Kuchel

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Er stand auf einer Wiese. Grün. Überall sattes Grün. Der Wind glitt durch sein schwarzes Haar und wirbelte es etwas auf. Levi konnte nicht ganz genau sagen, wo er sich befand. Es war ein Hügel, eine Anhebung über Klippen, die ins Meer führten. Tosende Wellen brachen auf ihnen ein. Eine kleine Kirche, völlig einsam und runtergekommen, umringt von alten Grabsteinen. Ein Ort der Stille und Ruhe. Augenblicklich spürte er eine wohlige Ruhe in sich aufsteigen doch dann ... Er hörte jemanden lachen. Ein Kind? Oder eine Frau? Sicher war er sich nicht. Es war seltsam vertraut und doch wieder nicht. Ein Schwarm von schwarzen Raben fegte über seinen Kopf hinweg. Laute Flügelschläge drangen in sein Ohr und fasziniert von den schwarzen Federn, die gen Boden rieselten, blieb sein Blick an diesen hängen. Er erschrak kurz, als er wieder ein lautes Lachen vernahm. Da war es wieder. Das Gefühl des Unbehagens.
Verwirrt blickte er umher und suchte nach einem Lebenszeichen eines anderen Menschen – doch da war keiner. Er war mutterseelenallein. Niemand war bei ihm. Levi blickte hinab und stellte fest, dass er barfuß war. Seine Hose war an den Knöcheln etwas hochgekrempelt und nass. Wie das passiert war, konnte er ebenfalls nicht sagen. In seinen Erinnerungen suchte er nach dem Grund, doch er fand keinen. In dem Moment, als er wieder aufblickte, zuckte er vor Schreck zusammen. Nur wenige Schritte entfernt, direkt vor der Tür der kleinen Kirche, stand eine Frau. Schwarzes langes Haar wehte im Wind. Die blasse, fast transparente Haut wirkte so zerbrechlich und die hellen Augen blickten ihm traurig entgegen. Er erkannte sie sofort. Es gab keinerlei Zweifel daran, wer da vor ihm stand. Es war seine Mutter. In ihren Armen hielt sie ein kleines Bündel, eingewickelt in vielen Tüchern. Levi erkannte sofort was es war. Ein Kind – genaugenommen ein Säugling. Das Baby schrie. Es weinte. Vorsichtig wiegte sie es hin und her, Levi nicht aus den Augen lassend, während seine Füße ihn zu ihr trugen. Wie durch Geisterhand hatte er sich in Bewegung gesetzt. Stille um ihn herum, der Wind stoppte und seine Mutter ließ das schreiende Kind aus ihren Armen gleiten. Er stürzte sich nach vorne, wollte es auffangen doch, als es auf den Boden fiel, veränderte sich die Welt um ihn herum und plötzlich fand er sich in einer Höhle wieder. Oder war es ein unterirdischer Gang? Er wusste es nicht, war sich nicht sicher. Unruhig ließ er seinen Blick schweifen, versuchte sich, an das fade Licht zu gewöhnen. Schnell kam er zurecht und erkannte schemenhafte Umrisse. Überall war Gestein und kühle Tropfen tropften von der Decke, benetzten sein schwarzes Haar.
Seine Füße waren nass. Er stand knöcheltief im Wasser und so, wie es roch, handelte sich um Salzwasser. Es war das Meer. Erneut zuckte er zusammen, als er Hilfeschreie vernahm. Ohne großartig darüber nachzudenken, setzte er sich in Bewegung und folgte der verzweifelten Stimme. Wessen Stimme es war, konnte er beim besten Willen nicht sagen. Doch tief in seinem Inneren, wusste er, wer da in blanker Panik um Hilfe schrie. Der Name wollte ihm partout nicht einfallen. Als ob er ein Brett vor dem Kopf hatte.
Er wagte sich in die Dunkelheit, wurde immer schneller und als er um eine Ecke bog, watend durch das kalte Wasser, weiteten sich seine Augen vor Schreck.
Pater Eren schien in einer Grube gefangen zu sein. Sein Körper steckte bis zu seinem Bauchnabel in einer zähflüssigen Brühe, die ihn immer tiefer zu ziehen schien.
»Helfen Sie mir! Monsignore!« Das Flehen in seiner Stimme war mehr als deutlich zu hören. Er hatte Angst, ja beinahe Panik und genau diese übertrug sich auf Levi. Sie fraß sich durch seine Eingeweide und hinterließ nichts als Schmerz. Mit jedem großen Schritt, den er tat, spritzte das kalte Wasser nach oben und benetzte seine Kleidung – durchtränkte sie, bis sie kalt und feucht an seinem Körper klebte. Er trug nur ein dünnes Hemd und eine einfache Stoffhose. Die Eiseskälte breitete sich in seinem Körper aus und ließ ihn zittern. Je näher er seinem jungen Kollegen kam, umso mehr eröffneten sich neue Grausamkeiten vor ihm. Hände krochen aus der schlammartigen Substanz, in der Erens Körper steckte, hervor und griffen nach dem Jungen. Er schrie auf. Die großen grünen Augen weiteten sich vor Angst und sein Mund stand weit offen, als sich immer mehr Hände um ihn schlangen. Ihn an seinem Hals und seinen Haaren packten und weiter in die Tiefe ziehen wollten. Doch Levi stürzte nach vorn, ihm gelang es, nach Erens Händen zu greifen, die sich ihm entgegenstreckten. Der Junge klammerte sich panisch an Levi – nach Halt und Rettung suchend.
Levi versuchte indes Eren aus den Klauen der Bestie zu befreien. Er sackte selbst in den Schlamm und spürte, wie ihn eine unangenehme Hitze umfing und ihn an den Beinen runter zog. Soweit bis er auf Augenhöhe mit Eren war und in das Gesicht es Jungen blickte. Im nächsten Augenblick spürte er zwei warme Hände, die sich auf seine kalten Wangen legten. Die Angst aus Erens Augen wich einem anderen Gefühl. Levi tauchte in sanftes Grün. Er verlor sich in den Seelenspiegeln des Jungen und bemerkte nicht, wie er immer näher gezogen wurde. Wie sich Erens Hände fest um sein Gesicht legten und ihn so nah zogen, dass sich ihre Nasen berührten. Süßer Atem kam ihm entgegen und als Levi Eren tief in die Augen blickte, erkannte er die verschiedenen Grün und blau Töne darin. Wie das Meer ... So schön und gefährlich wie der weite Ozean.
»Komm mit mir. Ich weiß, was du dir wünscht. Wonach du dich sehnst«, hauchte der Junge und nach nur einem Wimpernschlag, spürte er die warmen Lippen auf seinen ruhen. Mit sanften Druck bewegten sich Lippen aufeinander. Erschrocken darüber riss Levi seine Augen auf und erkannte, dass sich direkt hinter Eren Kuchel befand, die ihn mit einem gehässigen Grinsen strafte. Ihr Mund öffnete sich und sie sagte: »Du bist keinen deut besser als ich. Du elende Hure!«

Sinners - Levi x Eren Fanfiction Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt