Teil 5 (Stella) (Unsicherheiten)

200 9 25
                                    

Krampfhaft hielt ich das weiche Plüschtier in den Händen, welches Dominick mir gerade gegeben hatte. Eigentlich sollte ich ihm ja dankbar sein, dass er sich Zeit für meine Nervosität nahm und mich beruhigte, aber ein unterbewusstes Gefühl, dass er mich dabei nur belächelte und mir mit dieser Kuscheltier-Geste unter die Nase reiben wollte, wie kindisch ich mich verhielt, ließ mich zögern, Dominick meine Dankbarkeit zu zeigen.

„Okay, dann erzähle ich Bianca jetzt, was ich so sehe", informierte Dominick mich. Ich spürte, wie meine rechte Wange vorsichtig zur Seite geschoben wurde, und roch den Latex seiner Handschuhe.

Nervös schluckte ich und haftete meinen Blick an Dominicks hübsches Gesicht. Oh Mann, seine graublauen Augen waren immer noch genauso schön und tief, so wie früher... und seine rotblonden Haare wirkten irgendwie... fluffig.

Da fiel mir sein Mundschutz auf und ich stutzte. Die weiße Maske war doch tatsächlich mit kleinen bunten Punkten ‚verziert'. Innerlich lächelte ich etwas über diesen kreativen Aspekt, wurde jedoch von Dominicks Stimme in die Realität zurückgeholt.

„Okay, 4-1 ist OB... 4-2 und 4-3 auch", begann er, Bianca zu diktieren, die die Informationen direkt in den PC eintippte. „4-4 hat eine distale Kompositfüllung und 4-5 eine mesiale." Er fuhr mit dem Spiegel die Zähne entlang und ich versuchte, meinen Mund nicht aus Versehen zuzumachen. Schließlich näherte Dominick sich nach und nach den schmerzenden Zähnen...

„Du machst das prima, Ella. Indem du dir Mühe gibst, entspannt zu bleiben, hilfst du mir sehr", meinte Dominick mit warmer Stimme und ich hörte sein Lächeln heraus. Ich blinzelte nur und drückte Elefanten-Ella fest, als er nun die hinteren Zähne untersuchte. „Hm, 4-6C, distal."

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus. Was bedeuteten bloß diese ganzen Codes?

Ich sah wohl etwas verwirrt aus, da Dominick nun erklärte: „Diese Bezeichnungen helfen uns, festzuhalten, wie es deinen Zähnen so geht und wie wir möglicherweise dafür sorgen können, dass sie sich besser fühlen." Aha. Übersetzt hieß das also, dass er mithilfe der Abkürzungen die vielen Baustellen, die ich besaß, dokumentierte. Kein schöner Gedanke...

„4-7C, okklusal, und 4-8C, mesial. Okay, Ella, das war's erst einmal. Du kannst deinen Mund wieder schließen." Dominick entfernte den Spiegel, mit dem er eben meine Zähne begutachtet hatte, aus meinem Mundraum. Langsam legte ich meine etwas trockenen Lippen aufeinander.

„Möchtest du deinen Mund ausspülen?", fragte Dominick, nachdem er sich der Maske und der Handschuhe entledigt hatte. „Ja", hauchte ich, woraufhin er den Untersuchungsstuhl in die aufrechte Position fuhr.

Ich beugte mich zu dem Spülbecken, nahm den Becher und flößte sofort etwas Wasser in meinen Mund. Dann spuckte ich es wieder aus. Glücklicherweise war das Wasser nicht zu kalt gewesen, aber trotzdem fühlte sich der Bereich unten rechts unangenehm an.

„Ella, ich würde mit dir gleich röntgen gehen wollen, um ein besseres Bild von der Situation zu bekommen. Möchtest du dich davor noch etwas ausruhen?" Wie schaffte Dominick es, so lässig zu klingen? Es war definitiv etwas nicht in Ordnung mit meinen Zähnen - sonst würden sie auch nicht so weh tun - aber Dominick hörte sich nicht beunruhigt oder kritisch an.

Einerseits war ich ihm dankbar dafür, dass er mich nicht verurteilte, andererseits machte mir diese Neutralität deutlich, dass ich nur eine von vielen seiner Patienten war. Ich war für Dominick nichts Besonderes mehr und er erledigte nur seine Arbeit.

Na ja, irgendwie konnte ich ihn ja verstehen. Ich war schließlich ein Wrack und war es auch immer schon gewesen. Wahrscheinlich war Dominick sogar ganz froh gewesen, mich endlich los zu sein, nachdem ich mich von ihm getrennt hatte. Und nun musste er sich wieder um mich kümmern, so wie in unserer Jugend.

Bestimmt tat er nur so, als ob er Empathie für mich übrighätte. In Wirklichkeit war er wohl schon ganz genervt von mir und fragte sich, genauso wie ich übrigens, wann dieser klägliche Termin endlich enden würde.

Ehe ich es verhindern konnte, kullerten wieder Tränen über mein Gesicht. „Hey, Ella, es ist in Ordnung. Lass es raus. Ich bin hier, bei dir." Dominick war zu mir herangerollt und streichelte vorsichtig meine Schulter. Ich kniff die Lippen zusammen und unterdrückte ein Schluchzen.

„Ella, ich weiß, du findest das alles schlimm. Ich kann das total nachvollziehen. Du spürst Schmerzen und hast schlechte Erfahrungen erlebt, da ist es nur verständlich, dass du nicht hier sein willst. Aber ich verspreche dir, ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit du dich so wohl wie möglich fühlst und bald nicht mehr leiden musst. Du bist nicht allein. Wir unterstützen dich."

Gedanken und Gefühle wirbelten in meinem Kopf durcheinander. Vielleicht ist Dominick doch nicht gereizt, dass du hier aufgetaucht bist. Vielleicht sorgt er sich wirklich um dich.

Ich nickte nur, weil ich nicht gleichzeitig heulen und reden konnte. Dominick strich weiterhin sanft über meinen Nacken- und Schulterbereich, und war einfach weiter für mich da. Die Berührungen entspannten mich, aber trieben mir gleichzeitig die Röte ins Gesicht.

Dominicks physische Nähe brachte die Schmetterlinge in meinem Bauch dazu, aufzuflattern. Mittlerweile war ich so konfus, dass ich nicht einmal hinterfragte, was ich eigentlich für ihn empfand.

„Alles okay, Ella?", erkundigte sich Dominick mitfühlend. „Mhm..." „Denkst du, wir können kurz ein paar Röntgenbilder machen? Danach gehen wir wieder in diesen Raum und reden ein bisschen oder du entspannst dich einfach."

Dominick machte eine Pause, dann fügte er hinzu: „Wenn du möchtest, kannst du den Plüschelefanten gern mitnehmen." Ich hob vorsichtig meinen Blick und sah geradewegs in ein Paar blauer Augen. Dominick lächelte mich bekräftigend an. „Okay", nuschelte ich.

„Super. Dann gehen wir mal los", erwiderte Dominick und drückte meine Schulter kurz, ehe er sie losließ. Er rollte mit dem Hocker zur Seite, um mir Platz zu machen.

Erleichtert und etwas ungeschickt stieg ich von dem ledernen Behandlungsstuhl herunter und umklammerte Elefanten-Ella dabei fest. „Warte, ich nehme dir kurz das Lätzchen ab", meldete sich Bianca, die sich aus unserem Dialog - oder eher gesagt Dominicks Monolog - herausgehalten hatte, zu Wort, und entfernte das Tuch. Dies gab mir das Gefühl von Freiheit, auch wenn ich wusste, dass ich längst nicht fertig war. Leider.

Herzklopfen ❤Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt