Kapitel 1

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Jisungs POV

Meine Finger strichen über die goldene koreanische Schriftzeichen, die ich voller Liebe in das filigrane Briefpapier geschrieben habe. Jedes der ausgesuchten Wörter, widerspiegelten meine Liebe zu Minho. Leise spreche ich das Liebesgedicht aus, stellte vor, sie würden von Minhos melodischer Stimme ausgesprochen werden. Dabei schmerzte meine aufgeplatzte Lippe. Ich versuchte meine stummen Wörter nicht so stark mit den Mund zu formen, um mir den Schmerz zu nehmen. Nachdem ich die Wörter eher andeute, beruhigten sich der Schmerz, ein dumpfes Gefühl blieb noch.

Vorsichtig, als würde ich die schon heilende dünne Schicht auf meiner Unterlippe mit meiner bloßen Berührung zum Aufreißen bringen können, taste ich die Schwellung ab. Das Gefühl von Dumpfheit stieg an. Ich zog mein Finger weg. Heute war er nicht mit schimmernden Blut bedeckt. Nicht so wie gestern. Der metallenen Geschmack war auch bereits verschwunden. Sicher sein, dass meine Lippe nicht nochmal zu Bluten begann, konnte ich nicht. Ein weiterer Schlag von Minho und ich würde die vertraute Wärme wieder spüren. Ich steckte den Liebesbrief in dem ebenfalls zarten Briefumschlage und klebte ihn mit einem Herzsticker zu. Total kitschig, aber ich fand die roten Herzsticker einfach zu bezaubernd, als ich sie im Schreibwarenladen gesehen hab. Minho würde mich dafür auslachen und ihn zerfetzen. Er würde es einfach nur lächerlich finden. Mit klopfenden Herzen suchte ich ihn. Da es gerade große Pause war, tummelten sich sehr viele Schüler auf dem Gang vor mir. Kein vertrauter dunkelblauer Haarschopf. Das Blau von Minhos seidenen Haaren war einzigartig für mich. Sie erinnerten mich an einen Nachthimmel. Mein Blick schweifte suchend über die Schüler. Ein paar sahen mich seltsam an. Kein Wunder. Es passierte nicht jeden Tag, dass ein Schüler mit Veilchen und aufgeplatzter Lippe sich in die Schule traute und eigentlich schmerzte mein Gesicht einfach nur. Reden war schwer, Mimik zeigen tat weh, doch ich schluckte den Schmerz runter, wenn ich einfach nur Minho sehen kann. Ihn einmal am Tag zu sehen, auch wenn es von der Nähe war, machte meinen Tag besser.

Dann sah ich ihn. Er lief so lässig durch den Gang, als würde ihm nichts anhaben können, als würde er die ganzen Menschen um sich herum ausblenden und er die Hauptfigur seines eigenen Films sein. Alleine und stark. Seine Gangart hatte schon etwas anmutiges an sich. Jeder Schritt machte seinen Gegenüber wahr, dass er Lee Minho war. Lee Minho, in den ich mich verliebt habe. Um in seine Nähe zu gelangen, rannte ich zu ihm, das verpackte Liebesgedicht fest umklammernd. Sobald er mich sah, verengten sich seine Augen und er sah mich an, als würde ich ein lästiges Insekt sein. Ich habe mich an den Blick gewöhnt. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass er mich mit seinen dunklen Augen so strafend ansah. Das ungute Gefühl in der Magengrube ignorierte ich. Die wachsende Angst ebenfalls. „Minho!, rief ich glücklich und strahlte ihn an. Er seufzte und drehte den Kopf von mir weg. „Verpiss dich, Schwuchtel", fauchte er mich an. Seine Worte verletzten mich nicht länger, er sagte das böse Wort so oft, wie ein Liebender seinen Partner mit Kosenamen überhäufte.

„Ich habe etwas für dich!", sagte ich begeistert und streckte meine beiden Hände aus, um ihm das Gedicht zu überreichen. Anstelle, dass er es an sich nahm, packte er mich an meinen Hemdkragen und sah mich mit lodernder Wut an. Auch wenn so viel Hass in dem Dunkelbraun loderte, so verlor ich mich jedes Mal in ihnen. Sie zogen mich an, es war wie Magie. „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du aufhören sollst, mir beschissene Liebesbriefe zu schreiben? Was geht nur in deinem widerlichen Kopf ab?!" Sein Griff verstärkte sich, unsere Körper so nah, dass ich mich versuchte mich an ihn zu schmiegen. Alles in mir sehnte sich nach einem 'Ich liebe dich, Jisung' aber er machte weiter mit seinen schmerzenden Worte, in den er mich als Missgeburt bezeichnet, das an Homosexualität leidet. Er lies mich los, flüsterte noch ein 'Was stimmt mit euch Schwuchteln nur nicht?", bevor er sich von mir wandte. So schnell gab ich nicht auf. Ich wollte, dass er den Brief las, dass er wenigstens einmal versuchte sich in mich hineinzuversetzen. „Minho, bitte", rief ich verzweifelt, während ich mein Schwarm nachrannte.

 „Brauchst du noch eine Tracht Prügel von mir, damit du endlich aufhörst?!", hörte ich ihn fauchen. Er blieb stehen und fast stieß ich gegen ihn. Er drehte den Kopf zu mir, seine Augen funkelten jetzt nicht nur voller Wut sondern vor irgendwas, was ich nicht deuten konnte. Auf seinen hübschen Lippen breitete sich ein gruseliges Lächeln aus. „Okay, Jisung. Du möchtest, dass ich dein Gedicht lese? Dann gib ihn mir, okay?" Ohne zu Zögern gab ich ihn den Brief und strahlte ihn an. Hat er seine Gedanken überdacht? Wollte er ihn dieses Mal durchlesen und ihn nicht wieder in seinem geschlossenen Zustand vor meinen Augen zerfetzen. Er hatte es bis jetzt immer gemacht. „Wirst du ihn wirklich lesen?" Minho nickte und grinste. „Ich meine, du hast dir ja so viel Mühe gegeben." Meine Pupillen weiteten sich, meine Faszination für den wunderschönen Jungen stieg an. Ich habe immer gewusst, dass sich Minho ändern kann. Dass er vielleicht eines Tages sieht, wie sehr ich ihn liebe. Er nahm sich den Brief und steckte ihn in seinen Rucksack. Mein Herz schlug höher. Etwas, was von mir stammt, war zwischen Minhos Sachen eingebettet. Es fühlte sich besonders an. „Komm in der nächsten Pause in das Jungsklo im zweiten Stockwerk, okay?" Ich nickte wild und er lief davon.

Die nächste Stunde konnte ich nicht stillsitzen. Minho würde tatsächlich mein Gedicht lesen. Ich hoffte, dass sie sein Herz berührten. Weil ich so aufgeregt war, konnte ich dem Stoff des Lehrers nicht folgen. In meinen Gedanken war da nur Minho, der mein Gedicht vorließt und sich danach ein sanftes Lächeln zeigte. Dann würde er mich anschauen und ein 'Das ist wunderschön, Sungie', sagen. Schon die traumhafte Vorstellung war alles für mich. Sie waren mein Zufluchtsort, wenn Minho wieder seine Fäuste gegen mich hob. Dank ihnen brachte ich nicht unter Tränen aus, sondern hielt Minhos Schlägen stand. Egal, wie fest sie waren, egal, wie viel Blut sie letztendlich ans Tageslicht beförderten, meine Vorstellungen machten mich stark. Dann war es so weit. Zeit, sich mit Minho zu treffen. Mein Herz konnte es kaum erwarten. Ich klammerte mich an den Riemen meines Rucksacks, wurde immer nervöser. Als ich dort angelangt war, stieß ich die Tür auf und sah meinen Traummann.

Like eggshells (Minsung FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt