Teil 27 (Stella) (Keine Angst + Flashback)

95 7 4
                                    

Das leise Heulen des Bohrers setzte ein und damit leichte, eigentlich kaum spürbare Vibrationen an meinem Zahn. Zeitgleich ertönte das Rauschen des großen Saugers, den Bianca zu bedienen schien. 

Gemeinsam machten sich der Zahnarzt und seine Helferin an meinen Zähnen zu schaffen.

Das ist real.

Ich lag hier, auf einem Behandlungsstuhl, und ließ mich von meinem Ex-Freund behandeln. 

Eigentlich ein gruseliger Gedanke. Doch ich fühlte mich seltsam entspannt. 

Die Behandlung war notwendig, um meine Gesundheit wieder zu erlangen. Ich würde das hier souverän durchstehen und dann nach Hause gehen. Bei Dominick war ich in den besten Händen. 

Noch immer starrte ich in seine blauen Augen, die sich trotz Biancas Anwesenheit in der Mitte meines Gesichtsfeldes befanden. Meine verschränkten Finger hielten das Elefantenplüschtier locker; ich war weit davon entfernt, meine Hand zu heben und eine Pause einzufordern. 

Stattdessen atmete ich in Ruhe ein und aus, und versuchte dabei, mich nicht allzu sehr auf den merkwürdigen Druck in meinem Zahn zu fokussieren. 

Zum Glück unterstützte mich Dominick mit Worten. „Du machst das ganz toll, Ella. Bleibe einfach weiterhin so entspannt und setze deinen super gleichmäßigen Atemrhythmus weiter fort. Ein... und aus. Prima!", übertönte seine Stimme den von den Geräten ausgehenden Lärm. 

Dominick schien einmal abzusetzen, da das Pfeifen kurz verstummte. Für den Bruchteil einer Sekunde blickte er mir tief in die Augen, ehe er sich wieder meinen Zähnen zuwandte und die Therapie fortführte. 

Die lauten Geräusche waren wieder präsent, doch sie interessierten mich gerade nicht; ebenso wenig wie die Vibrationen. 

Stattdessen überlegte ich, was es damit auf sich hatte, dass dieser kurze Augenkontakt mit Dominick meinen Bauch schon wieder zum Kribbeln gebracht hatte. 

Ich musste zugeben, dass ich Dominicks selbstbewusstes Auftreten irgendwie... heiß fand. Er agierte mit so einer Selbstverständlichkeit, dass ich seine Handlungen nicht hinterfragte, sondern ihm einfach vertraute und ihn machen ließ. 

Gleichzeitig verhielt Dominick sich aber nicht arrogant oder herablassend, im Gegenteil, er strahlte ganz viel Empathie aus. Und das machte ihn für mich so attraktiv. 

Während Dominick und Bianca sich auf die Behandlung konzentrierten, schloss ich meine Augen, und dachte nostalgisch an frühere Momente...

________________________________________________________________________

Ein neues Schuljahr stand an. Die achte Klasse wartete auf mich. Hilfe. War ich bereit dazu? 

„Stella, trödel' nicht rum! Du kommst sonst noch zu spät zur Schule!" 

Meine Mum tauchte im Eingangsflur unseres Hauses auf und warf mir einen mahnenden Blick zu. 

„Ja, Mama, und du zu spät zur Arbeit", gab ich zurück, während ich eilig in meine abgetragenen Turnschuhe schlüpfte. 

Ich betrachtete mich im großen Wandspiegel. Alles in allem sah ich aus wie eine ganz normale, wenn auch unscheinbare, Zwölfjährige. 

Meine schulterlangen Haare hatte ich zu einem traditionellen, tiefen Pferdeschwanz gebunden. Ich mochte es nicht, wenn sie in ihrem offenen Zustand in mein Gesicht fielen, und fühlte mich mit einem Zopf immer am wohlsten. 

Angezogen hatte ich ein hellgraues T-Shirt und eine weiße Jeans, die Gloria vor den Ferien von irgendwoher für mich aufgetrieben hatte. 

„Damit ein bisschen mehr Style in deine Garderobe reinkommt", hatte sie gesagt. 

Und heute Morgen hatte ich die Hose angezogen, um sie zu überraschen; denn sie würde sicherlich nicht damit rechnen. 

Laut Gloria war ich ein graues Mäuschen. Oder eine Schnecke, die nicht aus ihrem Schneckenhaus kommen wollte. 

Ich hab's nicht nötig, dachte ich. 

Meine beste Freundin war das komplette Gegenteil von mir. Trotz ihrer Vitiligo besaß sie ein mega Selbstbewusstsein. Manch einer würde sie vielleicht als arrogant bezeichnen, doch für mich war sie wie eine Schwester. 

Wir konnten zusammen lachen, zusammen weinen und über wirklich alles reden. Na ja, fast alles... 

„Ach, Stella-Schatz, mir fällt ein, dass du übernächste Woche noch einen Zahnarzttermin hast. Nicht, dass wir den vergessen...", kam meiner Mutter plötzlich in den Sinn. 

Ich erstarrte kurz, fing mich dann aber wieder. Es war mir sogar vor meiner eigenen Mum peinlich, meine Angst zu zeigen. 

„Ja, ja, ich hab's nicht vergessen", murrte ich gereizt. Meine Laune war rasant in den Keller gerutscht. 

Ich atmete einmal tief ein und aus, und verdrängte die Gedanken an den Termin. 

„Mama, ich gehe jetzt los", verabschiedete ich mich etwas distanziert von ihr, schwang meinen Rucksack auf meine Schultern und verschwand, ohne ihre Reaktion abzuwarten, aus dem Haus. 

Die Strecke zwischen unserem Haus und dem Schulgebäude betrug knapp einen Kilometer, sodass ich meistens lief, und bei schlechtem Wetter den Bus nahm. 

Ich ging in einem angenehmen Tempo, um keine Seitenstiche zu kriegen, und genoss den Spaziergang. 

Die Gegenden unserer Kleinstadt waren ruhig und friedlich. Ich liebte diesen Ort. 

Nach guten zwanzig Minuten war ich endlich an der Schule angekommen. Es tummelten sich bereits einige Schüler am und im Gebäude. 

Ich verlangsamte meine Geschwindigkeit noch mehr und hielt Ausschau nach meiner Freundin – und ihrem Freund. 

Victor kannte ich genauso lange wie Gloria, nämlich seit dem Kindergarten. Die Zwei waren zusammen, seit ich denken konnte. 

In Sachen Beziehung war Gloria also definitiv erfahrener als ich, die noch nie einen Freund gehabt hatte. Ich wagte sogar zu bezweifeln, dass ich jemals richtig verliebt gewesen war. 

Während ich meinen Blick über die Schüler schweifen ließ, um meine beiden Freunde endlich zu finden, fing mein Bauch plötzlich an, wehzutun. 

Huch? Was war denn da los? Schützend legte ich eine Hand auf meinen schmerzenden Bauch, und fragte mich, wo Gloria und Victor nun blieben. 

Dabei wanderten meine Augen weiter umher, als ich plötzlich einen scheinbar ebenso alleinstehenden Rotschopf in meiner Reichweite bemerkte. 

Er stand in einer Ecke des Schulhofs; er schaute, genau wie ich, durch die Gegend. 

Auf einmal wandte er seinen Blick mir zu.

Wow. Selbst aus dieser Entfernung schienen seine funkelnden Augen geradewegs in meine Seele zu blicken.

Hastig senkte ich meinen Kopf, während meine Wangen warm wurden. Gott, wie unangenehm. 

Er hatte bemerkt, dass ich ihn angestarrt hatte. Hoffentlich vergaß er das schnell wieder. 

Wer war das überhaupt? Ich konnte mich nicht daran erinnern, diesen Typen schon einmal hier gesehen zu haben. 

Hm, vielleicht ein neuer Schüler. Wo er wohl herkam? 

Stella, was machst du dir überhaupt für Gedanken? 

Ja, genau, wieso fesselte er mich so? 

„Stella!" 

Oh, Gott sei Dank, Gloria hatte mich entdeckt.

----------

Irgendwie ist der Flashback nicht so spannend geworden, wie erhofft... hoffentlich wird's noch besser. Das nächste Kapitel ist dann voraussichtlich auch aus Stellas Sicht.

LG, Sagittaria (((: 

Herzklopfen ❤Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt