POV Narin
Am nächsten Morgen wache ich auf, als hätte ich kaum geschlafen. Meine Gedanken kreisen immer noch um das, was Kidd mir erzählt hat. Burak ist schon seit Stunden wach – ich höre, wie er in der Küche herumschleicht und sich Frühstück macht. Normalerweise würde ich einfach mit ihm reden, ihn zur Rede stellen, aber wie soll ich das jetzt tun? Wie soll ich meinen eigenen Bruder fragen, ob er mich die ganze Zeit belogen hat?
Ich setze mich auf und starre in den Spiegel. Meine Augen sehen müde aus, und die Schatten darunter erinnern mich daran, wie tief ich in dieser Sache stecke. Ein Teil von mir will einfach nicht glauben, dass Burak in etwas so Schreckliches verwickelt sein könnte. Er ist doch mein großer Bruder, der immer auf mich aufgepasst hat, der immer an meiner Seite war.
Aber dann höre ich Kidds Stimme in meinem Kopf: „Er ist Teil von etwas Größerem." Diese Worte hallen in mir nach, und ich fühle einen Kloß in meinem Hals.
Als ich mich endlich überwinde, aus dem Zimmer zu gehen, ist Burak gerade dabei, seinen Kaffee zu trinken. Er sieht mich an und lächelt. „Morgen, Kleines", sagt er und lehnt sich zurück.
Ich zwinge mich zu einem Lächeln, obwohl mein Herz schwer ist. „Morgen", murmle ich, während ich mich an den Tisch setze.
Es herrscht eine unnatürliche Stille zwischen uns, als ich den Löffel in meinen Müsli schiebe, aber keinen Appetit verspüre. Ich kann es nicht länger hinausschieben. Ich muss ihn fragen. Ich muss wissen, was wirklich vor sich geht.
„Burak", beginne ich, meine Stimme zittert ein wenig. „Kann ich dich etwas fragen?"
Er hebt eine Augenbraue und setzt seine Tasse ab. „Klar, was ist los?"
Ich öffne den Mund, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken. Wie soll ich das formulieren? Schließlich atme ich tief durch und sage es gerade heraus. „Kidd hat mir etwas erzählt... über dich. Er meinte, du bist in etwas verwickelt... etwas Gefährliches."
Burak hält inne, sein Gesichtsausdruck verändert sich nicht sofort, aber ich sehe, wie sich etwas in seinen Augen verdunkelt. Er setzt die Tasse langsam ab und schaut mich ernst an. „Was hat Kidd dir genau gesagt?"
Ich zögere. „Er meinte, dass du Teil von... diesen Leuten bist, die ihn kontrollieren. Dass du mit ihnen zusammenarbeitest."
Für einen Moment sagt er nichts. Er starrt mich einfach nur an, als würde er abwägen, wie er reagieren soll. Mein Herz schlägt schneller. Die Anspannung in der Luft ist beinahe greifbar.
Schließlich spricht er. „Narin... es ist nicht so, wie du denkst."
„Was soll das heißen?" frage ich scharf. „Warum hast du mir nichts gesagt?"
Er steht auf, geht zum Fenster und blickt hinaus, als würde er nach den richtigen Worten suchen. „Ich wollte dich schützen, Narin. Das ist alles, was ich jemals wollte. Du solltest nicht in diese Welt hineingezogen werden."
„Welche Welt?" Ich stehe jetzt auch auf, meine Stimme wird lauter. „Was für eine Welt, Burak? Was verschweigst du mir?"
Er dreht sich langsam zu mir um, und zum ersten Mal sehe ich eine Traurigkeit in seinen Augen, die mich tief trifft. „Diese Leute... sie sind mächtig, Narin. Sehr mächtig. Und sie haben nicht nur Kidd im Griff, sondern viele andere auch. Ich habe keine Wahl gehabt. Ich musste mich ihnen anschließen, um dich zu beschützen."
„Beschützen?" Ich bin sprachlos. „Du hast mich belogen! Du hast mich in eine Lüge hineingezogen!"
„Ja", sagt er leise. „Aber glaub mir, ich habe es nur getan, um sicherzustellen, dass sie dir nichts antun. Diese Leute sind gefährlich. Und wenn sie merken, dass du ihnen im Weg stehst, werden sie dich genauso ins Visier nehmen wie Kidd."
Die Worte treffen mich wie ein Schlag. Alles, was ich über Burak gedacht habe, alles, woran ich geglaubt habe, zerbricht. Ich wende mich ab, die Tränen stehen mir in den Augen.
„Narin...", beginnt er, aber ich schüttle den Kopf.
„Ich kann das nicht", flüstere ich. „Ich kann nicht glauben, dass du mich so belogen hast. Dass du mich in Gefahr gebracht hast."
Ich gehe ohne ein weiteres Wort aus der Küche, lasse ihn dort stehen. In meinem Zimmer schlage ich die Tür hinter mir zu, mein Kopf schwirrt vor all den Gedanken, die mich überfluten. Alles, was ich bisher geglaubt habe, ist eine Lüge.
Aber bevor ich auch nur eine Sekunde darüber nachdenken kann, höre ich mein Handy summen. Eine Nachricht auf Instagram. Von Kidd.
„Narin, ich muss dich noch einmal sehen. Es ist wichtig. Ich stehe in einer Stunde vor deinem Haus."
Mein Kopf pocht. Ich weiß nicht, ob ich bereit bin, ihm wieder gegenüberzutreten. Aber etwas in mir drängt mich dazu, ihm zuzuhören. Ich muss herausfinden, was wirklich vor sich geht, und vielleicht hat Kidd mehr Antworten.
Ich atme tief durch und beschließe, dass ich dieses Gespräch führen muss. Ohne Burak zu informieren, schleiche ich mich wieder aus dem Haus, mein Herz rast, als ich die Straße entlangsehe. Kidd wartet schon.