Kapitel 16

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Die Truppe hatte es geschafft, dem Kampf zu entkommen, doch die Stimmung war düsterer denn je. Der Verlust von Wasserpfote lastete schwer auf ihnen. Silberpfote saß regungslos neben Flammenschwinge, ihre Augen leer und rot vom Weinen. Flammenschwinge lehnte sich schützend an die jüngere Kätzin, doch auch sie wirkte erschüttert. Niemand sprach, doch das Gewicht des Geschehenen lag wie eine unsichtbare Last auf ihren Schultern.

Leopardensprung, der sonst so lebhafte und neugierige Kater, sah mit ernster Miene in die Runde. „Wer war dieser Fremde?" fragte er leise, mehr zu sich selbst als zu den anderen. Die Worte verhallten in der kühlen Luft, doch niemand gab ihm eine Antwort. Alle schienen in Gedanken gefangen.

Echofeder saß abseits von der Gruppe, sein Blick fest auf den Horizont gerichtet. Er konnte den Verrat von Dornenranke noch immer nicht fassen. Sie war ihnen so nah gewesen, hatte mit ihnen gelitten, gejagt, gekämpft – und doch hatte sie sie alle hintergangen. Der Sternenclan hatte ihn gewarnt, aber er hatte es nicht ernst genug genommen. 

Hütet euch vor denen, denen ihr vertraut.

Die Worte hallten in seinem Kopf wider und schürten einen tiefen Groll in ihm. Hätte er besser auf die Warnung geachtet, wäre vielleicht alles anders gekommen.

Flammenschwinge sah vorsichtig zu ihm hinüber, ihre Augen suchten nach einem Funken des Trostes, aber Echofeder war in seine eigenen Gedanken versunken.

„Es tut mir leid, Wasserpfote," flüsterte Silberpfote plötzlich, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch. „Ich hätte dich beschützen sollen..." Flammenschwinge legte ihren Schweif tröstend um sie, doch ihre eigenen Augen verrieten den Schmerz, der tief in ihr wühlte.

„Es ist nicht deine Schuld, Silberpfote," murmelte Flammenschwinge. „Wasserpfote hat getan, was sie für richtig hielt. Sie hat dich gerettet."

Doch die Worte fühlten sich leer an. Nichts konnte den Verlust ungeschehen machen.

Echofeder ließ seine Krallen in die Erde sinken, seine Muskeln angespannt vor Wut und Trauer. „Dieser Fremde... warum hat er uns geholfen?" fragte er schließlich, seine Stimme bitter. „Was wollte er wirklich?"

,,Ihr seit mir mal ein Haufen den ich nicht verstehen kann " Ertönte eine düstere Stimme und alle drehten sich aprupt um. Der Fremde stand vor ihnen, seine Erscheinung war geheimnisvoll und zugleich einschüchternd. Sein schwarzes, nahezu schattenhaftes Fell schimmerte schwach im Mondlicht, und seine puren weißen Augen leuchteten wie glühendes Licht in der Dunkelheit. Die langen, zierlichen Ohren, die leicht anmutig wirkten, und sein schlanker Körper verliehen ihm eine Aura des Unheilvollen.

„Ihr seid mir mal ein Haufen, den ich nicht verstehen kann," wiederholte er mit einer Stimme, die wie kaltes Metall klang. Seine Präsenz schien die Luft um ihn herum zu ersticken.

Flammenschwinge sprang auf und stellte sich schützend vor Silberpfote, während Leopardensprung und die anderen sich ebenfalls auf den Fremden konzentrierten. „Was willst du von uns?" fragte sie mit scharfer Stimme, ihre Augen funkelten vor Misstrauen und Angst.

Der Fremde lächelte düster, seine Augen funkelten vor einem geheimnisvollen Wissen. „Das, was ihr so dringend sucht, liegt nicht in euren Pfoten," sprach er langsam und bedacht. „Eure Reise, eure Kämpfe, alles hat seinen Preis. Und ihr, ihr werdet ihn zahlen, wenn ihr nicht weise handelt."

