Kapitel 16

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Es war das erste Mal, dass Ohitika und Thokala in ein Auto steigen sollten. Ich konnte sehen, dass sie mit sich rangen. Einen Wohnwagen zu betreten, der fest an seinem Platz stand, war eine Sache. Diese rasant fahrenden blechernen „Kutschen" hingegen, von denen Thokala-gleschka am Anfang beinahe überfahren worden wäre, eine ganz andere.

Schließlich setzte Thokala sich neben Fifi auf den Beifahrersitz, während ich mit Ohitika auf die Rückbank kletterte. Jedoch brachten auch meine ganzen Überredungskünste die beiden nicht dazu, sich an den Sitz „fesseln" zu lassen. Fifi winkte ab und versprach, vorsichtig zu fahren. 

Als sie den Motor anließ, bemerkte ich, wie Ohitika zusammenzuckte. Ich lächelte ihm ermutigend zu, doch er wirkte abwesend, als wäre er irgendwie nicht ganz bei mir. Seit unserer Ankunft in meiner Zeit war er mir gegenüber distanziert. Zwar redete er mit mir, doch er berührte mich nicht. Selbst nachts im Tipi hatte er Abstand gehalten, und wenn ich versuchte, ihm näher zu kommen, wich er aus. Es versetzte mir jedes Mal einen Stich.

Der Wagen holperte langsam über den Schotterplatz auf die Schnellstraße nach Rapid City zu. Ohitika klammerte sich mit der rechten Hand am Türgriff fest, während er mit zusammengepresstem Kiefer aus dem Fenster starrte. Thokala hatte die Hände zu Fäusten geballt, sagte aber nichts.

Fifi beschleunigte und schließlich rasten wir im Tempo des restlichen Verkehrs dahin. Nach etwa zehn Minuten Fahrt erreichten wir die Ausläufer von Rapid City. Ich beobachtete die Mienen der beiden Lakota, während wir langsam durch die breiten Straßen navigierten, wo sich ein Vorstadthaus ans nächste reihte. Obwohl die Gebäude hier nicht annähernd mit den Hochhäusern einer Großstadt vergleichbar waren, waren es doch viel mehr, als sie je zuvor auf einem Haufen gesehen hatten.

„Es müssen unfassbar viele Waschitschu hier leben", sagte Ohitika.

„Na ja, eigentlich ist das noch eine eher kleine Stadt", meinte ich.

Thokala verengte die Augen. „Sie sind wie die Heuschrecken! Sie haben unser Land überschwemmt", sagte er fassungslos.

Wenig später erreichten wir das Stadtzentrum und Fifi parkte den Wagen auf einem Parkplatz vor der City Hall. Wir stiegen aus. Ohitikas und Thokalas Blicke wanderten unruhig umher, als erwarteten sie, jederzeit von einem unbekannten Raubtier angefallen zu werden. Als ein Motorrad mit aufheulendem Motor an einer grün werdenden Ampel beschleunigte, machte Thokala ein paar Schritte rückwärts und stieß dabei beinahe eine ältere Dame um, die ihm einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. Ich entschuldigte mich bei ihr und war nur froh, dass Thokala nicht mehr ausschließlich mit dem Lendenschurz bekleidet war wie bei unserer Ankunft. Er und Ohitika waren in ihre Indianerkostüme gehüllt. Fifi trug ihr Annie-Oakley-Kostüm und ich war als Cowgirl gekleidet, da Fifi gemeint hatte, so würden wir mehr Interesse wecken.

Das Verhalten meiner beiden Begleiter amüsierte und erstaunte Fifi sichtlich. „Sag mal, waren die beiden noch nie in einer Stadt?", fragte sie mich.

Ich lächelte verlegen und ließ mir einen Stapel Flyer geben, die ich mit Ohitika zusammen verteilen sollte. Thokala würde bei Fifi bleiben, auch wenn mir nicht ganz wohl dabei war, da sie sich nicht verständigen konnten. Allerdings - wenn jemand mit Thokala fertig wurde, dann Fifi, das hatte ich ja gesehen.

Ich winkte Ohitika, mit mir zu kommen, und schlenderte mit ihm an der Main Street entlang. Mit seiner Kleidung zog Ohitika die Blicke der Passanten auf sich. Bei allen, die uns ansprachen oder zu lange angafften, nutzte ich die Gelegenheit und drückte ihnen einen Flyer in die Hand. Immer wieder stießen wir auf die bronzenen Präsidentenstatuen, die in der Downtown von Rapid City verteilt waren. Hier war Präsident Lincoln. Ich erinnerte mich an den Selfie, den ich mit Sarah vor der Statue aufgenommen hatte. Es war wie ein einziges Déjà-vu.

Plötzlich Indianer - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt