Kapitel 30

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Felix

„Oh mein Gott, sie ist SOOOO süß!"
Maddies Stimme klettert einige Oktaven nach oben. Schmunzelnd sehe ich ihr dabei zu, wie sie immer glasigere Augen bekommt, während sie den Blick starr auf das Baby in ihren Armen gerichtet hält. Mein Herz zerspringt beinahe bei dem Anblick.
Heute ist der 17. Oktober und die Tochter von Kim und Jonas ist vor knapp drei Wochen auf die Welt gekommen. Ein bisschen früher als erwartet und per Kaiserschnitt, aber sie ist absolut gesund und wirklich extrem süß. Da kann ich meiner Frau nicht widersprechen.
Ich sehe zu Kim, die von Maddies Begeisterung über das kleine, neugeborene Wesen genauso fasziniert zu sein scheint wie ich. „Sie ist wirklich wunderschön", sage ich und werfe Kim dabei ein Lächeln zu. Mein Blick wandert von ihr zu Jonas, dem ich eine Bro-Fist gebe - ungefähr die fünfte für heute.
„Gut gemacht, Alter."
Er lacht kurz auf und fährt sich dabei durch die Haare. „Ich hatte bei der ganzen Sache den einfachsten Part. Sie hat die ganze Arbeit gemacht."
Er nickt zu Kim, die ebenfalls sofort mitlachen muss. „Die eigentliche Arbeit fängt jetzt erst an, und zwar für uns beide." Sie droht ihm scherzhaft mit dem Finger und ich falle in ihr Lachen mit ein. Die einzige, die nicht mitlacht, ist Maddie, die dem Baby ganz vorsichtig ihren rechten Zeigefinger entgegenstreckt.
Sie sieht ganz konzentriert aus. Konzentriert und verliebt. Als die kleine Emma reflexartig ihre winzig kleine Faust um Maddies Finger schließt, fangen ihre Augen an zu leuchten.
Sie sieht mich an mit einem Blick, von dem ich ganz genau weiß, was er bedeuten soll. Sie ist das schönste Wesen, das ich je in meinem Leben gesehen habe.
Ich weiß, dass sie das denkt, weil es mir ganz genauso geht.
Es ist ein weit verbreitetes Klischee, das jedes Elternpaar auf der Welt denkt, dass ihr Baby das allersüßeste ist, das jemals geboren wurde, aber im Fall von Kim und Jonas trifft es absolut zu. Emma hat kugelrunde, haselnussbraune Augen, die gerade geschlossen sind, eine Stupsnase und ganz zarte Bäckchen.
Ihr Haar ist nicht mehr als ein Flaum - noch nicht, zumindest - hat dafür aber eine sehr schöne hellblonde Farbe.
Und um das ganze abzurunden, sind ihre Gesichtszüge eine perfekte Mischung aus denen von Kim und Jonas. Ich erwidere Maddies Lächeln und strecke mit einem auffordernden Nicken die Arme nach ihr aus. „Ich will sie auch mal halten!"
Maddie weicht automatisch ein Stück zurück und schüttelt energisch den Kopf. „Nichts da. Sie ist meine Nichte!"
Jonas muss so sehr lachen, dass er sich fast an seiner Cola verschluckt. „Nicht blutsverwandt", erinnert er sie und zwinkert ihr verschwörerisch zu.
Maddies Blick verhärtet sich und ich unterdrücke ein Schmunzeln. Mit dem Blick würde ich garantiert nicht von ihr angeschaut werden wollen.
„Na und, tut das was zur Sache?"
Ihr Blick wandert wieder zu der kleinen Emma und sie beginnt, sie sanft in ihren Armen hin- und her zu wiegen. „Die kleine wird mit der coolsten und besten Tante überhaupt aufwachsen." Sie sieht zu Kim und grinst sie schelmisch an. „Bei mir wird sie alles dürfen, was sie bei euch nicht darf. Fernsehen bis spät in die Nacht, Schokolade nach dem Zähneputzen, Horrorfilme schauen ab 14. Das ganze Programm. Ich hoffe, dass ihr euch das gut überlegt habt, als ihr mich gefragt habt, ob ich Patentante werden will."
Kim lacht hell auf und schüttelt den Kopf. „Ehrlich gesagt nicht, aber jetzt ist es ja eh zu spät."
Sie sieht zu mir und grinst mich breit an. „Du sorgst dafür, dass deine Frau es nicht mit den supercoole-Tanten-Aktivitäten übertreibt, klar?"
Sofort schüttele ich den Kopf und werfe ihr das Grinsen mindestens doppelt so breit zurück. „Garantiert nicht!"

Wir verbringen eine ganze Woche in Köln. Ich weiß nicht, wann ich das das letzte Mal gemacht habe, ohne, dass ich zu Job-Terminen musste, aber es fühlt sich unglaublich gut und befreiend an. Die Zeit mit meiner Frau und unseren Freunden verbringen zu können, ganz ohne Zeitdruck - das ist purer Luxus für mich.
Wir genießen jede Sekunde mit Kim, Jonas und Emma. Am besten gefällt mir, dass die beiden nichts von ihrem frischgebackenen Elterndasein beschönigen und jede Situation genau so beschreiben, wie sie ist. Der Schlafmangel. Der Stress. Die Streits, die man auch nach drei Wochen schon miteinander führt, auch, wenn sie schnell wieder begraben werden, weil man erkennt, dass es doch wichtiger ist, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
All das hilft mir ein bisschen dabei, die neue Lebensrealität unserer Freunde ein bisschen realistischer zu betrachten und meinen eigenen Fortpflanzungsdrang noch ein bisschen weiter weg zu schieben. Wenn Maddie Emma anschaut, kann ich ihr zwar auf den ersten Blick ansehen, dass es ihr ähnlich geht wie mir, aber wir haben seit Monaten nicht mehr über das Thema gesprochen.
Als es das letzte Mal zur Sprache kam, haben wir noch zu tief in dem anderen Problem gesteckt, um uns ernsthaft damit beschäftigen zu können, aber ich kann nicht sagen, dass ich deshalb nicht mehr darüber nachgedacht habe.
Ganz im Gegenteil. Ich denke ständig darüber nach. Mittlerweile bin ich fast 39. Und obwohl jeder weiß, dass Männer deutlich länger zeugungsfähig bleiben als Frauen, möchte ich später kein 80-jähriger Vater mit einem 20-jährigen Kind sein. Es mag Familien geben, wo das funktioniert, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Vaterrolle mich so noch erfüllen würde.
Ich möchte mein hypothetisches Kind bei vollem Bewusstsein aufwachsen sehen, jeden Meilenstein miterleben und ihn mit Maddie zusammen zelebrieren, so, wie sie und das Kind es verdient haben.
Kurz driften meine Gedanken ab und ich stelle mir vor, wie es wäre, unser Kind an seinem ersten Tag in den Kindergarten zu begleiten. An seinem ersten Tag in der Grundschule. An seinem ersten Tag auf dem Gymnasium, der Realschule oder der Hauptschule.
Es durch seinen ersten Herzschmerz zu begleiten und es über die wirklichen Gefahren der Welt aufzuklären.
Würde mich das glücklich machen? Wenn ich Maddie so anschaue und sehe, wie ihr ganzes Gesicht zu leuchten beginnt, wenn sie Emma anschaut, bin ich mir sicher, die Antwort zu kennen.

Happily (Heavenly #3) (Felix Lobrecht)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt