Kapitel 6 - Außenseiterin und dunkle Überraschungen ✅

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»Deinetwegen kommen wir zu spät zum Frühstück.«, beschwerte sich Claire mit finsterer Miene, während wir nebeneinander durch die zahlreichen Gänge des Schlosses eilte.

Genervt rollte ich mit meinen Augen. Aber etwas entgegnen tat ich nicht. Mir war sehr wohl bewusst, dass Claire recht hatte und da würden auch giftige Worte meinerseits nichts dran ändern. Außerdem hatte ich auch keine Lust, so früh am Morgen schon einen Streit vom Zaun zu brechen. Dafür hatte ich definitiv nicht die Energie.
Es war ohnehin schon ein Morgen, der nicht sonderlich gut gelaufen war. Da musste dies nicht auch noch für den ganzen restlichen Tag so sein. Außerdem war heute der erste richtige Tag auf dem Elementar Internat. Heute würden wir zum ersten Mal Unterricht haben. Und wir würden sicherlich keinen guten Eindruck machen, wenn wir zu spät kämen.

Hinzu kam, dass ich jede unnötige Aufmerksamkeit, die auf mir lag, um jeden Preis vermeiden wollte. Der gestrige Tag hatte mir das zu genüge vor Augen geführt. Dafür hatte der blonde Junge gesorgt. Noch mehr Sorgen brauchte ich nicht.

»Da! Das muss der Speisesaal sein!«, rief Claire aufgeregt und eilte triumphierend auf den Saal zu, dessen gewaltige Doppelflügeltür geöffnet war. Lautes Stimmengewirr schlug uns entgegen. Wir waren definitiv keine der Ersten, die es zum Frühstück geschafft hatten. Aber immerhin hatten wir es geschafft. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass wir sogar noch relativ entspannt essen konnten. Dafür hatten wir uns aber auch zuvor ziemlich abgehetzt.

»Sieh dir das an!« Zufrieden grinste Claire, während sie den Speisesaal eingehend musterte, als wir durch den hohen, runden Türbogen traten. Der Saal war in hellen Farben gehalten. Außerdem erinnerte er ein wenig an die imposante Empfangshalle, die wir gestern alle bestaunt hatten. Zwar war die Decke hier nicht gewölbt, doch auch sehr hoch. Zudem waren auch hier kunstvolle Malereien zu sehen, wenn auch nicht ganz so beeindruckend wie in der Empfangshalle. Die Deckenmalerei war hier tatsächlich sehr dezent gehalten. Außerdem beschäftigte sie sich mehr mit Obst, Ernte und der Herstellung verschiedener Lebensmittel. Dennoch sah das Ganze ziemlich schön aus und wirkte irgendwie beruhigend.

Der Speisesaal hatte nur an der hinteren Wand große Fenster. Diese lieferten eine wunderbare Aussicht auf eine kleinere Parkanlage des Schlosses, die etwas versteckter war, da sich um sie herum Wald befand.

An den restlichen Wänden, an denen es keine Fenster gab, hingen Gemälde. Diese zeigen ähnliche Szenen wie die Deckenmalerei. Mir fiel auf, dass man die neuen Schüler ganz gut von den älteren unterscheiden konnte: Während die alten Schüler sich nur mit ihrem Frühstück oder ihren Freunden beschäftigten, betrachteten die neuen Schüler die Kunstwerke, die der Saal zu bieten hatte.

Von der Tür aus links war ein riesiges Buffet entlang der Wand aufgebaut worden. Überall in dem Saal standen runde Tische aus hellem Holz verteilt. Alles hier wirkte hell, freundlich und einladend. Und teuer. Sehr teuer. Alles schrie förmlich danach. Das war wohl das Einzige, was mir nicht wirklich gefiel, da es mich, trotz der einladenden Atmosphäre, verunsicherte. Es schien alles so unwirklich. Gehörte ich wirklich hier her?

Dass sich das auch einige meiner anderen Mitschüler zu fragen schienen, spürte ich überdeutlich. Von überall spürte ich die Blicke auf mir. Es musste wohl schon die Runde gemacht haben, dass noch niemand wusste, welches Element ich beherrschte. Am liebsten wäre ich umgekehrt und hätte das Frühstück ausfallen lassen. Wäre einfach wieder zurück auf unser Zimmer gegangen. Doch das ging nicht. Hier fand das Frühstück, das Mittag- und das Abendessen statt. Nicht auf unseren Zimmer. So schön ich das auch gefunden hätte. Ob ich wollte oder nicht: Hier musste ich wohl oder übel durch.

»Beachte sie einfach nicht.«, sagte Claire locker und tat das Ganze mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. Das sagte sie so leicht. Zuversichtlich lächelte sie mir zu und steuerte selbstbewusst auf einen der Tische zu. Hastig eilte ich ihr nach. Auf dem Weg schnappte sie sich von einem der Teller der Schüler ein Brötchen. Den entgeisterten Blick des Schülers und seine empörten Rufe ignorierte sie lächelnd. Unwohl und mit gesenktem Kopf schloss ich zu Claire auf, die bereits an einem Tisch angekommen war und sich setzte.

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