Kapitel 23

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Wir saßen mittlerweile auf der Couch, unsere Augen aufeinander gerichtet, während ich im Hinterkopf immer noch darüber nachdachte, ob es die richtige Entscheidung war, ihm das alles zu erzählen.

"Ich weiß nicht mal, wie es angefangen hat. Meinem Dad hat diese Firma gehört, die Handys, Laptops und sowas entwickelt hat. Er hatte irgendeine neue Idee. Er war so verdammt überzeugt davon, dass er einfach viel zu viel Geld dafür investiert hat. Damit hat der Streit zwischen meinen Eltern eigentlich angefangen. Meine Mutter wollte genauso wenig wie ich, dass er so ein großes Risiko damit eingeht", sagte ich und schüttelte meinen Kopf, als ich mich an die zahllosen Diskussionen erinnerte.

"Er hat die Idee trotzdem umgesetzt und nichts hat geklappt. Er konnte sein Konzept nicht durchsetzen. Die Idee an sich war gut, aber unmöglich umzusetzen. Er hat also das ganze Geld für Nichts ausgegeben. Das hat sich herumgesprochen. Um es kurz zu fassen, die Firma ist einfach den Bach runtergegangen, das ständige Streiten wurde schlimmer und einmal war es so schlimm, dass er einfach gegangen ist. Er ist erst am nächsten Tag wieder nach Hause gekommen."

Ich machte eine kurze Pause, versuchte mich genauer daran zu erinnern.

"Er hat nach Alkohol gestunken, war immer noch nicht ganz nüchtern. Und so ist es einfach weitergegangen. Ein Streit oder eine Diskussion und mein Dad war weg, teilweise sogar mehrere Tage. Wenn er zurückgekommen ist, hat er immer nach Alkohol gestunken. Irgendwann hat er sogar angefangen, Zuhause zu trinken."

Dylan hörte mir aufmerksam zu. Er verzog weder sein Gesicht, noch gab er irgendwelche Kommentare von sich. Ich hingegen konnte nicht glauben, dass ich ihm das gerade ernsthaft erzählte. Aber anders gesehen fühlte es sich so verdammt erleichternd an. Ich hatte bisher nicht darüber geredet, nie. Ich hatte es nie gewollt. Das alles jetzt mehr oder weniger loszuwerden und zu wissen, dass mir jemand dabei zuhörte, das tat gut. 

"Er wurde erwischt, wie er betrunken Auto gefahren ist. Als meine Mom ihn dann von der Polizeiwache abgeholt hat, hat sich rausgestellt, dass er nicht nur betrunken Auto gefahren ist, sondern auch Drogen bei sich hatte. Sie haben so laut geschrien, dass ich den ganzen Streit mitbekommen habe. Mein Dad hat zugegeben, dass er schon seit längerem Drogen genommen hat."

Es war verrückt, wie gut ich mich an gerade diese Nacht erinnern konnte. Es war so, als ob ich die Stimmen meiner Eltern noch deutlich hören konnte. Nach dieser Nacht war es nur noch bergab gegangen. Am nächsten Tag hatte mein Dad meine Mom geschlagen und drohte, mir ebenfalls etwas anzutun. Schon an diesem Tag hatten wir unsere Sachen gepackt und uns ein Hotel gesucht. Mein Dad hatte uns gefunden. Und das war er, das war der Auslöser dafür gewesen, dass wir umziehen sollten. Er hatte mir und meiner Mom so viel Angst eingejagt, dass wir tatsächlich unsere Heimatstadt wegen ihm verließen. 

Und auch das erzählte ich Dylan, mit dem Anhang, dass ich ihn aus der Stadt verscheuchen würde, wenn er auch nur darüber nachdachte, das irgendjemandem zu erzählen. Dabei waren meine Zweifel deswegen nicht mal enorm groß. Sicher war allerdings trotzdem sicher. 

"Und dein Dad hat sich nie wieder gemeldet?", wollte ich von Dylan wissen, nicht in der Laune noch weiter über meinen eigenen Vater zu sprechen oder mir selbst Fragen von ihm stellen zu lassen. 

"Vor zwei Jahren hat er mich an meinem Geburtstag angerufen, aber nein, sonst nie wieder. Es ist auch besser so, ich will einfach nichts mehr von ihm hören", beantwortete er meine Frage, sein Blick nun nicht länger auf mich, sondern auf den Boden gerichtet. 

Danach herrschte Stille. Stille, die wir beide wollten und brauchten. Niemand sagte etwas, aber es war nicht unangenehm, eher das genaue Gegenteil. Es war schwer eine Person zu finden, die zu einem passte. Eine Person, die man verstehen konnte und von der man selbst verstanden wurde, ohne viel sagen zu müssen. Vielleicht war es das, was ich an Dylan mochte. Wir mussten nicht viel sagen, um uns zu verstehen. Auf keinen Fall wollte ich damit sagen, dass ich meinen Seelenverwandten gefunden hatte -an so etwas glaubte ich nicht mal- aber man brauchte Glück, um einen Menschen zu finden, mit dem man sich auch wortlos verstand. 

"Meine Tante heiratet nächsten Samstag", meldete er sich plötzlich zu Wort und unterbrach damit die Stille. Ich war froh, dass er das Thema wechselte, für einen Tag hatten wir genug über schreckliche Väter geredet, mit denen wir beide nichts mehr zutun haben wollten. Und dennoch fragte ich mich, weshalb er jetzt von der Hochzeit seiner Tante sprach.

"Das ist...schön für deine Tante", sagte ich, deutlich irritiert, denn was hätte ich sonst sagen sollen? 

"Und für dich."

"Warum für mich?"

"Weil du mitkommen wirst", gab er zurück und zeigte sein berühmtes -zumindest war es das für mich- süßes Grinsen. 

"Ich würde gerne gefragt werden, so gehört sich das nämlich, O'Brien."

Ich war überrascht, als er tatsächlich aufstand und sich vor mich stellte, sein Grinsen war verschwunden und durch ein leichtes Lächeln ersetzt worden. 

"Würdest du mich auf diese Hochzeit begleiten und das kostenlose Buffet mit mir ausnutzen?"

Ich lachte auf und nickte.

"Das kostenlose Buffet hat mich überzeugt."

Die letzte Hochzeit, auf der ich gewesen war, kam mir schon ewig lange her vor. Ich konnte mich nur daran erinnern, wie toll dieser Tag gewesen war. Meiner Meinung nach konnte eine Hochzeit entweder einfach nur wundervoll oder komplett daneben gegangen sein, da gab es nichts dazwischen. Und das hing von so vielen verschiedenen Dingen ab, Organisation, Location, Musik oder den Gästen. Man sollte wirklich durchdenken, welche Personen man zu seiner Hochzeit einlud. 

"Liv?"

Es war meine Mutter, die gerade die Wohnung betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sie betrat das Wohnzimmer mit zwei vollen Einkaufstüten in ihren Händen, die so aussahen, als ob sie jeden Moment reißen würden. Daher bat Dylan ihr seine Hilfe an und trug beide Tüten in die Küche, was bei ihm um einiges leichter aussah als bei meiner Mom, aber das überraschte mich nicht. Er war nicht nur mental stark. 

"Ich dachte, du bist weg?"

Verwirrt zog ich eine Braue nach oben und schüttelte meinen Kopf. 

"Du hast mir vor ein paar Minuten geschrieben, dass du zu einer Freundin gehst."

"Mom, ich habe dir nicht geschrieben. War das überhaupt meine Nummer?"

Sie drückte mir ihr Handy in die Hand und ich suchte nach der Nachricht, die tatsächlich von mir. Mehr oder weniger, immerhin hatte ich diese Nachricht die verschickt, aber es war meine Nummer. Was zur Hölle? 

Ohne etwas zu sagen, eilte ich in mein Zimmer, in welchem sich mein Handy befand. Oder befinden sollte, denn dort war es nicht. Es war nirgends. Auch nachdem meine Mutter mich mehrmals anrief, hörte ich es nicht. Es war nicht hier. Und nachdem Dylan mir versichert hatte, dass auch er es nicht genommen oder gesehen hatte, war ich mir sicher, dass es jemand gestohlen hatte. 

Ich überlegte, wann ich es überhaupt das letzte Mal gesehen hatte. Ich war mir sicher, dass ich es gestern in der Schule noch gehabt hatte, was mich direkt auf den Verdacht brachte, dass es mir auch dort geklaut worden war. Jemand hatte beabsichtigt mein Handy genommen. Die Frage war jetzt allerdings, wer diese Person war und weshalb sie in meinem Namen irgendwelche Nachrichten verschickte. 

Ich konnte es mir nicht leisten, mir ein verdammtes neues Handy zu kaufen und das wollte ich nicht. Alles, was ich wollte, war mein Handy und die Möglichkeit, dem Dieb meines Handys eine zu verpassen. 

"Vielleicht hast du es irgendwo vergessen?", vermutete meine Mutter, obwohl sie wusste, dass mein Handy das erste war, woran ich dachte, bevor ich das Haus verließ. Noch nie in meinem Leben hatte ich mein Handy dauerhaft irgendwo liegen lassen, denn spätestens nach fünf Minuten stellte ich schon fest, dass etwas fehlte. Das wiederum konnte darauf hindeuten, dass ich abhängig von diesem Teil war, aber dem war nicht so. Ich konnte ohne Handy überleben, aber solange ich eines hatte, dachte ich auch daran.

"Und trotzdem hat irgendjemand es irgendwie geschafft, es anzuschalten, ohne den Entsperr-Code zu kennen und dir ganz bewusst eine Nachricht geschickt", widersprach ich ihr und seufzte. Was hatte ich eigentlich getan, dass diese Dinge mir nach und nach passierten? Dämonen, Morde, mysteriöse Männer, die ich mir einbildete und jetzt auch noch das. Das Schlimmste war, dass ich nicht mal wusste, wie und ob diese Dinge überhaupt miteinander verknüpft waren. 

Hunted | Dylan O'BrienWhere stories live. Discover now