Kapitel 60.2 - Desdemonas Rede

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Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Desdemona sah vollkommen ernst aus als sie das sagte. Und ich nahm ihr das auch wirklich ab. "Später.", sagte ich und hob beschwichtigend meine Hände. "Vielleicht später."
Desdemona schnaubte abfällig. "Vielleicht? Nur vielleicht? Mensch, Mika!" Sie verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust. "Weißt du eigentlich, was für eine Scheiße Damon durchgezogen hat? Wie er sich dir gegenüber verhalten hat? Wieso lässt du ihm das durchgehen?"
Ich sank ein wenig in mich zusammen. "Ich lasse es ihm doch gar nicht durchgehen.", murmelte ich und erschrak ein wenig als Desdemona ihre Stimme erhob. "Und ob du das tust!" Sie beugte sich zu mir runter und klopfte einmal mit ihrer Hand an meine Stirn. "Denk doch mal nach, Mika! Wozu hast du all diese Kraft in dir, wenn du ihn nicht einmal in seine Schranken weisen kannst?" Forschend sah sie auf mich herab und ich kam mir auf einmal ziemlich klein vor. "Natürlich ist es nicht leicht für dich. Es ist auch vollkommen natürlich, dass du dich ein wenig vor deinen Fähigkeiten fürchtest." Für einen Moment glaubte ich, ihre Predigt hätte nun endlich aufgehört. Doch da hatte ich mich wohl geirrt. Desdemona tigerte in unserem Zimmer hin und her. Dabei ließ sie mich fast überhaupt nicht aus den Augen. "Du kannst entscheiden ob man sich vor deinen Fähigkeiten fürchten muss und wem sie Angst machen sollten. Dafür bist allein du verantwortlich." Desdemona blieb vor mir stehen und sah mir eindringlich in die Augen. Ihre Stimme klang jetzt ein wenig sanfter. "Du kannst entscheiden wofür du deine Macht einsetzt. Du kannst sie kontrollieren, wenn du dich nur einmal trauen würdest mit ihnen zu arbeiten. Du kannst entscheiden wer dich fürchten muss. Die Jäger, oder wir." Ein kleines Lächeln erschien auf den Lippen meiner besten und einzigen Freundin. "Ich weiß, dass Damon dir weh getan hat. In mehr als nur einer Hinsicht. Aber du kannst nicht ewig daran hoffen, dass er wieder zur Vernunft kommt." Desdemona hockte sich vor mir hin sah mich an. Ich saß mit gesenktem Kopf auf meinem Bett. "Er hat sich für eine Seite entschieden. Jetzt musst du dich auch entscheiden.", sagte Desdemona sanft. "Ich sage ja nicht, dass diese Entscheidung leicht ist, aber sie ist nötig. Du kannst nicht immer vor allem davon rennen und hoffen, dass es sich von alleine klärt. Der unausgesprochene Krieg zwischen den Jägern und uns geht schon viel zu lange. Und du hast die Macht einer der beiden Seiten den Sieg zu bringen." Nun erhob sich Desdemona wieder und seufzte. "Ruh dich aus und schlaf erst einmal eine Nacht darüber. Morgen siehst du das alles vielleicht schon viel klarer." Sie lächelte mich noch einmal kurz an, ehe sie sich umdrehte und auf ihre Zimmerhälfte zurückkehrte.

Schweigend zog ich mich um und legte mich in mein Bett. Na das war mal eine Rede gewesen. Ich wusste nicht wie ich darüber denken sollte. Natürlich war mir klar, dass Desdemona recht hatte. Ich konnte nicht ewig hoffen, dass alles von selbst wieder gut wurde. Nur leider war ich es, die dabei aktiv mitwirken sollte. Manchmal war es ein Fluch so viel Macht zu haben. Leider konnte ich nichts dagegen unternehmen.
Desdemona hatte auch recht bei dem, was sie über Damon gesagt hatte. Er hatte sich für eine Seite entschieden. Er würde nicht mehr zur Vernunft kommen. Er hatte bereits gewählt. Und ich sollte aufhören zu hoffen. Ich musste endlich über meinen eigenen Schatten springen und akzeptieren, dass er der Feind war. Dass ich irgendwann gegen ihn kämpfen musste. Und ja, ich hatte mich bereits entschieden. Hatte ich wahrscheinlich schon als ich das erste mal von den Jägern erfahren hatte. Von Anfang an hatte ich sie als meine Feinde gesehen. In diesem Punkt brauchte Desdemona sich überhaupt keine Sorgen zu machen. Ihre Sorge war unbegründet.
Doch eine Sache ließ mich nicht los. Sie hatte gesagt, der Sieg läge in meiner Hand. Doch wie dachte sie darüber nach, wie wir den Sieg ergreifen würden? Erwartete sie genau wie Ariadne von mir, dass ich tötete? Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. War das nicht auch ohne weitere Tote möglich?
Oder sah Desdemona einen anderen Weg? Ohne, dass ich irgendwen töten müsste? Immerhin war sie nicht Ariadne, die ,anders als ich, darauf trainiert war ihre Probleme mit Waffen zu bekämpfen und keine Scheu vor dem Töten hatte.
Was dachte ich da? Natürlich erwartete Desdemona von mir nicht, dass ich irgendjemanden tötete! Oder? Immerhin war sie ein wenig anders als ich. Düsterer und hatte ein kleines Problem was die Zurückhaltung betraf. Ihr war es egal was die anderen von ihr dachten. Für sie zählte nur, dass sie mit sich selbst im Reinen war.

Ich zog meine Bettdecke ein wenig höher und wünschte mir, ein wenig mehr wie Desdemona zu sein. Wieso konnte es nicht Desdemona sein, die meine verkorksten Gene besaß? Sie würde sicherlich viel besser damit klar kommen als ich es tat. Vermutlich würde sie sich sogar darüber freuen.
Kurz dachte ich an Desdemonas Fähigkeit ihren Körper zu verlassen. Es musste doch noch mehr dahinter stecken, als von anderen Lebewesen Besitz zu ergreifen. Als sei das schon nicht genug. Konnte Desdemona eigentlich auch Besitz von Menschen ergreifen? Konnte sie, wenn ihre Seele körperlos herumschwebte, überhaupt irgendjemanden etwas anhaben?

Diese Gedanken verfolgten mich noch bis tief in die Nacht hinein, ehe ich tatsächlich noch Ruhe fand und einschlief. Meine Träume waren wirr und voller Chaos. Nicht allzu selten tauchte Damons müdes Gesicht vor mir auf.

Am Morgen weckten mich leise Stimmen. Noch etwas benommen vom Schlaf blinzelte ich. Unser Zimmer war noch dunkel. Bloß durch die geöffnete Tür fiel etwas Licht. Ich konnte zwei dunkle Gestalten erkennen. Eine identifizierte ich als Desdemona. Sie sprach leise, doch ihre wilden Gesten zeigten, dass sie wütend war. Ebenso wie der bissige und aufgebrachte Ton in ihrer Stimme. "Nein, du kannst jetzt nicht zu ihr! Sie schläft, siehst du das denn nicht?!" Sie versuchte die andere Person aus der Tür zu schieben. "Kannst du nicht bis später warten? Sie muss sich ausruhen! Hast du dafür denn überhaupt kein Verständnis?!" Erneut versuchte sie die andere Person aus der Tür zu schubsen, doch diese hielt Stand.
Die andere Person schien jedoch genauso aufgebracht zu sein wie Desdemona. "Natürlich habe ich dafür Verständnis! Aber kannst du nicht auch verstehen, dass ich mir Sorgen mache?", fuhr eine bekannte Stimme Desdemona an. "Was glaubst du denn wie ich reagiert habe, als Nawin mir erzählt hat, wie er sie gefunden hat? Sei froh, dass ich erst jetzt komme! Wäre es nach mir gegangen, wäre ich gestern noch hier herein gestürmt! Und jetzt lass mich durch!" Will schob Desdemona grob bei Seite und ging mit zügigen Schritten auf mich zu.
"Mika.", flüsterte er und rüttelte leicht an meiner Schulter. Er hatte noch nicht bemerkt, dass ich bereits wach war. Also setzte ich mich auf. "Du bist wach.", stellte mein Bruder fest. Desdemona seufzte und schloss die Tür. Anschließend knipste sie das Licht an. Ich verzog mein Gesicht und kniff meine Augen zusammen. Blinzelnd versuchte ich meine Augen an das Licht zu gewöhnen.
"Was ist gestern passiert?", kam Will direkt zur Sache und ich ließ mich genervt zurück in mein Kissen fallen. Klar, Will war bloß besorgt und wollte mir helfen. Aber ich konnte meine Probleme auch selber regeln. Nun gut, bisher war ich nicht sonderlich gut darin gewesen. Dennoch. Ich wollte nun selbst etwas unternehmen. Es wurde langsam Zeit, dass ich mein Leben in den Griff bekam!

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