Echofeder trat vor, sein Blick war fest und entschlossen, auch wenn ein Funken Unsicherheit in seinen Augen flackerte. „Was meinst du damit? Was weißt du über die Wächter?" fragte er mit festem Ton.

Der Fremde verzog seine Lippen zu einem sardonischen Lächeln. „Die Wächter..." Er zog das Wort in die Länge. „...sind nicht das Einzige, worum ihr euch kümmern solltet. Ihre Prüfungen sind nur der Anfang. Euer wahres Problem liegt in den Schatten eurer eigenen Herzen." Seine Stimme wurde leiser und drohender, „Und falls ihr die Augen vor der Wahrheit verschließt, wird der Weg, den ihr beschreitet, nur noch düsterer werden."

Echofeder seufzte tief, die Last der Ereignisse schien ihn beinahe zu erdrücken. Der Gedanke, aufzugeben, schien verlockend, doch da ertönte erneut die düstere Stimme des Fremden, die durch die Nacht hallte.

„Ich kann euch zu ihnen führen. Es ist nicht mehr weit," verkündete der Fremde, seine Stimme klang wie ein kalter Hauch im Wind.

Echofeder und die anderen sahen sich überrascht um. Flammenschwinge, die Silberpfote sanft getröstet hatte, starrte den Fremden an. „Warum sollten wir dir trauen?" fragte sie mit einem Hauch von Misstrauen. „Nach allem, was passiert ist, warum sollten wir uns auf dich verlassen?"

Der Fremde drehte sich langsam zu ihnen um, und seine weißen Augen funkelten in der Dunkelheit. „Vertrauen ist ein Luxus, den ihr euch nicht leisten könnt. Eure Reise hat euch an den Rand der Verzweiflung gebracht, und ich biete euch eine Möglichkeit, sie zu beenden. Der Preis für mein Wissen wird hoch sein, doch er ist es wert, wenn ihr eure Ziele erreichen wollt."

Leopardensprung trat einen Schritt vor, seine Haltung war angespannt. „Und was wäre der Preis?" fragte er, seine Stimme fest und fordernd.

Der Fremde lächelte, und das Lächeln war so kalt wie der Winterwind. „Der Preis ist, dass ihr euch den wahren Prüfungen stellen müsst. Ihr werdet euch euren eigenen Ängsten, euren Zweifeln und euren inneren Dämonen stellen müssen. Doch wenn ihr bereit seid, diesen Weg zu gehen, werde ich euch zu den Wächtern führen."

Echofeder trat hervor, seine grünen Augen funkelten vor Entschlossenheit. „Was bleibt uns anderes übrig?" murmelte er, mehr zu sich selbst als zu den anderen. „Wir müssen es herausfinden, und wenn dieser Fremde uns helfen kann, dann werden wir es riskieren."

Die anderen nickten zögerlich, und Flammenschwinge legte eine beruhigende Pfote auf Silberpfote. „Wir haben nicht viel Auswahl. Vielleicht ist dies unsere einzige Chance, Antworten zu finden und unsere Reise fortzusetzen."

Der Fremde nickte leicht, ein unheimliches Lächeln spielte um seine Lippen. „Dann folgt mir. Der Weg ist nicht einfach, und die Dunkelheit wird euch noch viele Prüfungen bringen. Doch das Ende dieses Weges wird euch die Antworten geben, nach denen ihr sucht."

Mit einem letzten Blick auf die Gruppe wandte der Fremde sich um und begann, sich in die Dunkelheit der Nacht zu bewegen. Die Gruppe folgte ihm, ihre Herzen schwer vor Sorge und Unsicherheit, doch die Hoffnung auf Antworten trieb sie voran.

Der verlorene fünfte WächterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt