Kapitel 3

2K 164 15
                                    

Ich bemühte mich, meine Panik zu unterdrücken und einen klaren Kopf zu wahren. „Kannst du aufstehen?", fragte ich Wihinapa.

Sie atmete schwer und ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Dennoch nickte sie und stemmte sich mit meiner Hilfe auf die Beine. Ich sah mich um. Der Wald war hier licht und grün, der Boden mit Moospolstern und zarten Gräsern übersät. Die langen, schlanken Stämme der Kiefern boten nicht viele Versteckmöglichkeiten. Die Geräusche der uns verfolgenden Soldaten kamen immer näher. Ich blickte den Hang hinauf, wo Tatanka Wakon und die anderen verschwunden waren. Wir würden sie nie einholen.

Aber etwas hangabwärts entdeckte ich einen großen moosbedeckten Felsbrocken, der von dichten Sträuchern umstanden war. Dorthin setzte ich mich in Bewegung. Wihinapa stolperte neben mir her. Ich stützte sie, so gut ich konnte, doch wir kamen nur frustrierend langsam voran. Mir brach der Schweiß am ganzen Körper aus.

Irgendwo löste sich ein Schuss. Ich ließ mich instinktiv zu Boden fallen und zog Wihinapa mit mir. Hatte er uns gegolten?

Ein paar Meter rechts von uns brachen zwei Reiter durch das Unterholz. Wir blieben reglos am Boden liegen, bis sie vorbeigezogen waren. Das Blut rauschte mir in den Ohren. Sie hatten uns nicht gesehen.

„Komm, wir haben es gleich geschafft!", flüsterte ich.

Wihinapa ließ sich unter einem leisen Schmerzenslaut wieder auf die Beine ziehen. Es kostete mich meine ganze Kraft, sie die wenigen verbleibenden Meter bis zu dem Felsen zu schleppen. Beinahe ihr ganzes Gewicht hing auf mir. Ich dachte daran, wie leicht Ohitika sie hätte aufheben und tragen können ...

Mit einem Arm bog ich die Dornensträucher beiseite und achtete nicht darauf, dass sie meine Haut zerkratzten. Wihinapa schlüpfte hindurch und ließ sich mit dem Rücken gegen den Felsbrocken sinken. Dort schloss sie die Augen und rang nach Luft. Ich kroch hinter ihr in das Versteck — keine Sekunde zu früh, denn wieder preschte ein Reiter den Hang hinauf, diesmal nur wenige Schritte von uns entfernt. Er blickte jedoch nicht in die kleine Mulde hinter dem Felsbrocken. Ich atmete auf. Als die Luft rein war, wandte ich mich Wihinapa zu.
Ihre Gesichtsfarbe hatte ein unnatürliches Grau angenommen, das mir gar nicht gefiel. Wenigstens atmete sie jetzt ruhiger.

„Hast du noch Schmerzen?", fragte ich leise.

Sie hob ihre Augenlider und es sah aus, als würde schon diese Bewegung sie sehr anstrengen. Dann schüttelte sie schwach den Kopf.

Ich wusste nicht, ob ich darüber erleichtert oder beunruhigt sein sollte. Vielleicht stand sie ja unter Schock? Was hatten wir noch mal im Erste-Hilfe-Kurs gelernt? Die stabile Seitenlage ...
„Komm, leg dich ein bisschen hin. Warte, ich helfe dir." Wihinapa ließ sich fast willenlos von mir auf die Seite rollen, sodass ihr Rücken an dem rauen Stein lag. Sie zog die Beine in Embryonalstellung an und schloss erschöpft die Augen. Mit neuem Schrecken erkannte ich, dass die Rückseite ihres Kleides im Bereich des Unterleibs blutgetränkt war und auch an der Innenseite ihrer Schenkel war Blut herabgelaufen.

Das sah nicht gut aus, aber was sollte ich tun? Meine medizinischen Kenntnisse erstreckten sich auf das Aufkleben eines Pflasters.

Ich lugte über den Fels hinweg. Aus der Richtung des Dorfs erschallte immer noch der Lärm von Schüssen und ich sah dunkle Rauchwolken über den Baumwipfeln aufsteigen. Meine Augen füllten sich mit Tränen.

Die brannten unsere Tipis nieder, unser Zuhause!

Aber die Schüsse zeigten mir, dass unsere Männer den Kampf noch nicht aufgegeben hatten. Hoffentlich ging es Ohitika gut.


Ich brach einige blattreiche Äste von den Sträuchern ab und bedeckte Wihinapas Körper damit, um sie noch besser zu tarnen. Dank der Wildlederkleidung fügte sich ihre Form beinahe nahtlos in die umgebenden Brauntöne der Erde ein.

Plötzlich Indianer - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt