Das tut mir leid." Dominick holte mich mal wieder aus meinen Gedanken. „Ach, alles gut. Irgendwie habe ich das ja überlebt. Und... ich hatte ja schon einige Freunde, es war nur... oberflächlich", stammelte ich. „Zu denen habe ich auch eigentlich keinen Kontakt mehr", fügte ich hinzu.

„Hättest du denn Lust, Gloria und Victor wiederzusehen?", wollte Dominick wissen. „Wie, die beiden sind immer noch in einer Beziehung?", fragte ich wie aus der Pistole geschossen. Dominick schmunzelte. „Jep. Wir sehen uns mehr oder weniger regelmäßig. Vielleicht könnten wir mal ein Treffen zu viert einrichten. So wie früher."

Ich sah, dass Dominick kurz ins Stocken geriet. Er selbst war scheinbar genauso überrascht von diesem Vorschlag wie ich.

Verstohlen schielte ich zu Bianca. Ich konnte nicht beurteilen, woran sie dachte, aber sie hatte wohl verstanden, dass Dominick und ich uns kannten, und schien dies nicht weiter zu hinterfragen.

„Ähm, klar, warum nicht", antwortete ich langsam. Womöglich bereute Dominick dieses Angebot ja. Aber jetzt hatte ich schon zu einem ‚Doppeldate' zugesagt.

Moment mal, Doppeldate? Stella, ihr seid nicht mehr zusammen.

„Okay. Ich freu' mich schon darauf." Schon wieder dieses Lächeln, das mich erröten ließ. Mittlerweile spielten meine Emotionen vollkommen verrückt. Einerseits war da die unterdrückte Panik vor der Diagnose und darauffolgenden Behandlung, andererseits spürte ich schon wieder Schmetterlinge im Bauch, wenn ich Dominick anblickte.

Ohne auf das Gesagte einzugehen, fasste ich meinen Mut zusammen, und fragte: „Ähm, Dominick? Können... wir vielleicht schon die Ergebnisse besprechen? Ich will hier so schnell wie möglich raus."

Hoffentlich interpretierte er das jetzt nicht so, dass ich von ihm wegwollte. Das war gar nicht der Punkt. Aber die Schmerzen steuerten gerade mal wieder einen Höhepunkt an und ich war ja hier, um sie loszuwerden...

„Verstehe. Dann kümmern wir uns natürlich darum, dass es dir bald besser geht." Dominick nickte verständnisvoll. Puh, er schien nicht verletzt zu sein über meinen schroffen Themenwechsel.

„Ich würde dir gern erklären, was die Ursache deiner Schmerzen ist. Möchtest du, dass ich es dir mit einem Handspiegel zeige, oder sollen wir uns zusammen die Röntgenaufnahmen anschauen?" „Röntgenbilder", sagte ich leise.

Ich wollte, um ehrlich zu sein, nicht in meinen Mund schauen. Dann würde ich vor Scham im Boden versinken wollen. Obwohl - ich tat es ja jetzt schon.

„Alles klar. Dann lass uns zum Computer gehen."

Dominick rollte zu dem PC hinter dem Untersuchungsstuhl. Ich erhob mich mit wackligen Knien und folgte ihm. Er schaltete den auf der Ablage stehenden Computer an und öffnete ein Fenster. Eine Röntgenaufnahme meines Kiefers erschien.

Oh Gott. Ich war zwar keine Expertin, aber diese ganzen dichten Farben auf den Zähnen hießen nichts Gutes, oder?

Dominick merkte, dass ich beschämt war, und nahm meine schwitzige Hand in seine. Er streichelte mich sanft, während er sagte: „Also... du siehst wahrscheinlich auch einige Farbtonunterschiede hier. Die hellen Stellen sind Füllungen. Die dunklen, wie zum Beispiel hier", er zeigte mit der freien Hand auf die Zähne unten rechts, „sind leider Kavitäten. Diese sind auch der Grund für deine Schmerzen. Aber glücklicherweise können wir etwas dagegen unternehmen. Und das Positive ist: Du wirst weder während der Therapie noch danach Schmerzen haben."

Nun versuchte Dominick, Blickkontakt mit mir aufzubauen. Ich schaute jedoch demonstrativ zur Seite. Scheiße. Ich hatte panische Angst vor dem, was folgen sollte...

Mein Atem wurde flacher und in meinen Augen bildeten sich Tränen, die sogleich auf den Boden tropften. „Hey, Ella. Darf ich dich umarmen?", fragte Dominick, als er meine Überforderung sah.

Ich nickte schwach, woraufhin er sich sofort von seinem Hocker erhob und meine Hand losließ, nur, um mich daraufhin in seine starken Arme zu schließen. Zitternd klammerte ich mich an ihn und weinte leise in sein Poloshirt.

Dominick strich mir sanft über den Rücken; ich spürte seinen ruhigen Herzschlag. Mein eigener verlangsamte sich dadurch automatisch. So als ob sein Herz meinem Herzen sagen würde, dass alles gut werden würde.

Eine Weile standen Dominick und ich so da, bis mein Schluchzen immer weniger wurde. „Denk daran, du bist bei mir in guten Händen. Zusammen können wir alles schaffen, okay?", flüsterte er mir ins Ohr. Ich nickte nur.

Irgendwann lösten wir uns wieder und schauten uns tief in die Augen; ich schluckte. Dominick lächelte mir beruhigend zu.

„Möchtest du dich vielleicht einmal setzen?", fragte er behutsam und nickte in Richtung Untersuchungsstuhl. „Ja... okay..." Wenig begeistert nahm ich Platz. Dominick setzte sich dabei wieder auf seinen Rollhocker und kam an meine Seite.

Herzklopfen ❤Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt