Kapitel 9

1.6K 129 16
                                    

Die nächsten drei Tage verbrachten wir bei Tom und übten so oft wie möglich mit den Gewehren. Allerdings hatte er auch nicht unbegrenzt Munition und so stieg ich bald auf Pfeil und Bogen um. Was bei Ohitika und Thokala-gleschka so einfach wirkte, erwies sich für mich als unendlich viel schwieriger als das Schießen mit der Feuerwaffe. Der leichte, gefiederte Pfeil war viel abhängiger vom Wind als eine Kugel und jede kleinste Veränderung in der Haltung oder in der Kraft, mit der ich die Sehne spannte, ließ den Pfeil trudeln und eiern, als wäre er betrunken. Aber ich übte eifrig weiter, denn die Pfeile gingen uns zum Glück nicht aus.

Zum Abschied überreichten wir Tom einige der Pelze, die wir mit uns geführt hatten, auch wenn es nur eine kleine Entschädigung für seine Gastfreundschaft war. Er wollte sie erst nicht annehmen, doch dann erinnerte er sich daran, dass es als unhöflich galt, ein Geschenk abzulehnen. Anschließend belud er uns mit Fresspaketen für unsere bevorstehende Reise - deren Ziel er natürlich nicht kannte - und winkte uns von seiner Hütte aus hinterher, während Jackson uns schwanzwedelnd noch ein Stück begleitete.

Ohitika führte uns an, denn er allein kannte die Stelle, die Tatanka Wakon ihm beschrieben hatte und zu der wir unterwegs waren - um Gold zu finden. Bei dem Gedanken war mir nicht wohl. Nicht nur, weil ich schon wieder eine Höhle würde betreten müssen, sondern auch weil ich nicht wusste, ob wir nicht die Büchse der Pandora öffneten, wenn wir mit Gold bei einem weißen Händler aufkreuzten. Würde es sich herumsprechen und noch mehr Goldsucher in unser Land locken? Doch was blieb uns für eine Wahl?

Ich dachte an Wihinapa und an all unsere Stammesbrüder, die bei dem Angriff der Langmesser ihr Heim verloren hatten und jetzt in einer Höhle hausen mussten - um ihretwillen wollte ich unsere Mission erfolgreich abschließen.

Um uns herum glitzerten Tautropfen auf den Blättern und Grashalmen im milden Licht der aufsteigenden Sonne. Es versprach ein heißer, schwüler Tag zu werden. Schon jetzt wischte ich meine schwitzigen Handflächen immer wieder an meinen Leggings ab. Ohitika stieg mit seinen langen Beinen schnell hangaufwärts und ich musste mich beeilen, um nicht zu weit zurückzufallen. Thokala-gleschka, der unser Packpferd führte, bildete den Abschluss.

Gegen Nachmittag hatten sich Wolken im Westen aufgetürmt. Ich hatte beobachtet, wie sie erst als weiße, unschuldige Schäfchenwolken über den Himmel gezogen waren und dann immer grauer und dicker wurden. Jetzt hatte der ganze westliche Himmel einen bedrohlichen, grünlichen Farbton und die Luft war schwer von Feuchtigkeit. Es würde bald ein Gewitter geben, da war ich mir sicher. Inzwischen konnte ich die Zeichen der Natur schon recht gut deuten. Auch Ohitika hatte es bemerkt. Er spähte immer wieder in den Himmel und beschleunigte sein Tempo. Ich keuchte und schnaufte hinter ihm her, Schweiß rann mir an Nacken und Rücken herunter.

Endlich kamen wir an einen kleinen Bach, dessen Ufer mit Kieselsteinen gesäumt war. Ohitika machte Halt und starrte konzentriert auf den Boden. Langsam ging er am Ufer flussaufwärts, ohne den Blick von dem Geröll zu nehmen, auf dem seine Mokassins knirschten. Ich beobachtete ihn, während ich einen großen Schluck aus meinem Wasserbeutel nahm. Schließlich blieb er stehen, bohrte seine Fußspitze leicht ins Geröll und ging in die Hocke.
Neugierig näherte ich mich ihm, Thokala-gleschka hinter mir. Ohitika hatte eine Handvoll Kiesel aufgehoben und hielt sie in den Bach. Das Wasser plätscherte über seine gebräunten Finger und befreite die Steine darin von losem Sand. Da sah ich zwischen den grauen und braunen Kieseln etwas in der Sonne aufblitzen - Gold? Ein kleines Körnchen nur, kaum größer als ein Weintraubenkern. Ohitika nahm es zwischen Zeigefinger und Daumen und drehte sich zu uns um. „Das muss der Fluss sein", verkündete er.

Ich hoffte, dass wir nun eine Pause machen würden. Schließlich waren wir seit dem Morgengrauen unterwegs und hatten unser Ziel fast erreicht. Doch in dem Moment schob sich die graue Wolkenwand vor die Sonne und Ohitika hob den Blick.

Plötzlich Indianer - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt