Am nächsten Tag trieb Randy uns alle unerbittlich an - er wollte Ohitika und Thokala-gleschka unbedingt schon bei der morgigen Abendshow mit dabei haben. Ich erklärte den beiden gerade, wie die nachgestellte Büffeljagd ablaufen sollten, die als Nächstes auf dem Programm stand. In der Szene wurden die Büffel durch die Arena getrieben wie in einer wilden Jagd, aber natürlich nicht wirklich abgeschossen. Stattdessen würden die Jäger ihre Pfeile auf Zielscheiben versenden und so ihre Schießkünste vorführen. An Ohitikas starrem Gesichtsausdruck merkte ich, dass es ihm nicht gefiel, wie die Büffel für die Show ausgenutzt werden sollten, doch er wandte nichts ein.
Während sie die Szene probten, schlenderte ich hinüber zum Korral, wo Cal ein junges Pferd trainierte, das offenbar noch nicht an den Sattel gewöhnt war. Ich beobachtete, wie er sich dem Tier mit ruhigen, sicheren Bewegungen näherte. Er legte ihm behutsam den Sattel auf den Rücken und ließ es den Gurt beschnuppern, bevor er ihn festzog. Die langbeinige braune Stute tänzelte ein wenig, aber Cal behielt die Kontrolle, sprach beruhigend auf sie ein und klopfte ihr den Hals.
Ich trat näher an die Umzäunung heran. Als er mich bemerkte, verfärbte sich sein Gesicht ein wenig dunkler, wodurch seine strohblonden Haare noch heller wirkten, fast schon weiß. Er winkte. „Mary! Komm ruhig rein, wenn du magst."
Ich trat durch das Gatter und streckte vorsichtig meine Hand aus, um die Nase der Stute zu berühren. Sie schnaubte, ließ sich aber von mir streicheln. „Wie heißt sie?"
„Das ist Daisy", erwiderte Cal lächelnd. „Sie macht sich gut. In ein paar Wochen kann sie bestimmt in der Show mitlaufen."
„Trainierst du die Pferde?", fragte ich interessiert. Das hatte er bei unserer ersten Begegnung gar nicht erwähnt. Ich hatte angenommen, dass er sich nur um die Pflege kümmerte.
Er nickte bescheiden. „Ich bin dafür zuständig, neue Pferde einzuarbeiten und sie mit den Showkämpfen und lauten Schüssen vertraut zu machen. Das Geheimnis nennt sich langsame Desensibilisierung. Wir gewöhnen die Pferde schrittweise daran."
Er führte mich zur Koppel, wo ein anderes Pferd graste. „Siehst du Bucky dort? Er ist unser Veteran. Er kennt jedes Geräusch, jeden Trick aus der Show. Wenn wir ein neues Pferd trainieren, stellen wir es immer zu ihm. Dann fangen wir damit an, in der Nähe der Pferde leise Geräusche zu machen - klatschen, rufen, mit Gegenständen klappern. Wenn die Pferde ruhig bleiben, werden sie belohnt. Dann steigern wir langsam die Lautstärke und Intensität."
„Und was ist mit Schüssen?"
„Da nutzen wir zuerst Platzpatronen, die sind nicht so laut. Wir schießen aus der Ferne und nähern uns dann immer mehr an. So lernen die Pferde, dass die Geräusche ihnen nicht wehtun."
„So ähnlich machen es die Lakota auch, wenn sie ihre Pferde für die Büffeljagd und den Kampf ausbilden", sagte ich.Er sah mich mit schief gelegtem Kopf an.
„Ich meine ... so machten sie es. Früher. Habe ich gelesen."
Cal grinste und nickte. „Das stimmt wohl. Viele der modernen Trainingstechniken sind dem traditionellen Vorgehen der Ureinwohner entlehnt. Übrigens, das da ist Billy." Cal deutete auf einen gemütlich aussehenden hellbraunen Wallach, der friedlich in der Nähe graste. „Den hatte ich für dich ins Auge gefasst. Er ist ein ganz Braver."
Wir näherten uns Billy, der träge den Kopf hob, als er uns kommen sah. Cal gab mir eine Möhre, die er aus seiner Westentasche fischte. Ich steckte sie Billy zu und kraulte seinen Hals, während er die Möhre knackend zwischen seinen starken Kiefern zermalmte.
„Möchtest du mal eine Proberunde drehen? Ich kann ihn für dich fertigmachen."
„Nicht nötig", erwiderte ich. „Ich bin das Reiten ohne Sattel gewöhnt."
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Plötzlich Indianer - Teil 2
Historical FictionMarie hat ihr Glück bei den Lakota an der Seite von Ohitika gefunden. Doch das Schicksal hat andere Pläne: Ein dramatisches Ereignis erschüttert ihre Welt und zwingt sie zu einer gefährlichen Reise. Gemeinsam mit Ohitika und dessen Rivalen Thokala b...