Kapitel 17.2 - Mondnacht ✅

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»Ich brauchte einfach mal frische Luft.«, sagte ich leise.

Für den Augenblick eines Wimpernschlages war mir, als zuckte ein leichtes Grinsen über Damons Lippen. Doch dieses war genauso schnell wieder verschwunden wie es aufgetaucht war, dass ich es mir genauso gut auch hätte einbilden können. »Du also auch.«, stellte er fest. Mehr ging er darauf jedoch nicht ein. Weshalb sollte Damon den Drang verspürt haben, an die frische Luft zu wollen?

Ich gab bloß ein brummendes Geräusch von mir. Erneut spürte ich den eindringlichen Blick des Jägers auf mir. Mir lief es gleichzeitig heiß und kalt den Rücken hinunter.

Leicht schüttelte er seinen Kopf. »Du bist seltsam.«, sagte er mit gesenkter Stimme. Mehr zu sich selbst, als zu mir. Es war wohl ein laut ausgesprochener Gedanke.

»Wenn du meinst.«, erwiderte ich betont gelassen und zuckte mit meinen Schultern. In mir drin dagegen sah es ganz anders aus. Was wollte er von mir? Noch heute Mittag hatte er nicht so gewirkt, als würde er sich gerne mit mir abgeben. Schon gar nicht, nachdem er mir von dem Schicksal seiner Familie erzählt hatte.

»Das war nicht abwertend gemeint.«, sagte Damon trocken. Seine Worte überraschten mich. Wie sollte es denn sonst gemeint sein?

»Ach, nein?«, fragte ich verunsichert. Er schüttelte seinen Kopf, wirkte aber nicht so, als würde er mir das weiter erläutern wollen. Also wollte ich es einfach dabei belassen. Schweigend schauten wir beide auf das Wasser. Seicht segelte ein rot-orangenes Blatt von einem der Bäume, deren Äste über den See hinausragten und landete leicht wie eine Feder auf dem ruhigen Wasser.

»Deine Kraft.«, sagte er schließlich.

Neugierig hob ich meinen Kopf. »Was ist mit ihr?«

Nachdenklich runzelte er seine Stirn. »Ganz sicher bin ich mir nicht. Aber auf mich wirkt sie irgendwie seltsam.«, führte er seine Aussage von vorhin fort. Nicht ich wirkte also seltsam, sondern meine Kraft. Unwohl rutschte ich auf meinem Platz umher. Hatte er etwas bemerkt? Dass sie auch mir wie ein Parasit vorkam? War das nicht normal? Noch nicht lange bewegte ich mich in der Welt der Elementare. Ich war davon ausgegangen, dass es am Anfang immer so war. Dass die eigene Kraft sich fremd anfühlte. Aber dass seine Gedanken in eine ähnliche Richtung gingen, beunruhigte mich.

»Du hast sie nicht unter Kontrolle.«, teilte Damon mir seine Beobachtungen ruhig mit. »Sondern sie dich. So sollte es nicht sein. Deine Kraft und du, ihr wirkt, als würdet ihr gegeneinander ankämpfen. Und sie erlangt jedes Mal die Oberhand.« Den unheimlichen Wechsel meiner Persönlichkeit erwähnte er nicht. Aber das brauchte er auch gar nicht. Ich wusste auch so, dass ihm das nicht entgangen sein konnte.

»Ist das nicht normal?«, wagte ich es, vorsichtig zu fragen. »Immerhin habe ich meine Fähigkeiten gerade erst entdeckt.« Obwohl ich es erwartet hatte, rutschte mir das Herz in die Hose, als er den Kopf schüttelte.

»Nein.«, sagte er. »Natürlich haben kleine Kinder noch nicht die volle Kontrolle über sie, aber ihre Kräfte überschreiten niemals eine gewisse Grenze. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich dich im Auge behalten musste.« Eine gewisse Grenze? Worauf spielte er damit an? Bedeutete das auch, dass er Will nicht beobachten musste? Weil er mit seinen Kräften im Einklang lebte und von ihm keine Gefahr ausging? Jedenfalls ging Damon darauf nicht weiter ein und ließ mich mit meinen besorgten Gedanken allein, als er das Thema wechselte.

»Du hast mit deinem Bruder gesprochen.« Es war keine Frage, sondern eine reine Feststellung. Woher er das wusste, war mir schleierhaft. Aber vielleicht hatte er sich das auch denken können. Immerhin hatte er mich alleine hier vorgefunden und ich hatte ihm gesagt, dass ich frische Luft schnappen wolle. Seinen Teil konnte er sich vermutlich denken.

»Ja.«, sagte ich leise und presste verbittert meine Lippen aufeinander. Ohne, dass ich es bemerkte, bohrten sich meine Finger in das weiche Gras am Seeufer.

»Es ist wohl nicht so gut gelaufen.« Erneut eine Feststellung.

»Nein.« Obwohl meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern war, klang sie ungewohnt hart. Ich kannte Will noch nicht lange. Vielleicht war das auch ein Segen. Schließlich konnten wir somit emotional noch nicht allzu fest miteinander verbunden sein. Womöglich täte sein abweisendes Verhalten mir deutlich mehr weh, wären wir zusammen aufgewachsen.

»Claire weiß es auch.«, brachte ich schließlich hervor. Damon nahm das bloß mit einem Nicken zur Kenntnis. Und auf einmal fragte ich mich, weshalb ich ihm das alles überhaupt erzählte. Beinahe schon wie Vertraute saßen wir hier im Dunkeln nebeneinander, obwohl er noch vor gar nicht allzu langer Zeit versucht hatte, mich zu töten. Außerdem überlegte er noch immer, ob er das nicht doch eines Tages nachholen sollte. Er war keineswegs ein Freund, nur weil er hier nahezu friedlich neben mir saß. Er war ein Jäger. Der Feind.

Und um ihn daran zu hindern, mich zu töten, benötigte ich zu aller erst Kontrolle über meine Fähigkeiten. Nur ein einziges Mal hatte ich sie wirklich bewusst kontrolliert. Mit Will im Westturm, als er mir ein wenig über unser Element erzählt hatte. Da hatte ich genau gewusst, was ich damit erreichen wollte. Zu dem Zeitpunkt hat meine Kraft nicht wie ein wild gewordenes Tier begonnen, um sich zu schlagen, hatte mir nicht mein Gewissen geraubt.

Vielleicht sollte ich es noch einmal ausprobieren. Ob meine Kraft auch kam, wenn ich sie rief. Aber wie? Wie sollte ich das anstellen? Ohne, dass Damon es mitbekam, blendete ich alles um mich herum aus, konzentrierte mich. Vermutlich war es eine schlechte Idee, das jetzt zu tun, wenn doch ein Jäger neben mir saß, der Geistelementare verabscheute. Aber er selbst hatte durchblicken lassen, dass ich meine Fähigkeiten bewusst lenken sollte.

Auf einmal spürte jeden einzelnen Tropfen in dem See, jede Seepflanze und jedes Wasserlebewesen darin. Alles war irgendwie miteinander verbunden. Es gab keine Grenzen, die bestimmten, wo die Seepflanzen aufhörten und die Wasserlebewesen begannen. Alles war eins. Verbunden durch das Wasser. Verbunden durch jeden einzelnen Tropfen.

»Erhebe dich.«, war mein Gedanke, als das Wasser auch schon begann, sich in die Lüfte zu erheben, mitsamt all den Lebewesen darin. Es war ein unwirklich wirkender Anblick. Aber auch faszinierend, wozu ich im Stande war, wenn ich es nur wollte. Glücksgefühle durchströmten mich. Erfüllten mich in jedem Winkel meines Daseins. Prickelnd wie Brausebonbons.

Kontrolle über alles, kam es mir in den Sinn. So war es doch gewesen. Ich konnte alles und jeden sowie die Elemente kontrollieren. Nur nicht heraufbeschwören. Formen konnte ich, nicht aber erschaffen. Aber das hier war mehr, als ich es mir damals vorgestellt hatte, als ich hier auf die Schule kam.

Langsam und vorsichtig ließ ich das Wasser mitsamt seinen Lebewesen wieder in den nun leeren See hinab. Ich spürte Damons undefinierbaren Blick auf mir.

»Du wirst stärker.«, kam es von ihm. Allerdings konnte ich nicht heraushören, was er davon hielt. Seine Gedanken behielt er erfolgreich für sich.

»Kann sein.«, meinte ich nur und schwieg wieder. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich ihn. Jede noch so kleine Regung sollte mir besser nicht entgehen. Nicht, dass er mich plötzlich angriff. In seiner Nähe musste ich aufmerksam bleiben. Wurde ich nachlässig, könnte das mein letzter Fehler gewesen sein. Das durfte ich niemals vergessen.

Von seinem ruhigen Verhalten durfte ich mich nicht irritieren lassen. Nach wie vor war er alles andere als ein Freund. Ihm war nicht zu trauen.

Ich wusste nicht, was ihm gerade durch den Kopf ging. Wusste nicht, ob ich es überhaupt wissen wollte. Doch plötzlich erhob er wieder seine Stimme, nachdem er lange genug gedankenverloren in die Nacht gestarrt hatte.

»Was hältst du von einem Waffenstillstand?«, fragte er. Seine Frage überraschte mich sehr. Bisher hatte ein sehr brüchiger, Moment-bedingter Frieden zwischen uns geherrscht. Aber niemals schien die Bedrohung durch den Jäger zu verschwinden. Schattengleich hatte er mir, wenn er sich nicht schon in der Nähe befunden hatte, in meinen Gedanken umher gespukt. War allzeit präsent.

»Das fände ich gut.«, antwortete ich. Vielleicht würde ich mich dann auch endlich mal entspannen können und ihn nicht mehr hinter jeder Ecke auf mich lauern glauben. Nach der Sache mit Will und Claire wäre ein wenig innere Ruhe ganz nett.

»Gut.«, sagte Damon und reichte mir die Hand, die ich zuerst misstrauisch beäugte, ehe ich sie ergriff. »Dann herrscht erst einmal Frieden.«

»Frieden.«, wiederholte ich erleichtert und erwiderte den Händedruck.

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